Bericht der Menschenrechtsdelegation aus Deutschland beim Newrozfest in Wan, 18.03.2017
Wir treffen uns mit Mitarbeiter_innen der unter dem OHAL (Ausnahmezustand) verbotenen Nachrichtenagentur DIHA, die nun unter dem Namen DIHABER arbeiten. Wir sprechen zunächst mit einer Frau, die 14 Jahre lang für DIHA gearbeitet hat. Nach dem Verbot der Agentur und der Schließung der Büros hat sich die neu gegründete Agentur mit anderen Agenturen zusammengetan und ein kleines Büro in Wan bezogen. Die Zusammenarbeit mit anderen Agenturen ist nichts Neues, schon vor dem OHAL nutzten prokurdische Zeitungen und Agenturen, wie Özgür Gündem, Azadiya Welat oder JINHA – die alle mittlerweile verboten wurden – mit DIHA gemeinsame Büros. DIHABER teilt sich das Büro derzeit mit der Redaktion der Zeitungen Medya und Ipekyolu.
Unsere Gesprächspartnerin arbeitet ausschließlich im Büro, daneben gibt es 7 – 8 Reporter_innen, die vor Ort tätig sind. Die aktuellen Themen sind das diesjährige Newrozfest und das Referendum.
Der Druck auf die Agentur war im vorletzten Jahr nach den Selbstverwaltungserklärungen besonders groß. Aktuell, d.h. in den letzten 3 Monaten, ist die tägliche Arbeit keinen besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, problematisch ist eher der psychische Druck. Grund hierfür ist nach Ansicht unsere Gesprächspartnerin, dass zum einen aufgrund des OHAL kaum Veranstaltungen stattfinden, über die berichtet werden kann. Zum anderen gibt es offensichtlich derzeit keine „Order von oben“, was sich aber jederzeit ändern kann.
Unsere nächste Gesprächspartnerin ist eine junge Journalistin, die seit 5-6 Monaten in Wan arbeitet und uns berichtet, dass die Menschen seit dem OHAL seltener oder gar nicht mehr auf die Straße gehen. Politische Statements wie z.B. Presseerklärungen finden nicht mehr in der Öffentlichkeit statt mit der Folge, dass auch Repressionen in der Öffentlichkeit seltener sichtbar sind (obwohl die Zivilpolizei allgegenwärtig ist). Politische Aktivitäten, wie z.B. Presseerklärungen und Veranstaltungen finden nur noch in geschlossenen Räumen statt und müssen zuvor vom Gouverneur genehmigt werden. Während es früher möglich war, eine solche Genehmigung für eine Presseerklärung zu erhalten, wird dies nun überhaupt nicht mehr genehmigt.
Pressefreiheit und Presserechte werden von den Sicherheitskräften kontinuierlich missachtet. Journalisten werden nicht ernst genommen, sodass auch ein Presseausweis nichts mehr nützt.
Journalisten werden von Sicherheitskräften auch konkret an ihrer Arbeit gehindert. Unsere Gesprächspartnerin berichtet, dass sie vor kurzem, als sie auf dem Weg zu einer Beerdigung war, von der Polizei angehalten wurde. Die Kamera wurde ihr abgenommen und neben zahlreichen Fragen wurde ihr von den Sicherheitskräften erklärt, sie dürfe nicht zur Beerdigung gehen. Dort gäbe es nichts zu berichten. Als sie über die Schließung von Frauenorganisationen berichten wollte und eine der Organisationen aufsuchte, erklärten ihr dort anwesende Polizeibeamte, hier gäbe es nichts zu berichten, sie solle gehen, die Schließung sei keine Nachricht wert.
Die Informationsgewinnung vor Ort ist mittlerweile dadurch erheblich erschwert, dass die Leute sich nicht mehr trauen, offen zu sprechen. Es ist schwierig geworden, an exakte Informationen heranzukommen, da die Menschen aus Angst entweder nichts sagen oder falsche Informationen geben.
Ein älterer Journalist kommt hinzu und berichtet, dass bei DIHA etwa 100 Journalisten tätig waren. Jetzt arbeiten noch 10 Journalist_innen für die Agentur, davon 7 Journalist_innen in der Region Wan und Agri. Bis vor 3 Monaten waren 10-15 Kolleg_innen von DIHA inhaftiert. Aktuell sind es noch 5, davon 4 aus Van.
Die aktuell produzierten Zeitungen, auch die kurdisch-sprachige Medya (als Ersatz für die verbotene Azadiya Welat), sind nicht verboten. Auch deren Verkauf und Erwerb sind nicht verboten.
Die staatliche Repression funktioniert anders. Sie setzt bei der Verbreitung der Zeitungen an, so dass diese sehr schwierig geworden ist: Mitarbeiter_innen der Auslieferfirmen werden festgenommen oder die Zeitungen auf dem Weg vom Druck festgesetzt, so dass sie zu spät ankommen und nicht mehr verkauft werden können.
Bei Auslieferern der Zeitungen finden Hausdurchsuchungen statt, um an die Namen der Abonnent_innen zu kommen. Auch Zusteller_innen wurden festgenommen und verhört, um die Adressen der Abonnent_innen zu erhalten. Bei mindestens 500 Abonnent_innen kommen die Zeitungen überhaupt nicht an.
Obwohl die Zeitungen nicht offiziell verboten sind, sind auch Verkäufer_innen und Leser_innen von Repression betroffen und erleben Festnahmen und Verhöre.
Bestimmte Themen wie die kritische Berichterstattung zum Referendum, d.h. die „Nein-Kampagne“, Artikel zu „FETÖ“, Kritik an Erdogan und AKP sowie über Rojava, die YPJ werden aus Selbstschutzgründen (Selbstzensur) nicht behandelt, da klar ist, dass dies Maßnahmen der Sicherheitskräfte nach sich ziehen würde.
Journalistische Arbeit ist unproblematisch möglich, solange bestimmte Themen ausgespart werden. Sobald jedoch Kritik an der AKP geübt wird, wird signalisiert, „Du bekommst Probleme“ und diese können von Befragungen bis zu Festnahmen und Anklagen reichen.
Selbst bei unverfänglichen Themen fühlen sich die Menschen mittlerweile nicht mehr frei und befürchten Repressionen, geben auf journalistische Fragen keine ehrlichen Antworten. Das Spiel mit der Angst greift, es gibt zwar noch ein paar kritische Nachrichtenagenturen, aber Journalist_innen erhalten auf Fragen meist die Antwort: „Gott schütze Erdogan“.
Keiner traut dem anderen. Bespitzelung und Denunziation auch untereinander, bei der manchmal einfach nur irgendwelche Namen genannt werden, führen zu einem Klima des Misstrauens. Dieses System aus Denunziation und Angst wird von unseren Gesprächspartner_innen als schlimmer eingeschätzt als die Situation früher.
Mit diesen Maßnahmen soll die kurdische Identität zerstört werden.
Anknüpfungspunkt für die Repression ist die kurdische Identität.
Unsere Gesprächspartner stellen abschließend fest: „Wir werden nicht verfolgt wegen unserer Meinung oder weil wir z.B. Lehrer oder Journalisten sind, sondern einfach weil wir Kurden sind.“