Rückkehr nach Tall Abyad

akcakalePınar Öğünç,Cumhuriyet, 18.Juni 2015

Die Richtung der Grenzüberquerungen in Akçakale hat sich umgekehrt. Ein Teil der Syrer, die vor Krieg und Bomben in der Türkei Zuflucht fanden, haben nun  begonnen nach Tall Abyad zurückzukehren. Die Rückkehr der bislang 1500 bis 2000 Syrer in ihren Heimatort ist wie eine Antwort auf die Behauptungen des Staatspräsidenten Erdoğan und der Regierung, dass die YPG eine ethnische Säuberung in der Region betreibe. Es wurde behauptet, dass die Syrer von Seiten der YPG/PYD-Kräfte gezwungen wurden ihre Häuser zu verlassen. Die YPG-Kräfte hingegen haben diese Unterstellungen der „ethnischen Säuberung“ entschieden zurückgewiesen. Der trotz der Schwierigkeiten durch Staatsbeamte weiter an der Grenze arbeitende DİHA-Journalist Hayri Demir hat mit einigen zurückkehrenden arabischen Familien gesprochen. Die Familien erzählten ihm vor allem von ihrer großen Freude. Nachdem sie telefonisch von ihren Verwandten aus den Dörfern bei Tall Abyad  die Nachricht erhielten, dass es vor Ort keine Probleme gäbe, sollen sie sich für die Rückkehr entschieden haben.

„Hier gibt es kein Problem, kommt zurück“

Um die Behauptungen von ethnischer Säuberung einordnen zu können, reicht es aus, einen Blick in den Gesellschaftsvertrag von Rojava zu werfen. Darin heißt es unter anderem: „Gegen die Ungleichbehandlung der Religionen, Sprachen, des Glaubens und der Geschlechter; für den Aufbau der Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie in einer gerechten und ökologischen Gesellschaft; für das Erlangen eines pluralistischen, eigenständigen und gemeinsamen Lebens mit allen Teilen einer demokratischen Gesellschaft und ihrem politisch-moralischen Selbstverständnis; für den Respekt vor den Frauenrechten und die Verwurzelung von Kinderrechten; für die Selbstverteidigung. Für die Freiheit und den Respekt vor dem Glauben geben wir als KurdInnen, AraberInnen, Suryoye (AssyrerInnen, ChaldäerInnen und AramäerInnen), TurkmenInnen und TschetschenInnen diesen Vertrag bekannt.“

Die Äußerungen von  Erdoğan

Direkt nach der Vertreibung des IS aus Tall Abyad kamen die Gerüchte von „ethnischen Säuberungen“ in Umlauf. Während die Türkei monatelang quasi problemlos den IS als Nachbar jenseits der Grenze akzeptiert hat, erklärte der Staatspräsident Erdoğan nach der Übernahme der Stadt durch die YPG, dass der neue Nachbar „eine Struktur [sei], die unsere Grenze gefährden kann“. Daraufhin wurden die Behauptungen, dass die syrischen Kurden die Region von Arabern und Turkmenen „säubern“ würden, von der Regierung und den regierungsnahen Medienorgane gestreut.

Ethnische Säuberungen und Genozide sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die international geächtet werden. Die UN erklärte, dass das Vorgehen des IS gegen die Êzîden als genozidär eingestuft werden könne. Amnesty International veröffentlichte eine Liste mit weiteren von der IS bedrohten Gemeinschaften: Die syrische Christen, die turkmenische Schiiten, die Schabak, die Kakai´s und die Mandäer. Den Behauptungen der türkischen Regierung zufolge sollen die Kurden, welche im syrischen Bürgerkrieg mit ihrem  Gesellschaftsvertrag in den drei Kantonen einen dritten Weg schufen, das Ziel einer „ethnischen Säuberung“ verfolgen. Selbst die Menschen aus Tall Abyad, die wir beim Übergang von Akçakale trafen, und die mit dem IS keine Probleme haben oder diese sogar unterstützten, wurden nicht von den syrischen Kurden gezwungen die Stadt zu verlassen. Sie erwähnten lediglich die Gefechte, die Lebensgefahr durch die Bombardements und die Kriegsbedingungen.

Der Aufruf zur Rückkehr

Der Kanton Cizîrê, der nun mit Kobanê vereint wurde, trägt eine symbolische Bedeutung. Mit einer Frauendelegation trafen wir im vergangenen Jahr in dem besagten Kanton im Ort Rimelan die Kovorsitzende Hediye Yusif, ihre assyrische Stellvertreterin Elizabet Gewriye und Frauen mit verschiedensten ethnischen, religiösen und konfessionellen Wurzeln. Ein weiteres interessantes Detail des Kantons ist, dass der andere Kovorsitzende Himedî Deham El Hadi ein Araber ist. Zudem ist der Exekutivratsvorsitzende des Kantons Ekrem Heso ein Mitglied des Kurdischen Nationalrates (ENKS). Er ist als also kein PYD Mitglied. Lassen wir eine immer noch gültige, in der Vergangenheit getätigte Aussage der Kovorsitzenden des Kantons EL Hadi sprechen: „Der einzige Weg, die Angriffe gegen diese Region zu stoppen, ist die Geschwisterlichkeit der Völker. Es gibt keinen anderen Weg. In dieser Zeit versuchen einige Kräfte, Differenzen zwischen unseren Völkern zu erzeugen. Doch unsere kurdischen Geschwister sind dem, mit dem von ihnen entwickelten Gesellschaftsprojekt zuvorkommen.“
Es wird erzählt, dass die YPG in eins bis zwei Tagen alle Menschen aus Tall Abyad dazu aufrufen wird, zurückzukehren. Die Rückkehr wird mit diesem Gesellschaftsvertrag und dem Weg, welche die syrischen Kurden damit eingeschlagen haben, als Antwort auf die Behauptungen der ethnischen Säuberung oder demografischen Manipulation genügen.

Türkische Stempel auf Pässen

Berichten zufolge waren in den Pässen von getöteten IS Mitgliedern in Tall Abyad Einreisestempel der Türkei zu finden. Amed Dicle, ein Mitarbeiter des Fernsehsenders Med Nûçe TV, hat Fotos von den Ausweisen und Pässen der besagten IS-Milizen, die in Tall Abyad gegen die YPG kämpften, veröffentlicht.

„50 IS Mitglieder sind in der Türkei“

Der Menschenrechtsverein IHD hat erklärt, dass 50 IS Mitglieder in die Türkei eingereist sind. Die IHD fordert die türkischen Behörden dazu auf,  die möglichen Aufenthaltsorte diese IS Milizen schnellstmöglich ausfindig zu machen. In der Nähe des Grenzübergangs bei Kilis wurden vier IS Mitglieder, die aus Syrien in die Türkei flüchteten, von Sicherheitskräften gefasst. Von fünf weiteren, die bei ihrer Flucht in die Türkei festgenommen wurden, sind drei mit syrischer Staatsbürgerschaft nach einer kurzen Anhörung wieder freigelassen worden. Die zwei anderen wurden in Gewahrsam genommen.

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