Elmar Millich, AZADÎ e.V., über die neue Qualität der Repressionen gegen kurdische Aktivisten und Institutionen in Deutschland; für den Kurdistan Report Nr. 200 November/Dezember 2018
Das Jahr 2018 wurde in Deutschland geprägt von seit den 1990er Jahren nicht mehr erlebten Angriffen auf die kurdische Befreiungsbewegung in allen Bereichen. Bereits mit dem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 2. März 2017, in dem u. a. das PKK-Verbot de facto auch auf die syrisch-kurdischen Organisationen PYD/YPG/YPJ ausgeweitet wurde, kam es zu zahlreichen Einschränkungen des Versammlungsrechts und Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen § 20 Vereinsgesetz aufgrund der Verwendung angeblich verbotener Symbole der kurdischen Befreiungsbewegung in der Öffentlichkeit. Mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch türkischer Truppen in die syrisch-kurdische Enklave Efrîn Ende Januar unter Mithilfe deutscher Panzer und den darauf erfolgenden Protestaktionen eskalierten die Behörden noch einmal ihren Repressionskurs bezüglich Einschränkungen des Versammlungsrechts. Eine für den 10. Februar vom kurdischen Dachverband NAV-DEM geplante Demonstration in Köln wurde kurzerhand verboten mit der Begründung, bei NAV-DEM handele es sich um eine Teilorganisation der PKK, die aufgrund des Vereinsgesetzes generell das Recht verwirkt habe, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und durchzuführen. Da nun jede größere Demonstration oder Versammlung zur Vorbereitung organisierte Strukturen und auch finanzielle Mittel braucht, zielte der Ausschluss von NAV-DEM als Anmelder darauf, jede größere Protestmanifestation gegen die angelaufene türkische Aggression in Efrîn zu unterbinden. Auch auf die kulturelle Befindlichkeit der ca. eine Million in Deutschland lebenden KurdInnen meinten die Sicherheitsbehörden keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Die für den 17. März in Hannover von NAV-DEM angemeldete zentrale Newroz-Feier – für die KurdInnen ein Symbol des Frühlings und des Widerstandes – wurde kurzerhand mit derselben Begründung wie in Köln ebenso verboten. Auch wenn beide Veranstaltungen dank entsprechender Entscheidungen der Verwaltungsgerichte stattfinden konnten, war die Richtung vorgegeben. Ausschlaggebend war auch hier wieder das BMI. Als »Orientierungshilfe« für alle Landesministerien und Strafverfolgungsbehörden verschickte es am 29. Januar ein erneutes Rundschreiben, wie das seit 1993 bestehende PKK-Verbot im Konkreten umzusetzen sei. In der neuerlichen Anordnung sind alle Anlässe »mit PKK-Bezug« aufgeführt wie »Versammlungen/Veranstaltungen, die der im Januar 2013 in Paris getöteten Anhängerinnen der PKK gedenken, Aktivitäten zum Newroz-Fest, das Zîlan-Festival, das Mazlum-Doğan-Festival, das Kurdistan-Kulturfestival« u. a. Im Fokus der Behörden stand dann auch die Verhinderung des für den 8. September im nordrhein-westfälischen Dinslaken geplanten Internationalen Kurdischen Kulturfestivals. Nach dem entsprechenden Festival des Jahres zuvor in Köln hatte die Türkei den deutschen Botschafter einbestellt, um gegen Öcalan-Fahnen zu protestieren, die dort gezeigt worden waren. Solche Geschehnisse sollten vor allem im Vorfeld des Staatsbesuchs von Präsident Erdoğan Ende September in Deutschland vermieden werden. Es erfolgte eine kurzfristige Absage des Festivals durch städtische Behörden wegen angeblicher Mängel des vorgestellten Sicherheitskonzepts. Die Begründung für das Verbot ist so glaubhaft wie die Räumung des Hambacher Forstes angeblich aus Brandschutzgründen.
Razzien wegen YPG-Fahnen
Von neuer Qualität waren auch die Angriffe auf die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen der kurdischen Bewegung und der deutschen Linken, die sich 2014 nach der Verteidigung Kobanês formiert hatten und sich im letzten Jahr anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg zeigten. Während und nach dem türkischen Einmarsch in Efrîn kam es zu regelrechten Hetzjagden auf Symbole von PYD/YPG/YPJ. Am 20. Februar um 9 Uhr rückte eine Hundertschaft vermummter und mit Maschinenpistolen bewaffneter PolizistInnen beim Gasthof des Widerstands in Meuchefitz (Wendland) an, um ein an der Hausfassade angebrachtes Transparent mit der Aufschrift »Afrîn halte durch: Türkische Truppen & deutsche Waffen morden in Rojava! Es lebe die YPG/YPJ« zu beschlagnahmen. In Thüringen, wo die Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt, kam es in Erfurt außer in Privatwohnungen und Geschäftsräumen auch zu einer Durchsuchung des Jugendbüros der Linken. Solche Razzien zogen sich im zweiwöchentlichen Rhythmus durch das ganze Jahr. Um einige Beispiele zu nennen: Am Vormittag des 23. Mai durchsuchten etwa 50 PolizeibeamtInnen die Räume des Alternativen Zentrums Alhambra in Oldenburg. Sie suchten Flaggen, die am 1. Mai in Solidarität mit den kurdischen Freiheitskämpfen gezeigt worden seien. Am Schluss beschlagnahmte die Polizei eine an die YPG angelehnte, selbst genähte Flagge. Am 13. Juni erfolgte aufgrund ähnlicher Vorwürfe eine Razzia in den Vereinsräumen von NAV-DEM in Berlin. Ebenfalls betroffen waren Räumlichkeiten des kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad. Am 19. Juni 2018 fanden im Raum Cuxhaven umfangreiche Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Vereinsgesetz statt. 100 PolizistInnen durchsuchten elf Objekte im Umfeld des Arbeitskreises Asyl Cuxhaven. Hintergrund der Beschlagnahmung zahlreicher Computer, Laptops und anderer Speichermedien waren mehrere Demonstrationen gegen die Efrîn-Invasion, die der Arbeitskreis angemeldet hatte. Als Begründung für die Hausdurchsuchungen diente in allen Fällen der Verdacht auf Verstoß gegen § 20 des Vereinsgesetzes: Auf Veranstaltungen und Demonstrationen seien angeblich verbotene Symbole der kurdischen Arbeiterpartei PKK oder ihr zuzurechnender Organisationen verwendet worden. In den meisten Fällen wurden neben den Büroräumen parallel auch Privatwohnungen durchsucht. Die Razzien gingen mit massiven und gezielten Sachbeschädigungen einher. Ziel dieser Razzien ist nicht wie vorgegeben die Sicherstellung von Beweismitteln, sondern Einschüchterung und die Ausspähung linker/kurdischer Zusammenhänge. Dass der Staat ganze Hundertschaften in Bewegung setzt, um ein paar Fahnen zu beschlagnahmen, zeigt die politische Priorität der Aktionen und steht in keinem Verhältnis zu den vorgeworfenen Delikten. Die meisten Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verwenden von Symbolen der kurdischen Befreiungsbewegung werden entweder eingestellt oder enden mit geringen Geldbußen.
Vor allem in Bayern nimmt die Verfolgung der Darstellung von YPG-Symbolen im Internet und den sozialen Netzwerken absurde Züge an. Gegen einen Berufsmusiker des Münchner Staatsorchesters wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er eine Internetseite des Bayerischen Rundfunks geteilt hatte, auf der YPG-Symbole abgebildet waren. Allein gegen den Münchner Wissenschaftler Kerem Schamberger laufen sieben bis acht Verfahren im Zusammenhang mit YPG-Fahnen auf seiner Facebook-Seite. Seine Postings wurden ca. 250 Mal geteilt, woraufhin auch gegen diese Personen Ermittlungen eingeleitet worden sind. Diese unsinnigen Strafverfahren führen im »Sicherheitsreport 2017« der Münchner Polizei zu dem Statement, die politisch motivierte Ausländerkriminalität sei um 75,4 Prozent gestiegen – von den meisten Medien unreflektiert übernommen.
Ebenfalls verschärft hat sich der Umgang mit Öcalan-Fahnen und dessen Konterfei auf Transparenten aufgrund des BMI-Erlasses vom März 2017. Wurde es in den letzten Jahren zwar in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, gab es in der Regel aber keine größeren Beanstandungen, wenn sie etwa auf kurdischen Massenveranstaltungen sowohl im Publikum als auch auf der Bühne gezeigt wurden. Die Polizei reagierte meist mit Personalienfeststellungen am Rande der Versammlungen. Mittlerweile wird überall auch gegen einzelne Symbole und Fahnen auf Versammlungen und Demonstrationen rigoros vorgegangen, auch wenn sie keinen primär kurdischen Hintergrund haben wie etwa bei der diesjährigen Luxemburg-Liebknecht-Gedenkdemonstration in Berlin. Juristisch verfestigt wurde dieses Vorgehen durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im letzten Jahr. Demnach sind Fahnen oder Transparente mit Abdullah Öcalans Bild nur auf kleinen Informationsveranstaltungen zulässig, bei denen es allein um sein persönliches Wohl oder seine Gesundheit geht. Auch bei einer Demonstration im Januar in Berlin mit der alleinigen Forderung »Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan« wurden im Auflagenbescheid Öcalan-Bildnisse untersagt. Die Begründung lautete, dass die Forderung »Frieden in Kurdistan« auf Öcalan in seiner Funktion als Führer der PKK hinweise.
Verlag durchsucht und Bücher beschlagnahmt
An zurückliegende Jahrzehnte erinnerte auch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen den Mezopotamien-Verlag und die »MIR Multimedia GmbH« in Neuss am 9. März. Auf Antrag des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA) hatte die 18. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf am 5. März die Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräume, Garagen und Fahrzeuge der beiden Unternehmen angeordnet. Neben Werken in türkischer und kurdischer Sprache betraf es auch die ins Deutsche übersetzten Schriften von Abdullah Öcalan und die Biographie von Sakine Cansız. Begründet wurde dieses polizeiliche Vorgehen mit der Behauptung, die beiden Vereine würden durch ihre Tätigkeiten »den organisatorischen Zusammenhalt« der »verbotenen PKK unterstützen« und hierdurch eine »vorteilhafte Wirkung« für diese hervorrufen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die SchriftstellerInnenvereinigung PEN-Zentrum Deutschland nannten das Vorgehen undurchsichtig und forderten von den Behörden eine nachvollziehbare Aufklärung des Vorgehens.
Auf der Strafrechtsebene kam es auch 2018 zu weiteren Festnahmen und Verurteilungen auf der Grundlage des § 129b StGB (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung). Generell lässt sich der Trend feststellen, dass bei Verurteilungen der Strafrahmen geringer ausfällt. Gegen Yunus O. verhängte das OLG Celle im März eine Strafe von anderthalb Jahren ohne Bewährung. Erfreulich ist, dass die ebenfalls wegen § 129b angeklagte Yıldız A. aufgrund des engagierten Einsatzes ihrer Rechtanwältin entgegen der gängigen Praxis in 129b-Verfahren schon nach wenigen Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Das Gericht erkannte an, dass aufgrund der Haft- und Foltererfahrung in der Türkei, die Yıldız schon mit zwölf Jahren erleben musste, eine erneute Inhaftierung nicht zu rechtfertigen sei. Im seit Juni 2016 in München gegen zehn Personen stattfindenden § 129b-Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in der TKP/ML sind mittlerweile auch die Hälfte aus der Untersuchungshaft entlassen, weil entweder die Dauer der Untersuchungshaft sich dem zu erwartenden Strafmaß annähert oder gesundheitliche Gründe einer weiteren Inhaftierung entgegenstehen. Im August wurden außerdem vier nach § 129b verurteilte kurdische Personen nach der vollständigen Verbüßung ihrer Haftstrafe freigelassen. Leider gehen auch nach der Haftentlassung die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen für die nach § 129b Verurteilten weiter. Obligatorisch ist die Verhängung einer sogenannten Führungsaufsicht von bis zu fünf Jahren. Während dieses Zeitraums kann der Person untersagt werden, mit bestimmten Personen in Kontakt zu treten, kurdische Vereine aufzusuchen oder zu bestimmten Themen politisch tätig zu werden. Des Weiteren erfolgt in der Regel – falls vorhanden – die Aberkennung des Asylstatus sowie Einschränkungen der räumlichen Bewegungsfreiheit verbunden mit wöchentlichen Meldeauflagen bei der Polizei. Ziel dieser »Bewährungsauflagen« ist die politische Isolation der Person im Anschluss an die körperliche Isolation während der Strafhaft. Allgemein lässt sich sagen, dass bei den Anklagen sowohl im Kontext der PKK als auch der TKP/ML in den allermeisten Fällen keine individuellen Strafvorwürfe existieren, sondern ausschließlich politisch legale Tätigkeiten als Unterstützung einer Terrororganisation gewertet werden. Aktuell sind im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der PKK gemäß § 129b in Deutschland neun Gefangene in Straf- oder Untersuchungshaft.
Die Gründe für die seit Jahrzehnten bestehende – das PKK-Verbot in Deutschland jährt sich dieses Jahr zum 25. Mal – und 2018 noch ausgeweitete Repression der kurdischen Befreiungsbewegung durch die deutschen Behörden sind vielfältig. Aufgrund der wirtschafts- und außenpolitischen Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen ist das repressive Vorgehen gegen die kurdische Opposition und Teile der türkischen und deutschen Linken in Deutschland der politischen Willensbildung im weiteren Sinne entzogen. Federführend sind das Bundeskriminalamt, die Bundesanwaltschaft, die Geheimdienste und engere Kreise in den Innenministerien von Bund und Ländern sowie des Außenministeriums. Die kurzfristige Neubewertung der PKK in der Öffentlichkeit und in den Medien um das Jahr 2015 herum als Folge der Rettung der ÊzîdInnen aus dem Şengalgebirge und der Verteidigung Kobanês hat diese Kreise nie beeindruckt. Bei der seit Ende 2017 auf der Agenda stehenden Wiederannäherung zwischen der Türkei und Deutschland dient der Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland von jeher als schmutziger Schmierstoff für die Überbrückung sporadisch auftretender Gegensätze. Ziel ist es, die Türkei auf jeden Fall im Lager der NATO zu halten. »Härteres Vorgehen gegen die PKK« zu versprechen, ist da allemal billiger und der Bevölkerung einfacher zu vermitteln als reale Zugeständnisse etwa bei der Visumspflicht für türkische StaatsbürgerInnen bei Einreisen in die EU. Die De-facto-Ausweitung des PKK-Verbots auf die syrisch-kurdischen Organisationen hat vor allem auch geopolitische Gründe in Bezug auf die weitere politische Entwicklung in Syrien. Die USA setzen zusammen mit Saudi-Arabien und Israel hauptsächlich auf die Zurückdrängung des Irans. Ihre militärische Präsenz in dem Gebiet der Demokratischen Konföderation Nordsyrien und ihr taktisches Bündnis mit den kurdisch geprägten Militärkräften der »Demokratischen Kräfte Syriens« (QSD) dient ihnen nach der weitgehenden Zerschlagung des Islamischen Staates als Verhandlungsmasse um die Zukunft des Landes. Deutschland setzt als maßgebende Kraft innerhalb der EU dagegen vor allem auf die Türkei und den Iran, um seinen Einfluss in der Region zu sichern. In diesem Zusammenhang wird aktuell auch die Präsenz der Bundeswehr im Irak ausgebaut.
Wie wird es weitergehen 2019? Aus den oben genannten Gründen ist nicht zu erwarten, dass Regierung und nachgeschaltete Behörden ihren Repressionskurs ändern werden. Im Mittelpunkt neuer Repressions- und Diffamierungskampagnen werden wahrscheinlich PYD/YPG/YPJ stehen, um sie als politische Kräfte bei der Neuordnung Syriens auszuschalten. Hierbei kann es auf europäischer Ebene durchaus zu Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich kommen, die im Mittleren Osten zum Teil auf andere Bündnispartner setzen.
Um in Deutschland wieder in die Offensive zu kommen, bedarf es entsprechenden politischen Drucks. Es bieten sich aber auch juristische Vorgehensweisen an, den Trend zunehmender Repression 2019 umzukehren. Das BMI hat bewusst Unklarheit geschaffen, in welchem Kontext das Zeigen der Symbole von PYD/YPG/YPJ strafbar ist. Dadurch ist die Verfolgung dieser angeblichen Delikte nach § 20 Vereinsgesetz zum klassischen Ermittlungsparagrafen geworden. Die meisten dieser Ermittlungen werden von den Staatsanwaltschaften wieder eingestellt oder spätestens von den Gerichten. Dann haben sie aber ihre Funktion durch die vorhergehenden Maßnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaften in Form von Einschüchterung, Ausspähung, Einschränkung des Versammlungsrechts und Stigmatisierung schon erfüllt. Hier bedarf es dringend juristischer Klarheit.