Der Journalist Halit Ermiş über die Strategien der internationalen und regionalen Akteure in der Post-IS-Ära, 04.06.2018
Nach den Stellvertreterkriegen werden die Widersprüche zwischen den Staaten immer deutlicher. Die Polarisierung oder Allianzen innerhalb der Region sind genauso instabil wie die Verwerfungslinien in aktiven Erdbebenregionen. Der Krieg in der Region, der lange vom Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) geprägt war, gewinnt nun sowohl im Rahmen der Widersprüche der globalen Mächte USA und Russland, als auch zwischen den USA und der Regionalmacht Iran an Dynamik.
Es scheint, als ob die Koalition der USA und der anderen Ländern des Westens nach ihren Lektionen im Irak und in Syrien einen neuen Plan zur Belagerung des Iran entwickelt hat. Es ist wahrscheinlich, dass die USA eine andere Vorgehensweise gegenüber dem Iran verfolgen wird – nicht zuletzt, weil sie seit 2003 im Irak, der im Vergleich zum Iran eine instabile Struktur besitzt, nicht ihre Ziele verwirklichen konnte und in Syrien ähnliche Erfahrungen machen musste.
Historisch gesehen, hat der Iran immer eine aktive Außenpolitik verfolgt, mit der Druck auf den jeweiligen Gegner ausgeübt wurde. Auf diese Weise versucht der Iran Gefahren von seinem eigenen Staatsgebiet fernzuhalten. Seine Strategie, schiitische Gruppen im Mittleren Osten zu organisieren, dient genau diesem Zweck. Dass die USA im Irak und in Syrien nicht ihre Ziele verwirklichen konnte, liegt auch am Iran. Aufgrund der Tatsache, dass die USA im Mittleren Osten aufgrund der soziokulturellen Struktur und der Religion keine Ergebnisse erzielen konnte, ist sie nun dazu gezwungen mit ihren westlichen Partnern – auf Grundlage der Erfahrungen der letzten 20 Jahre – eine Strategieänderung hinsichtlich der Belagerung des Irans vorzunehmen.
Dass die USA zuletzt versucht haben, die Linie vom Grenzübergang Abu Kamal bis nach Daraa zu erobern, die sich entlang der Grenze zu Jordanien erstreckt, ist ein Teil der neuen Strategie gegen den schiitischen Korridor des Iran. Der Grenzübergang Abu Kamal ist eine der Hauptverbindungslinien zwischen dem Irak und Syrien. Der Grenzübergang Tanaf im Süden vervollständigt diese Verbindung und ist für die Verbindung zwischen Syrien und Jordanien strategisch wichtig. Wenn es die USA schaffen diese Linie zu erobern, können sie von der Grenze des Irak (angefangen beim Grenzübergang Abu Kamal) bis ganz in den Süden in Daraa zwischen Syrien und Jordanien den Weg komplett abriegeln. Somit wird dem Iran die Strecke, die für den schiitischen Korridor vorgesehen war, verwehrt. Auch die Grenze Daraas, das weiter im Süden liegt und für Israel – aufgrund möglicher Angriffe von hier aus – eine immense Bedeutung besitzt, wird unter US-israelische Kontrolle geraten.
Wenn diese Linie unter die Kontrolle der USA und Israels gerät, werden alle Landwege zwischen Syrien und Jordanien abgeschnitten sein. Ohnehin wird Daraa größtenteils von Organisationen kontrolliert, die den USA nahe stehen. Diese Strukturen werden größtenteils von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Die jüngsten Aussagen Israels, man werde in Syrien keinen Einfluss und keine Präsenz des Iran akzeptieren, deuten drauf hin, dass der Konflikt ein kompliziertes und militärisches Ausmaß annehmen wird.
Wie bereits am Anfang erwähnt, besteht das Ziel darin, Irans schiitische Politik erst in der Region zunichte zu machen, die Verbindungsrouten zu unterbrechen und den Iran dazu zu zwingen, sich auf sein eigenes Territorium zurückzuziehen. In dieser Situation wird das Verhalten Russlands sehr wichtig sein. Die USA haben sich nicht gegen die Erlaubnis Russlands an die Türkei gestellt, Afrin zu besetzen und vor Ort einen Genozid durchzuführen. Im Gegenzug scheint es sehr wahrscheinlich, dass Russland amerikanische Offensiven in Daraa und den weiter nördlich gelegenen Regionen Hama und Humus dulden wird. Denn wenn die USA die Grenze zum Irak und Jordanien und Daraa mittels ihr nahestehender Gruppen kontrolliert, könnte es möglich werden, unter Einbezug der Grenzen des Libanon Syrien einzukesseln und den Einfluss des Iran in Syrien vollständig zunichte zu machen. In diesem Fall könnten die USA von Russland verlangen: „Was ich dir in Afrin erlaubt habe, musst du mir auch erlauben.“ In letzter Zeit gab es wohl zahlreiche Gespräche zwischen Russland und den USA hinsichtlich der Linie von Daraa aus in den Norden.
Nun lautet die Frage, wie sehr dieses mögliche Abkommen zwischen Russland und den USA das Astana-Format zwischen dem Iran, der Türkei und Russland beeinflussen würde. Sollte Russland seine Zustimmung geben, würde dies zu einem Konflikt mit dem Iran führen. In dieser Situation würde sich das Astana-Format auflösen. Selbstverständlich würde das auch Folgen für die Türkei haben. In einer solchen Situation, egal ob die Türkei sich mit Russland oder mit den USA verbündet, wäre die Allianz zwischen der Türkei und dem Iran nicht mehr haltbar.
Doch während die USA, der Westen und Israel versuchen ihre Pläne umzusetzen, wird der Iran nicht tatenlos zuschauen und stattdessen mit Gegenmaßnahmen antworten. In ihren einflussreichen Gebieten im Mittleren Osten wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit neue taktische Angriffe durchführen. Das wird zur Folge haben, dass sich das regionale Chaos vertieft. Chaos ist ein grundlegendes Merkmal des Dritten Weltkriegs. Daher ist es schwierig zu vorherzusagen, zu welchen Entwicklungen es morgen kommen wird.
Die Kolumne erschien im Original am 30.05.2018 unter dem Titel „Suriye’nin güneyindeki oyun planı ne?“ in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika.