Die Rechtsanwälte Dr. Lukas Theune und Dr. Peer Stolle haben beim Bundesinnenministerium einen Antrag auf Aufhebung des Betätigungsverbots der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingereicht. Im Anschluss informierten die Rechtsanwälte im Haus der Bundespressekonferenz über den Hintergrund ihres Antrags. Veranstalter der Pressekonferenz war der Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD e.V.), die Moderation übernahm Rechtsanwältin Heike Geisweid. Stellvertretend für die durch das PKK-Verbot kriminalisierte kurdische Community in Deutschland sprach Dîlan Akdoğan.
Das Betätigungsverbot für die PKK (Partiya Karkerên Kurdistan) in Deutschland ist am 26. November 1993 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther erlassen worden. Auf der Pressekonferenz wurde dargelegt, dass sich die Verhältnisse seit 1993 geändert haben und eine Aufrechterhaltung des Verbots nicht mehr zu rechtfertigen ist. Die PKK begehe keine Straftaten in Deutschland und stelle damit keine Gefahr für die innere Sicherheit dar. Auch die Ideen und Ziele der Organisation hätten sich seitdem geändert. In der Türkei hingegen sei ein Regime entstanden, das demokratische Grundsätze mit Füßen trete.
Dîlan Akdoğan begrüßte den Antrag auf Aufhebung des Verbots und legte dar, welche Auswirkungen sich daraus auf die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden ergeben: „Seit Jahrzehnten wird die in Deutschland lebende kurdische Community seitens der deutschen Behörden auf der Grundlage des im Jahre 1993 erlassenen Betätigungsverbotes gezielt kriminalisiert. Während die meisten Einwanderer:innen in Deutschland ihre kulturelle Identität – etwa durch Gründung von Vereinen, Medien und Kultureinrichtungen – ungestört ausüben können, stehen kurdische politische, kulturelle und soziale Aktivitäten unter dem Generalverdacht des sogenannten PKK-Bezuges. Die Folgen sind fortwährende Überwachung, Diffamierung und Kriminalisierung fast sämtlicher kurdischer Aktivitäten in Deutschland. Dabei kommt es immer wieder zu erheblichen Grundrechtseingriffen – etwa in die Versammlungsfreiheit oder die Meinungsfreiheit.“
Der deutsche Staat bediene sich unterschiedlicher Methoden der Repression, die auch unterschiedliche Auswirkungen auf die sich politisch betätigenden Personen haben, so Dîlan Akdoğan: „Zu nennen ist in diesem Zusammenhang v.a. Halim Dener, der am 29. Juni 1994 in Hannover beim Plakatieren einer PKK-Fahne von einem deutschen Polizisten erschossen worden ist. Darüber hinaus wurden und werden kurdische Aktivistinnen und Aktivisten zu langjährigen Haftstrafen auf der Grundlage der §§ 129 a/b des StGB verurteilt. Dabei kann man ihnen keine individuellen Straftaten nachweisen, alles was ihnen zur Last gelegt wird, sind beispielsweise das Organisieren von Demonstrationen oder das Sammeln von Spendengeldern, was auch erst vorletzte Woche dem kurdischen Aktivisten Özgür A. zum Verhängnis wurde. Sehr oft haben Menschen auch aufgrund ihrer politischen Aktivität mit aufenthalts- oder einbürgerungsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Dabei reicht die Teilnahme an Demonstrationen oft schon aus, um Menschen pauschal als Feinde unserer Verfassung zu diffamieren und ihnen auf dieser Grundlage die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen oder sie sogar abzuschieben. So wurde beispielsweise Murat Akgül, der seit über 20 Jahren in Nürnberg wohnte und Vater von vier Kindern ist, im Mai 2019 in die Türkei abgeschoben nachdem sich der Verfassungsschutz mit ,sicherheitsrelevanten Erkenntnissen’ an die Ausländerbehörde gewandt hatte und die Ausländerbehörde dann über die Ausweisung des 59-Jährigen verfügte.
Zuletzt sind in Deutschland auch weitestgehend das Zeigen der Symbole der Arbeiterpartei Kurdistans sowie des Abbildes von dem kurdischen Repräsentanten Herrn Abdullah Öcalan verboten, was immer wieder auch dazu führt, dass Menschen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz oder des Vereinsgesetzes sanktioniert werden. Auch die Solidarität von deutschen Staatsangehörigen mit der kurdischen Bewegung gerät zunehmend in das Visier der Verfolgungsbehörden. Das Anmelden von Demonstrationen wird als Grundlage dafür verwendet, um Menschen die Ausweisdokumente zu entziehen. So geschehen gegenüber dem 24-Jährigen Studenten Uli hier in Berlin, der letztes Jahr die Großdemo für die Aufhebung des PKK-Verbotes angemeldet hatte.“
„Ich war fünf Jahre alt“
Auch sie persönlich sei seit ihrer Kindheit mit Repression konfrontiert, führte Dîlan Akdoğan weiter aus: „An eine Situation aus meiner Kindheit kann ich mich noch sehr gut erinnern, bei der wir voller Vorfreude und in unseren traditionellen kurdischen Kleidern auf das kurdische Newrozfest 1996 in Köln wollten, dieses aber von den deutschen Behörden verboten worden ist und letztlich mein Vater vor meinen Augen und den Augen meines jüngeren Bruders abgeführt wurde, indem man seine Hände hinter seinem Rücken mit Kabelbindern fesselte. Ich war fünf, mein Bruder drei Jahre alt. Die im allgemeinen Sprachgebrauch als Freund und Helfer bekannten Polizisten waren für die kurdischen Kinder immer negativ konnotiert und sie waren diejenigen, vor denen wir uns gefürchtet haben, und zugleich diejenigen, denen gegenüber wir Wut empfunden haben.“
Diese Verbotspraxis habe sich von Generation zu Generation weitergetragen: „So haben wir als kurdische Gesellschaft seit dem Bestehen des Verbotes systematische politische, soziale und kulturelle Ausgrenzung erfahren. Wir fühlen uns ignoriert, ausgegrenzt und diskriminiert. Wir haben das ständige Gefühl, in unseren Belangen nicht ernst genommen zu werden. Diese Haltung der BRD gegenüber unserer Community führt dazu, dass wir uns dazu gedrängt fühlen, eine Entscheidung zu treffen, die Entscheidung, sich von unserer politischen und kulturellen Identität abzuwenden und sie zu verleugnen oder sich bewusst der Repression auszusetzen und sich nicht zu beugen. Man versucht Kurden zu schaffen, die sich fremd bestimmen lassen, die nur dann von den deutschen Behörden und Institutionen akzeptiert werden, wenn sie ihre kulturelle Geschichte und gesellschaftliche Wahrheit, die sie zu dem machen, was sie sind, verleugnen. Somit setzt der deutsche Staat im Grunde die Politik fort, die der türkische Staat begonnen hat. Kurdinnen und Kurden, die staatliche Repression durch den türkischen Staat erleiden mussten und Zuflucht in Deutschland gesucht haben, weil sie sich eben nicht verleugnet haben und hinter ihrer Identität standen, wurden und werden auch hier in Deutschland mit denselben Methoden konfrontiert, die der türkische Staat angewendet hat. Das Trauma der Unterdrückung und Ausgrenzung wird also fortgesetzt.
Dabei hatte man sich eigentlich von einem Land wie Deutschland, welches immer wieder die demokratischen Werte hervorhebt und sich auf der Seite der Menschenrechte positioniert, eben erhofft, dass diese Menschenrechte auch den Kurdinnen und Kurden zugesprochen werden.
Wir betrachten die seit Jahrzehnten andauernde Verbotspraxis als ein Demokratiedefizit der Bundesrepublik Deutschland, das schleunigst überwunden werden muss. Sie verhindert die gesellschaftliche Partizipation und Integration von unserer Gesellschaft in der BRD, da wir als sogenannte Gefährder oder Feinde der Verfassung dargestellt werden, obwohl wir nichts anderes tun, als von unseren Grund- und Menschenrechten Gebrauch zu machen. Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehört es auch, dass man sich gegenseitig zuhört, doch dieses Verbot führt zu einer Dämonisierung unserer Gesellschaft und lässt nicht zu, dass wir gehört werden.“
Völkerrechtswidrige Angriffskriege der Türkei
Darüber hinaus stärke das Betätigungsverbot der PKK auch den Rücken des türkischen Staates zur Führung völkerrechtswidriger Kriege, so Dîlan Akdoğan: „Aktuell führt der türkische Staat unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eine völkerrechtswidrige militärische Invasion im Nordirak durch. Dabei sind jegliche kurdische Errungenschaften im Visier des türkischen Staates. Auch in diesem Zusammenhang erkennt man wieder die Positionierung der BRD hinter der Türkei, indem die Erklärungen des türkischen Staates angesichts des aktuellen Krieges unhinterfragt übernommen werden. Die kurdische Perspektive hingegen wird vollkommen ignoriert und ausgeblendet.
In diesem Sinne sind wir der Auffassung, dass ein Umdenken der BRD im Hinblick auf die kurdische Bewegung und damit einhergehend auch im Hinblick auf die kurdische Gesellschaft erforderlich ist. Würde die BRD zu erkennen geben, dass man auch die kurdischen Belange ernst nimmt und die kurdische Seite als Partei in einem bewaffneten Konflikt als solche auch akzeptiert, indem man eben das Betätigungsverbot aufhebt, so würde dies als ein Signal an die Türkei gewertet werden können und der Türkei auch die Legitimationsgrundlage zur Führung von völkerrechtswidrigen Kriege entziehen.
„Die kurdische Frage kann nur über einen Dialog gelöst werden“
Vor diesem Hintergrund sind wir der Auffassung, dass eine Aufhebung des Betätigungsverbotes der PKK dazu beitragen wird, sowohl das Demokratiedefizit in der BRD zu beseitigen und die gesellschaftliche Barriere der Kurdinnen und Kurden zu ihrer Integration und Partizipation aufzuheben, als auch ein Signal an die türkische Regierung zu senden, diesen Konflikt über einen Dialog zu lösen. Die Erfahrungen aus der jahrzehntelangen Auseinandersetzung der Kurdinnen und Kurden mit dem türkischen Staat haben gezeigt, dass eine militärische Lösung des Konfliktes unmöglich ist. Die kurdische Frage kann nur über den Dialogweg gelöst werden. Vor diesem Hintergrund richtet sich unsere Erwartung auch an die deutsche Bundesregierung: nutzen Sie Ihre wirtschaftliche Stärke, um als Initiator des Friedens zu fungieren, symbolisieren Sie dem türkischen Staat durch die Entkriminalisierung der kurdischen Bewegung, dass diese die kurdische Seite und ihre Demokratisierungsbestreben ernst zu nehmen hat. Leisten Sie einen Beitrag dazu, den Krieg in Kurdistan und in der Türkei zu beenden und die Türkei durch die Eröffnung des Dialogweges auf eine demokratischere Plattform zu ziehen, denn die Türkei hat die Ebene eines demokratischen Rechtsstaates schon längst verlassen. Eine stabilere und demokratischere Türkei ist auch im Interesse der BRD.
Blenden Sie die Kriegsverbrechen, die der türkische Staat tagtäglich begeht, nicht aus. Die PKK ist als Resultat der jahrzehntelangen türkischen Unterdrückungs- und Verleugnungspolitik zu verstehen. Eine Ausblendung der Hintergründe des Konfliktes wird nicht zu einer Lösung führen. Vielmehr ist ein intensiver Diskurs mit den Betroffenen erforderlich. Es ist ein Diskurs mit der kurdischen Gesellschaft erforderlich. Wir als kurdische Gesellschaft sind bereit für den Dialog. Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden und als ein Teil der in Deutschland lebenden Gesellschaft die gesellschaftlichen Probleme mit anpacken und mitgestalten. Wir wollen ein Teil dieser Gesellschaft sein, ohne uns verstellen zu müssen, wir wollen akzeptiert werden mit unserer politischen und kulturellen Identität. Und wir sehen diesen Antrag zur Aufhebung des Verbotes als eine Chance der Eröffnung des Dialogweges.
Unser Appell richtet sich daher an die Bundesregierung und an Bundesinnenministerin Nancy Faeser: Das Motto der neuen Regierung lautet ja ,Mehr Fortschritt wagen’- wagen Sie den Fortschritt und geben Sie dem Antrag der Arbeiterpartei Kurdistans zur Aufhebung des Verbotes der PKK statt, unterstützen Sie die Bestrebungen nach Demokratie und Selbstbestimmung einer seit Jahrhunderten unterdrückten Gesellschaft.“
Demonstration und Forum in Berlin
Am Samstag findet in Berlin eine bundesweite Demonstration unter dem Motto „Defend Kurdistan – Gegen türkische Besatzung und US-Imperialismus“ statt. Am 18./19. Juni ist in Berlin ein Forum unter dem Motto „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot: Jetzt reden wir!“ angekündigt. Es werden auf dem Forum Menschen zu Wort kommen, die von Diskriminierung, Stigmatisierung und Repression durch staatliche Institutionen in rechtlicher Hinsicht betroffen waren und es immer noch sind.