Die Wahlen in der Türkei und neue Besatzungspläne für Südkurdistan

Der Journalist Seyit Evran über die türkischen Angriffe auf Südkurdistan und deren Verbindung mit den Angriffsplänen Englands und der USA gegen den Iran, 02.07.2018

In der Türkei haben Wahlen stattgefunden. Deren Ergebnis stand bereits vorher aufgrund des Englandbesuchs Reccep Tayyip Erdogans und des Abkommens von AKP- und US-Vertretern bezüglich Minbic fest. Erdogan bleibt also an der Macht. In diesem Zusammenhang stellen sich einige äußerst entscheidende Fragen: Auf was einigten sich die verschieden Seiten bei den oben erwähnten Treffen? Welche Verpflichtungen ging Erdogan ein? Und was genau wurde von ihm verlangt?

Gegenleistung für die Zustimmung Englands

Kurz vor den Wahlen besuchte Erdogan England. Niemand kann bestreiten, dass das Zentrum der anti-kurdischen und die gesamte Region betreffenden Politik seit dem 19. Jahrhundert in England liegt. Bei seinen Besuch in England sicherte sich Erdogan die Zustimmung für die in der Region vorgesehenen Maßnahmen. Als Gegenleistung für die Umsetzung der von England vorgesehenen Politik im Mittleren Osten ergab sich Erdogan dem internationalen Kapital und akzeptierte all dessen Forderungen bedingungslos. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Abkommen unterzeichnet. England veröffentlichte nach dem Besuch in den Medien eine lange Liste von z.T. geheimen Forderungen an Erdogan, mit deren Umsetzung er beauftragt wurde. Der Englandbesuch Erdogans und der Abschluss zahlreicher Abkommen, die einer Unterwerfung unter das internationale Kapital gleich kommen, ähnelt stark den Abkommen aus der Phase der 1929 begonnenen Wirtschaftskrise, die letztendlich zu einem Auslöser für den Zweiten Weltkrieg wurde. Als Ausweg aus der wirtschaftlichen, sozialen und politische Krise wurde Hitler ab 1929 vom internationalen Kapital gefördert. Dies lag in dem Plan begründet, durch den Hitler-Faschismus die Region und die Welt neu zu ordnen. Es wäre daher nicht falsch davon zu sprechen, dass England nun Erdogan eine Aufgabe gegeben hat, die der damaligen Rolle Hitlers ähnelt. Die Welt ist derzeit von einer ökonomischen, politischen und sozialen Krise geprägt. Erdogan wird nun dafür benutzt, den Weg für einen Ausweg aus der Krise zu bereiten.

Das Minbic-Abkommen mit den USA

Nach dem Englandbesuch Erdogans unterschrieben die USA und Erdogan bzw. die AKP ein Abkommen bezüglich Minbic. Dieses Thema stand zuvor lange als Teil eines umfassenden Besatzungs- und Kolonisierungsplans für Nordsyrien auf der Agenda der Türkei. Das Abkommen ist Teil der Mission, die England Erdogan zuvor anvertraut hatte. Die USA wollten im Rahmen der Vereinbarungen mit der Türkei den Plan Englands vervollständigen. Bis jetzt sind die Besatzungstruppen der Türkei nicht in Minbic einmarschiert. Sie führen derzeit gesonderte und eigenständige Patrouillen in der Region durch. Im Rahmen des Abkommens stationierte die Türkei offiziell eigene Soldaten in Cerablus, die nun die zuvor angesiedelten Türkei-nahen Milizen ersetzen. Die Präsenz der Türkei in Cerablus erhielt somit einen von den beteiligten Akteuren anerkannten offiziellen Status. Denn zuvor hatte die Türkei in Cerablus keinerlei offizielle Anerkennung genossen. Es erschien sogar recht wahrscheinlich, dass die internationalen Mächte die Präsenz türkischer Kräfte in Nordsyrien als Besatzung bewerten würden. Doch durch das oben erwähnte Abkommen endet diese Besatzung faktisch. Die Türkei führt nun Patrouillen entlang dem Ufer des Flusses Sacur durch, das auf der Seite Cerablus‘ liegt. Gleiches tun die amerikanischen Kräfte auf der Seite des Sacur-Flusses, die zu Minbic gehört. Soweit der bisher umgesetzte Teil des türkisch-amerikanisches Abkommens. Doch es existiert auch ein Plan, mithilfe durch den türkischen Geheimdienst MIT in der Türkei ausgebildeter Personen, die aus Syrien oder Minbic selbst stammen, die Kontrolle über Minbic zu gewinnen und die Stadt auf diesem Weg zu besetzen.

Welche Aufgaben haben England und die USA Erdogan gegeben?

Nachdem Erdogan sich der Unterstützung England versichert und mit den USA das Minbic-Abkommen abgeschlossen hatte, wurde er mit Billigung dieser beiden Kräfte unter Einsatz massiver Wahlmanipulationen zum Präsidenten gewählt. Alle Beobachterinnen und Beobachter sprechen bereits davon, dass diese Wahlen keinerlei Legitimität genießen. Es wird sogar berichtet, das Erdogan sowohl den Präsidentschaftskandidaten der CHP, Muharrem Ince, als auch die Kandidatin der IYI-Parti, Meral Akşener, bedrohte, um sie zur Anerkennung der Wahlergebnisse zu drängen. All dies zeigt, wie unzulänglich die Wahlen in der Türkei waren. Zudem wird deutlich, dass England und die USA Erdogan die Aufgabe erteilten, sich auch unter Einsatz von Wahlmanipulationen zum Präsidenten wählen zu lassen.

Es gibt sicherlich sehr wichtige Gründe dafür, dass England und die USA Erdogan die Erlaubnis für derartige Maßnahmen geben. Ganz oben steht dabei die Absicht, die Türkei in den Kampf gegen den Iran einzuspannen, sie in einen Krieg zu verwickeln und zugleich in ein Embargo gegen den Iran einzuspannen. Als Teil dieses Plans wurde Erdogan und der AKP die Aufgabe zugeteilt, die Gebiete Bradost und Kandil in Südkurdistan (Nordirak) zu besetzen. Die Besatzung dieser Gebiete ist Teil der Angriffe gegen den Iran, den die USA und England seit langer Zeit planen. Das Minbic-Abkommen zwischen den USA und Erdogan bzw. der AKP ist ein Teil dieses Planes, der vorsieht, den Iran durch die Besatzung Bradosts und Kandils einzukreisen. Auf diesem Weg könnte ein Angriff gegen den Iran zeitlich vorgezogen werden. Auch die KDP und die Regierung Südkurdistans sind offensichtlich ein Teil dieses Plans. Nicht anders können ihr Schweigen und ihre Vorwände angesichts der Besatzung der beiden Gebiete Südkurdistans verstanden werden. Es gab zudem in den letzten Tagen Berichte darüber, dass KDP-treue Parteien in Ostkurdistan (Nordwestiran) an einem Treffen mit US-Vertretern teilgenommen haben. Dies ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die KDP und mit ihr verbundene ostkurdische Parteien an dem Plan beteiligt sind. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Situation auf die Beziehungen zwischen der KDP und dem Iran auswirken werden. In der Zeit nach dem irakischen Einmarsch in Kirkuk und in weiteren umstrittenen Gebieten hatten sich die Beziehungen der beiden Seiten zunächst wieder deutlich verbessert. In Erbil fand eine zweitägige Konferenz zu den Themen Wirtschaft und Investitionen statt, in deren Folge der Iran erklärte, er werde in Erbil und anderen Teilen Südkurdistans Krankenhäuser bauen. Die Beteiligung der KDP an der Besatzung Bradosts und Kandils, die ein Teil der gegen den Iran gerichteten Pläne ist, wird die Beziehungen der KDP zum Iran negativ beeinflussen. All dies könnte zu einem schweren Durcheinander in Erbil führen.

Ein weiterer Grund für die Unterstützung der USA und Englands für Erdogan ist deren Absicht, die AKP auf den Pfad des politischen Islam zurück zu führen. Ein derartiger Wandel Erdogans und der AKP würde bedeuten, dass sie sich von ihrer mittlerweile offen zur Schau gestellten und äußerst besorgniserregenden Identität verabschieden würden. Zugleich würde die Türkei sich damit gegen die von ihr aufgebauten islamistischen Kräfte, stellen allen voran den Islamischen Staat (IS) und Al-Nusra. Ob die AKP und Erdogan dazu bereit sind, ist noch unklar. Denn Erdogan und die AKP wollen in Verbindung mit ihrer dschihadistischen Identität akzeptiert werden. Für die internationalen Mächte, insbesondere für die USA, England und Frankreich, ist es äußerst schwer, Erdogan mit dieser Identität anzuerkennen. Denn gerade sie sind es, denen die dschihadistischen Kräfte schwere Schläge versetzen konnten. Erdogan saß gewissermaßen zwischen zwei Stühlen. Doch er akzeptierte die ihm aufgetragenen Aufgaben, da er selbst wusste, dass er andernfalls nicht an der Macht bleiben kann. Dem aufmerksamen Beobachter wird aufgefallen sein, dass sich Erdogan daher zum ersten Mal nicht über seine Wiederwahl freute. In seiner Rede am Wahlabend war nichts von dem Enthusiasmus, dem lauthalsen Geschrei und den Drohungen aus der Vergangenheit zu spüren. An seiner Stelle spricht nun Süleyman Soylu Drohungen in alle Richtungen aus. Es scheint so, als würden ihm dafür in Zukunft nicht mehr allzu viele Gelegenheiten geboten werden.

Ein Plan gegen den Iran auf Kosten der Kurden

Für die Ausführung des Plans Englands und der USA erhielt Erdogan als Gegenleistung die Erlaubnis, die Kurdinnen und Kurden zu liquidieren. Deshalb erklärt Erdogan die kurdischen Errungenschaften in Rojava und Nordostsyrien zu seinen Angriffszielen. Die Besatzung Afrins möchte er auf Minbic und weiter bis zum Kanton Cizire ausweiten. Erdogan vermittelt den Eindruck, er richte seine Angriffe gegen die Kurdische Freiheitsbewegung, um die Errungenschaften in Rojava und Nordostsyrien zerstören zu können. Ohne Zweifel finden die dortigen Entwicklungen unter Führung der kurdischen Freiheitsbewegung statt. Sie sind ein Ergebnis des Kampfes der Kurdischen Freiheitsbewegung. Doch sie sind keineswegs nur die Errungenschaften einer einzigen Bewegung, sondern aller Kurdinnen und Kurden und der gemeinsam mit ihnen lebenden Völker. Diese Gebiete zu Angriffszielen zu erklären bedeutet, die im Namen der Kurden und der anderen Völker erzielten Errungenschaften anzugreifen. Dasselbe erhofft sich Erdogan für die südkurdischen Gebiete Bradost und Kandil. Auch hier nutzt er die kurdische Freiheitsbewegung als Vorwand für seine Angriffe. Doch alle wissen, dass sich die Angriffe gegen alle Kurdinnen und Kurden richten. Bis auf die KDP sind sich alle südkurdischen Parteien der eigentlichen Ziele Erdogans und der türkischen Besatzungsmacht bewusst. Daher haben all diese Parteien ein Bündnis gegen die Besatzung geschlossen. Denn die Bevölkerung Südkurdistans und die Parteien sind sich darüber bewusst, dass die Angriffe Erdogans und des türkischen Staates ganz Südkurdistan, die dortigen Errungenschaften und die gesamte Region vernichten sollen.

Einheit als Lösung für die Kurden

Die Kurdinnen und Kurden verfügen über zahlreiche Handlungsoptionen gegen die Besatzungs- und Zerschlagungspläne. An erster Stelle steht die Durchführung eines Nationalen Einheitskongresses, um die Einheit der kurdischen Nation zu sichern. Auf diesem Weg würde man die gefährlichen Pläne Erdogans für die Region und die Kurden verhindern können. Somit würde auch der ‚Albtraum Erdogan‘ für die Region und die Kurden endlich ein Ende nehmen.

Im Original erschien der Artikel am 30.06.2018 unter dem Titel “Türkiye seçimleri ve yeni işgal planları” auf der Homepage der Nachrichtenagentur Firatnews (ANF).