Elif Dogan, Firatnews 27.12.2016
„Die Wahrheit wird nicht im Dunkeln bleiben“ – mit diesem Slogan trat die Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Agenda) erstmals am 30. Mai 1992 ans Tageslicht. Und seit diesem Tag sitzt die Zeitung auf der Zielscheibe der Herrschenden in der Türkei und ihrer Handlanger. Die Liste der Angriffe gegen Özgür Gündem und ihre Mitarbeiter reicht von einem Bombenanschlag auf die Redaktionsräume, über unzählige Schließungsverfahren gegen das Blatt bis hin zu zahlreichen Morden an Journalisten, die für die Zeitung gearbeitet haben.
Doch trotz all dieser Angriffe ist die Zeitung nie von ihrer Linie abgekommen. Die Schlagzeile auf der Titelseite ihrer ersten Ausgabe lautete: „Die Macht liegt zweifellos in den Händen der Staatssicherheitsgerichte“. Mit dieser Schlagzeile war bereits klar, welche Linie diese Zeitung einschlagen würde. Özgür Gündem war aber nicht bloß ein regierungskritisches Blatt. Sie war auch die erste Zeitung, die zweisprachig auf Türkisch und Kurdisch erschien.
Natürlich fühlten sich die Machthaber in der Türkei schnell gestört von einer Zeitung, die ihren Fokus auf die kurdische Frage und auf das Demokratiedefizit im Land legte. Über solche Themen hatte man nämlich laut Ansicht der Herrschenden zu schweigen. Doch das schüchterte die Journalisten von Özgür Gündem nicht ein. Sie übernahmen mit Stolz das Erbe der Wochenzeitung Özgür Ülke (Freies Land) und gingen mit einer täglichen Auflage an den Start. Die Aufgabe des Herausgebers der Zeitung übernahm der erfahrene Journalist Ragıp Duran. Und mit seinem mutigen Team steigerte Duran die Auflage der Zeitung in kurzer Zeit auf 30.000 Exemplare täglich.
Doch bereits am 8. Juni 1992, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Zeitung gerade erst eine Woche erschien, wurde ihr Journalist Hafız Akdemir in Amed (Diyarbakir) auf offener Straße ermordet. Er war das erste Opfer der freien kurdischen Presse in der Türkei, doch leider sollte er nicht das letzte Opfer bleiben. Wenn man die Erscheinungszeit der Wochenzeitung Özgür Ülke mitberechnet, so wurden in der 26 jährigen Geschichte der freien kurdischen Presse insgesamt 76 Journalisten, Kolumnisten und Zeitungsverteiler durch paramilitärische Einheiten des tiefen türkischen Staates ermordet. Die Täter wurden nie gefasst – weswegen in der Türkei von sog. „Morden mit unbekannten Tätern“ gesprochen wird. Doch eigentlich weiß jeder, wer diese Mörder sind.
„Militante, die als Journalisten getarnt sind“
Nach dem Mord an Hafız Akdemir folgte bereits am 31. Juli 92 die Ermordung des Journalisten Yahya Orhan in Êlîh (Batman). Am 5. August 92 wurde dann der 19jährige Journalist Burhan Karadeniz in Amed infolge eines Angriffs von islamistischen Banden, die gemeinsam mit dem türkischen tiefen Staat agierten, Querschnittsgelähmt. Nur vier Tage nach diesem Vorfall wurde in Riha (Urfa) der Journalist Hüseyin Deniz ermordet. Am 20. September desselben Jahres wurde schließlich der kurdische Intellektuelle und Journalist Musa Anter in Amed ermordet. Auf eine Nachfrage des Journalisten Hasan Cemal, weshalb sich in der Türkei in jenen Tagen diese Vorfälle häuften, antwortete der damalige türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel wie folgt: „Bei den Getöteten handelt es sich unseres Wissens nach nicht um Journalisten. Das sind Militante, die als Journalisten getarnt sind. Und sie töten sich gegenseitig.“
Trotz all dieser Angriffe gaben die Mitarbeiter von Özgür Gündem ihre Arbeit nicht auf. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, den schmutzigen Krieg des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung an die Öffentlichkeit zu tragen. Und davon ließen sie sich nicht abbringen, auch wenn sie dabei selbst zur Zielscheibe in diesem schmutzigen Krieg wurden. Die Öffentlichkeit erfuhr nämlich nur durch die wertvolle Arbeit dieser Journalisten von den Dorfzerstörungen und Massenvertreibungen in Kurdistan. Die unzähligen Morde der „unbekannten Täter“ kamen nur durch die beständige Arbeit der Journalisten von Özgür Gündem an die Öffentlichkeit. Und natürlich war der Preis dafür, diese Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu bringen, kein geringer. Nicht nur die Journalisten und alle Mitarbeiter der Zeitung mussten um ihr Leben fürchten, auch der Druck auf die Leserinnen und Leser der Zeitung war groß.
„Dieses Feuer wird auch euch verbrennen“
Natürlich ließ der Staat neben seinem paramilitärischen Apparat auch seine Justiz gegen Özgür Gündem vorgehen. Redakteure und Journalisten wurden wegen ihrer Berichte immer wieder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Am 17. April 1994 wurde schließlich die Zeitung als Ganzes verboten. Die Antwort auf das Verbot war die Wiedereröffnung der Zeitung Özgür Ülke am 28. April. Die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller verstand, dass mit Verbotsverfügungen die Arbeit der freien Presse nicht zu unterbinden war. Und so griff sie zu anderen Mitteln. Am 4. Dezember 1994 wurden zeitgleich in drei Redaktionsbüros von Özgür Ülke Bombenanschläge verübt. Der Journalist Ersin Yıldız kam dabei ums Leben. 20 weitere Journalisten wurden bei den Anschlägen verletzt.
Doch am Tag danach erschien die Zeitung bereits wieder. Dass die Zeitung ohne Pause direkt am Folgetag erschien, war wie ein Schlag in die Gesichter der Herrschenden. Die Schlagzeile auf dem Titelblatt jener Ausgabe lautete: „Dieses Feuer wird auch euch verbrennen“. Und so sollte die Justiz wieder dort einspringen, wo der Staatsterror nicht wirkte und auch Özgür Ülke wurde für verboten erklärt. Die Zeitung Yeni Politika (Neue Politik), die auf das Verbot von Özgür Ülke folgte, wurde ebenfalls binnen kürzester Zeit verboten. Auch ihre Mitarbeiter waren das Ziel der paramilitärischen Kräfte des türkischen Staates. Und auch hier wurde keines der Morde an den Journalisten von Yeni Politika aufgedeckt.
Zwischen dem 12. Dezember 1996 und dem 3. Mai 1997 erschien schließlich die Zeitung mit dem Namen Demokrasi (Demokratie), die ebenfalls die Linie der freien kurdischen Presse verfolgte, bevor sie durch staatliche Stellen verboten wurde. Doch mittlerweile waren die Journalisten im Umgang mit Zeitungsverboten erfahren und eröffneten deshalb am 7. Juni 1997 die Zeitung Ülkede Gündem (Agenda im Land). Auf ihr Verbot am 23. Oktober 1998 folgte die Eröffnung der Tageszeitung Özgür Bakış (Freier Blick) am 18. April 1999. Und trotz Verboten und zahlreichen Strafen setzten die Mitarbeiter von Özgür Bakış unter neuen Zeitungsnamen mit wöchentlichen oder täglichen Erscheinungsformaten ihre Arbeiten fort, bis am 4. April 2011 die Zeitung Özgür Gündem von Neuem an die Öffentlichkeit trat. Nach 17 Jahren Erscheinungsverbot war damit die Tageszeitung erneut an den Kiosken zu kaufen. Und ihr Slogan lautete weiterhin „Die Wahrheit wird nicht im Dunkeln bleiben“.
Am 20. Dezember 2011 waren auch die Journalisten von Özgür Gündem im Visier der sog. KCK-Operationen. Rund 50 Journalisten wurden damals festgenommen. Im März 2012 folgte ein einmonatiges Erscheinungsverbot für die Zeitung. Im Jahr 2014 wurden die festgenommenen Journalisten dann endlich entlassen, auch wenn ihre Verfahren noch nicht abgeschlossen waren.
Dieser kurze Überblick über die Geschichte der freien kurdischen Presse macht deutlich, dass keine der unzähligen Angriffe des türkischen Staates ihr Ziel erreicht haben. Dasselbe wird auch für die aktuellen Angriffe gelten. So wurden im Jahr 2016 die Co-Herausgeberin der Tageszeitung Özgür Gündem Eren Keskin und die Chefredakteurin Reyhan Çapan zu jeweils 7,5 Jahren Haft verurteilt. Als die Angriffe in diesem Jahr zunahmen, solidarisierten sich viele Journalisten anderer regierungskritischer Zeitungen mit Özgür Gündem und übernahmen nacheinander als „Gast-Chefredakteur“ für eine gewisse Zeit das Ruder bei dem Blatt. Doch auch gegen so gut wie jeden „Gast-Chefredakteur“ wurden Verfahren seitens der türkischen Justiz eingeleitet.
Am 16. August 2016 wurde schließlich die Tageszeitung Özgür Gündem ein weiteres Mal verboten. Anschließend wurden ohne rechtliche Grundlage die Redaktionsräume der Zeitung in Istanbul durchsucht und verwüstet. Insgesamt 25 Journalisten wurden gewaltsam festgenommen. Die vorerst letzte Ausgabe der Zeitung erschien mit dem Titel „Wir werden uns nicht beugen“.