Eine Intervention in Rojava bedeutet Bürgerkrieg in der Türkei

Kobane_WiderstandCihan Özgür, Firatnews, 09.05.2015

Nach der Krise in Libyen haben die Staaten der Arabischen Liga auf ihrem Treffen in Ägypten beschlossen, fortan stärker gemeinsam zu handeln. Die Türkei hat dieser Formation, die unter Federführung von Saudi-Arabien, Katar und Ägypten entsteht, ihre Unterstützung bekundet.

Gleichzeitig haben die radikalislamistischen Elemente in Syrien unter Einflussnahme der Türkei eine gemeinsame Armee aufgestellt und die Stadt Idlib erobert.

Die Freie Syrische Armee (FSA) hat begonnen mit Einheiten des Al-Qaida zu kollaborieren und gemeinsam zu handeln.

In den Kantonen Kobanê und Cizirê dauern die Gefechte zwischen der YPG und dem IS ohne Unterbrechungen an.

Die Vereinten Nationen planen in Genf eine Konferenz zur Lage in Syrien. Zu diesem Treffen, das wohl in vier bis fünf Monaten stattfinden soll, haben bereits die Vorgespräche begonnen und zum ersten Mal werden auch Vertreter der Demokratisch Autonomen Verwaltung von Rojava daran teilnehmen.

Während die Gespräche für die Genfer Konferenz weiter andauern, ereignen sich in der Region selbst auch wichtige Ereignisse.

Eine Intervention in Syrien wird ernsthaft diskutiert.

Das Projekt zur Ausbildung von Kämpfern der syrischen Opposition auf türkischem Boden hat begonnen.

Es sind Bilder veröffentlicht worden, die zeigen, dass der türkische Staat explosives chemisches Material an den IS geliefert hat.

Es wird behauptet, dass die Arabische Liga die von Saudi-Arabien angeführt wird, Luftangriffe auf Syrien ausführen könnte.

Die Forderung des türkischen Staates nach einer Pufferzone, die nichts anderes als eine Besetzung von Rojava bedeutet, steht wieder auf der Tagesordnung. Das Ziel ist nicht Syrien, sondern Rojava.

Die heißeste Meldung hingegen verkündete der Generalsekretär der türkischen Republikanischen Volkspartei (CHP). Gürsel Tekin zufolge wird die Türkei eine Bodenoperation in Syrien durchführen. Bis heute haben weder die türkischen Streitkräften noch die Regierung diese Erklärung dementiert.

Was bedeuten diese Entwicklungen nun?

Wenn man bedenkt, dass die Grenze des türkischen Staats mehr Rojava als Syrien ist, dann sieht man mit Leichtigkeit, dass das eigentliche Ziel nicht Syrien, sondern Rojava ist. Die AKP wird die Errungenschaften in Rojava niemals akzeptieren und scheint zur Zerschlagung der Revolution von Rojava auch bereit, mit dem Teufel zu paktieren. Das wissen wir aus ihrer Zusammenarbeit mit dem IS und der Al-Nusra-Front. Die gemeinsame Haltung der beiden Vorsitzenden der AKP Erdogan und Davutoğlu gegenüber dem Status von Rojava ist bekannt. Die Entwicklungen innerhalb der AKP in letzter Zeit und der erreichte Punkt beim Friedensprozess zeigt die einflussreiche Position von Erdogan. Folglich wird es nicht überraschen, wenn die türkische Regierung die Federführung in allen möglichen Bündnissen, die gegen Rojava gerichtet sind, innehaben wird.

Gestützt auf der gemeinsamen sunnitisch-orthodoxen Ausrichtung kann die Kollaboration zwischen Saudi-Arabien, Katar und der Türkei die Gefahr von konfessionellen Auseinandersetzungen an den Grenzen der Türkei mit sich bringen.

Zugleich ist klar, dass eine mögliche Intervention des türkischen Staates in Rojava gleichbedeutend mit einem Krieg in Nordkurdistan und der Türkei ist.

Sind die Maßnahmen in der Türkei Anzeichen für eine Intervention?

Die möglichen Folgen der Bestrebungen der Besetzung von Rojava, die der türkische Staat als Pufferzone zum Ausdruck bringt, kann man mit Blick auf den Solidaritätsaufstand vom 6. bis 8. Oktober letzten Jahres abschätzen. Das Chaos in der Türkei, welche an der Schwelle zu einem Bürgerkrieg stand, wurde mit dem Eingreifen der kurdischen Führungspersönlichkeit Abdullah Öcalan beendet.

Das Stoppen des Friedensprozesses durch die AKP-Regierung, die steigende Anzahl von politischen und militärischen Operationen in Nordkurdistan und die Provokationen, welche die HDP aus dem Parlament halten sollen, sind geradezu Proben für einen möglicherweise anstehenden Bürgerkrieg. Es ist offensichtlich, dass die von Erdogan Hals über Kopf bestätigten „Terrorgesetzte“ für die Unterdrückung dieser möglichen Aufstände gedacht sind.

Die zunehmenden Repressionen gegen demokratische und oppositionelle Kreise und die Maßnahmen gegen die Presse sind vielsagend.

Könnte die AKP auf der einen Seite möglicherweise eine Intervention in Rojava planen und auf der anderen Seite Vorkehrungen für das Niederschlagen eines Aufstandes in Nordkurdistan und in der Türkei treffen?

Die Vorzeichen zeigen in diese Richtung.

Geht es in Genf um die Durchsetzung einer Pufferzone in Rojava?

Zwar haben die internationalen Mächte angefangen mit dem Empfang im Élysée-Palast durch den französischen Präsidenten Francois Hollande eine ganze Reihe von Gesprächen mit der Autonomen Verwaltung von Rojava geführt. Doch es bleibt die Frage, ob angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in Syrien und den Handlungen der Türkei die Genfer Konferenz wohlmöglich als ein Druckmittel gegen die kurdische Seite eingesetzt werden soll?

Aufgrund der Solidarität und der Anerkennung der Völker dieser Welt mit der Revolution von Rojava wollen die internationalen Mächte zwar sich nicht direkt gegen das System von Rojava stellen, allerdings sind ihre Bemühungen, durch Druck und Erpressung das Rojava-Modell „auf Linie zu bringen“ und in ihr System zu integrieren, unverkennbar. Dass die KDP parallel zur Türkei einen verstärkten Anti-PKK Diskurs schürt, die Peshmerge-Kräfte aus Kobanê abgezogen werden und der Präsident der südkurdischen Regionalverwaltung Massud Barzani mit seiner „Unabhängigkeitsagenda“ in die USA reist, unterstützt die These von den Vereinnahmungsversuchen der Rojava-Revolution durch die internationalen Mächte und macht deutlich, dass die KDP auch in diesen Plan eingebunden ist.

Der Exekutivratsvorsitzende der KCK Cemil Bayik erklärte in einem Interview, dass die Zunahme an Einfluss durch den türkischen Staat in der Region gleichbedeutend ist mit einem zunehmenden Einfluss des IS. Es ist offensichtlich, dass die regionalen Machtinteressen des türkischen Staates gegen die Kurden gerichtet sein werden.

Folglich hat die Politik des türkischen Staates, die sich auf ihre Anti-Rojava-Haltung stützt, das Potential und die Wahrscheinlichkeit ganz Kurdistan, und insbesondere Nordkurdistan, zu beeinflussen.

Wenn die AKP diese Politik als Richtlinie festsetzt, wird die Türkei vom Neuen turbulente Entwicklungen erleben. Die Ereignisse und ihre möglichen Auswirkungen zeigen, dass auch die vielfach aufgeworfene Behauptung, die AKP könne möglicherweise die Wahlen kurzfristig verschieben, wenn sie diese zu verlieren droht, nicht völliger Nonsens ist.

Zugleich werden die Wahlen in der Türkei auch für Kurdistan im Allgemeinen bedeutende Folgen haben. So ist die Grenze zwischen Nordkurdistan und Rojava auf allen Ebenen bereits überwunden. Beide Teile sind regelrecht vereint. Und der türkische Staat verfolgt sowohl gegenüber dem Norden, als auch gegenüber Rojava die gleiche Politik. Der Erfolg der HDP bei den Wahlen am 7. Juni kann nicht nur für die Nordkurdistan-Politik, sondern auch für die Rojava-Politik des türkischen Staates einen Wendepunkt darstellen.

Ein neuer Angriff auf Rojava und der daraus resultierende Widerstand würde die Bedeutung der Wahlen in den Hintergrund rücken. Diese Situation könnte auch bedeuten, dass der IS in Nordkurdistan und der Türkei eingesetzt wird, was die Türkei vollständig in einen Bürgerkrieg führen würde. Bei solch einem wahnwitzigen Szenario würde die AKP und die Türkei sehr viel verlieren.

Folglich können wir festhalten, dass für die Zukunft der Türkei die Politik des türkischen Staates gegenüber Rojava eine entscheidende Rolle hat.

Denn die PKK und ihr Vorsitzender Öcalan haben mehrfach zur Sprache gebracht, dass Rojava in Hinsicht auf den Lösungsprozess eine rote Linie darstellt. Die Empfindlichkeit der kurdischen Gesellschaft für Rojava ist bei den Ereignissen vom 6. bis 8. Oktober zu Vorschein getreten.

Zusammengefasst ist Rojava nicht nur für die Kurden, sondern auch für die Türken, Araber und Iraner eine bedeutende Realität für ihre Zukunft. Folglich wird Rojava die Politik der internationalen Kräfte, der regionalen Akteure, allen voran der Türkei und der Kurden bestimmen.

Wird der türkische Staat die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs in Betracht ziehen? Dies wird sich mit der Zeit zeigen. Doch die Anzeichen deuten darauf hin, dass die Türkei ihren Trumpf der Pufferzone weiter nutzen wird und ihre Außenpolitik weiter unter dem Primat einer Bekämpfung der Anerkennung der Kurden führen wird.