Einige tragikomische Versuche an der kurdischen Bevölkerung

Baskin Oran listet für das Nachrichtenportal T24 die “tragikomischen” Regierungspraktiken der AKP gegen die kurdische Zivilbevölkerung seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr auf, 25.06.2017

Ich werde in meiner Kolumne lediglich auf die Ereignisse seit der Putschparodie vom 15. Juli eingehen. Ich werde diese Ereignisse auch nicht weiter kommentieren. Wem die aufgelisteten Ereignisse surreal erscheinen, kann gerne im Internet nach ihnen recherchieren. Ich werde auch nicht von (Regierungs-)Handlungen oder von (Regierungs-)Praxis gegen die Kurden sprechen. Ich spreche von Versuchen bzw. Experimenten. Denn um eine spezielle Gruppe innerhalb eines Landes als Ganzes so zu entrüsten und brüskieren, bedarf es eben solcher Experimente, wie sie sonst in Laboren geprobt werden.

Bevor ich anfange, möchte ich zunächst noch folgende Anmerkung machen: Ich werde in diesem Text auch nicht von den Schließungen kurdischer Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen oder Instituten sprechen. Ebenso wenig werde ich die Zwangsverwaltungen gegen kurdische Kommunen, die Inhaftierungen der Ko-Bürgermeister und die willkürlichen Festnahmen von HDP-Abgeordneten anführen. Selbst die schrecklichen Bilder, mit denen die Polizei- und Militärspezialeinheiten ihre Schandtaten in den Kellern von Cizîr (Cizre), Şirnex (Şırnak) und Lice dokumentierten und über die sozialen Medien zur Schau stellten, werde ich weglassen.

Warum? Weil diese Ereignisse nicht tragikomisch sind. Sie sind einzig und allein tragisch.

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21.08.2016: In Istanbul-Esenyurt wurden Jugendliche, die öffentlich kurdische Lieder sangen, von der Polizei drangsaliert und festgenommen.

02.09.2016: Ministerpräsident Yıldırım sagte, “Eine Lösung oder etwas Derartiges gibt es nicht. Sie haben diese Chance vermasselt.”

13.09.2016: In Mêrdîn (Mardin)-Derik wurde auf den Befehl des Zwangsverwalters Muhammed Fatih Safitürk das türkisch-, kurdisch- und armenischsprachige Schild der Stadtverwaltung abmontiert.

25.09.2016: Drei Mitglieder der Gruppe Çığlık Orkestra wurden in Dersim-Pertek festgenommen, weil sie kurdische Lieder auf einer Hochzeit gesungen haben. Der Vorwurf lautet “Propaganda für eine Terrororganisation”.

29.09.2016: Der seit dem 21. März 2015 über den Satellitenbetreiber Türksat ausstrahlende kurdischsprachige Zeichentricksender Zarok TV wurde durch einen Erlass des Staatspräsidenten geschlossen. Anschließend hat der Zwangsverwalter von Amed-Kayapinar Mustafa Kılıç einen Kindergarten des Stadtteils mit dem Namen “Zarokistan” (kurd. für Heim der Kinder) schließen lassen. Derselbe Zwangsverwalter Kılıç hat auf einer Presseerklärung am 27.02.2017 mitteilen lassen, dass er Bücher über den Zoroastrismus, Marxismus, Leninismus, das Judentum, das Christentum und solche, die das Leben von Guerillakämpfern zum Thema haben, aus den Bibliotheken des Stadtteils hat entfernen lassen. Begründung: “Diese Bücher haben absolut nichts mit unserer Kultur und dem islamischen Glauben zu tun.”

03.10.2016: Nach Aufforderung der türkischen Rundfunkanstalt RTÜK ließ der französische Satellitenbetreiber Eutelsat die beiden kurdischen Fernsehsender MedNuçe TV und Newroz TV schließen. RTÜK erklärte zuvor, dass beide Sender durch ihre Berichterstattung “die nationale Sicherheit gefährden”. Das Unternehmen Eutelsat hatte zuvor rund eine Milliarde Dollar in das für die Türkei ausgerichtete Kommunikationsnetzwerk Skylogic EurasiaTeleport investiert.

Die beiden Fernsehsender klagten gegen ihre Schließung vor dem Pariser Handelsgericht. Das Gericht sprach ihnen Recht zu und forderte Eutelsat auf, die Sender wieder zuzulassen. Gleichzeitig wurde der Satellitenbetreiber zu Schadensersatz verurteilt. Während dieses Verfahren sich in der Revision befindet, versucht Eutelsat in ihren Vereinbarungen mit weiteren kurdischen Fernsehsendern wie NewsChannel eine Klausel zu implementieren, durch welches den Sendern der Rechtsweg gegen Eutelsat verschlossen werden soll. Die betroffenen kurdischen Sender können durch den internationalen Druck der europäischen Öffentlichkeit ihre Ausstrahlung bislang fortsetzen.

12.01.2017: Hacı Asım Akgül, der Zwangsverwalter der Gemeinde Çatak bei Wan (Van), ließ eine Brücke deren Gerüst in den Farben rot, gelb und grün bemalt war, in die Farben rot und weiß umstreichen und mit einer türkischen Fahne “beschmücken”.

18.02.2017:  Der Zwangsverwalter von Amed (Diyarbakir) Cumali Atilla muss wohl gedacht haben, dass der ursprünglich assyrische Name der Provinz “Amed” kurdisch sei. Deswegen hat er den örtlichen Fußballverein “Amedspor” aufgefordert, ihren Namen zu verändern. Andernfalls werde er die Zuschüsse des Provinzialrates für den Verein streichen lassen.

20.02.2017: In einem Gymnasium der westtürkischen Stadt Aydın wurde gegen den 14 jährigen Y.B. und fünf seiner Mitschüler durch den Schuldirektor Anzeige erstattet. Grund für die Anzeige war, dass die Kinder kurdische Musik gehört und forkloristische Tänze getanzt haben.

25.02.2017: In der Stadt Cizîr (Cizre), das zur Provinz Şirnex (Şırnak) gehört, ließ der Zwangsverwalter Ahmet Adanur eine Statue des 2007 verstorbenen und ursprünglich aus Cizîr stammenden kurdischen Politikers Orhan Doğan zerstören.

27.03.2017: Aufgrund der Städtefreundschaft von Istanbul-Beşiktaş und der kurdischen Stadt Colêmerg (Hakkari) wurde eine Straße im Bezirk Beşiktaş 2015 in “Barış-Aşiti Sokağı” umgetauft. Barış ist die türkische Bezeichnung und Aşiti die kurdische Bezeichnung für Frieden. Im Gegenzug wurde eine Straße in Colêmerg in “Beşiktaş-Straße” umbenannt. Eineinhalb Jahr nach dieser Umbenennung ließ nun der Innenminister eine Untersuchung gegen die Bezirksverwaltung von Beşiktaş wegen der “Barış-Aşiti Sokağı” einleiten.

29.03.2017: Der Zwangsverwalter von Dersim mit dem Namen Osman Kaymak erklärte für die Zukunft die rituelle Waschung und Beerdigungszeremonie für getötete PKK-Kämpferinnen und -Kämpfer für verboten.

31.03.2017: In Wan (Van) Bahçesaray wurde ein Fahrzeug von der Polizei beschlagnahmt, welches das Lied “Bêjin Na” (“Sagt Nein”) laut abspielte. Bei dem Lied handelte es sich um den Wahlkampfsong der HDP anlässlich des Verfassungsreferendums und das Fahrzeug war ein in der Türkei übliches Wahlkampffahrzeug. Doch das Lied wurde kurzerhand für verboten erklärt und das Fahrzeug 15 Tage nicht wieder auf die Straße gelassen.

28.04.2017: Auf dem als “Protokol Straße” bekannten Weg in Amed ließ der Zwangsverwalter die am Straßenrand angepflanzten Blumen ausrupfen. Grund hierfür war, dass es sich um rote und gelbe Blumen handelte und gemeinsam mit der Wiese am Straßenrand die kurdischen Farben rot-gelb-grün den Straßenrand schmückten.

07.05.2017: Weil mehrere Menschen bei einem Hochzeitkonvoi in der Stadt Adana Tücher in den Farben rot, gelb und grün schwenkten, wurden sie kurzzeitig von den “Anti-Terroreinheiten” der Stadt festgenommen.

19.05.2017: Der oben bereits erwähnte Zwangsverwalter von Wan-Çatak mit dem Namen Hacı Asım Akgül ließ einen Park, der nach dem in Amed (Diyarbakir) getöteten Rechsanwalt Tahir Elçi benannt wurde, kurzerhand umbenennen. Der neue Name des Parks wurde nach einem getöteten Dorfschützer (paramilitärische Einheit des türkischen Staates”) mit dem Namen Ali Ogün getauft.

11.06.2017: Im Gedenken an den, gemeinsam mit seinem Vater am 21. November 2004 durch 13 Schüsse der türkischen Sicherheitskräfte in Mardin ermordeten, zwölfjährigen Uğur Kaymaz war in Qoser (Kızıltepe) eine Statue errichtet worden. Der Zwangsverwalter der Stadt ließ diese Statue nun entfernen.

 

Der Text erschien im Original unter dem Titel “Kürtler üzerine bazı trajikomik deneyler” am 23.06.2017 auf der Homepage des türkischsprachigen Nachrichtenportals T24. Einen Tag nach dem Erscheinen des Artikels wurde der Autor Baskin Oran vom türkischen Innenminister Süleyman Soylu aufgrund dieses Artikels angezeigt.