Friedensrecht – Kriegsrecht

ali topuzAli Topuz – Journalist und Kolumnist der türkischen Tageszeitung Radikal, 21.5.2013

„Wer immer verlangt, dass das Recht sein Ziel erreicht, der muss den Weg rechtlich einwandfrei nehmen.“ Dante

Es scheint, dass wir eine Diskussion über das Recht haben. Ich sage „es scheint“, da es mal so aussieht als wenn und mal als wenn nicht. Auch die zuständigen Leute tun mal so, als ob es diese Diskussion gibt und mal nicht. Gegenseitige Anschuldigungen, die sehr hart sind, werden hin- und hergereicht. Das seltsame daran ist, dass es zwar viel Gerede gibt, aber keine wirkliche Diskussion. Die Erkenntnisse stehen schon fest. Und alle haben ihre eigenen. CHP und MHP sprechen davon, dass „alles nicht rechtlich geschieht“. Nach deren Meinung steht das [derzeitige] Recht dem Frieden entgegen. Sie sagen dies zwar, weil ihre Ideologie es so fordert, haben aber einerseits auch recht damit!

Ob diese beiden Parteien es nun nur zum Weiterführen des Kriegs oder gezwungenermaßen gegen die AKP gerichtet sagen, kommt letztendlich aufs selbe hinaus, aber sie haben auch einerseits recht mit folgendem: Das gegenwärtige Recht steht dem Frieden entgegen! Die AKP spricht jedoch davon, dass alles seinen rechtlichen Weg nähme und redet sehr überzeugt davon, dass ein weitreichenderes Gesetz nicht notwendig sei. Aber sie irrt sich. So überzeugt sie davon ist, so sehr irrt sie sich darin. 

Das Recht ihrer Besitzer

Die erstgenannte Einstellung ist absolut nachvollziehbar: Die MHP will den erobernden Boden der Vorfahren und die CHP das Erbe seiner Gründer nur mit denen teilen, die ihnen angehören, die ihre Forderungen anerkennen. Es sind diese gradlinigen Nationalisten beider Parteien, die mit sogenanntem wissenschaftlichem Gerede diese Sache durchziehen wollen und nur eine Sache fordern. Aus dieser Sicht sind sie die einzigen Parteien: Dass bald alle Türkisch sprechen, „Stolz Türke zu sein“ schreien und eine türkische Republik, in der sie in der Freizeit auf den Almen oder am Grabdenkmal Hymnen singen.

Man braucht nicht weiter auf die Einstellung dieser beiden Parteien einzugehen, von denen sich der eine den Rückhalt von ökonomischer und kultureller Armut und der andere dem ökonomischen und kulturellen Reichtum sucht. Es reicht folgendes festzustellen: Das gegenwärtige Recht ist das Eigentum ihrer Väter, es ist nach dem Willen der Paschas begründet und sie sind dazu bereit, mit jedem Krieg zu führen, der dieses Recht ändern will. Natürlich führen sie den Krieg nicht selbst, wofür gibt es den die armen Kinder des Volkes?

Was ist, wenn das Recht sich nicht ändert?

Wichtig ist, über die Haltung der Regierungspartei zu sprechen. Sie redet bei jeder Gelegenheit davon, wie sehr sie sich von den obengenannten Parteien unterscheidet. Aber warum auch immer, versucht sie diese Sache mit dem Satz „diese Sache kann auch durchgeführt werden, ohne dass das Recht geändert wird und es ist mit dem Recht übereinstimmend“. Mit einem Überstrich und als Gesamtpaket bringen sie diese Sache durch.

Machen wir eine kleine Pause: Wenn es irgendwo ein Recht gibt, dann gibt es dort mindestens zwei Kriege. Der eine ist der, der mit dem Einsetzen des Rechts beendet ist. Und einer ist der, der wahrscheinlich wegen dieses Rechts begonnen wird. Ein Recht wird je nach Kräfteverteilung nach Beendigung des Kriegs begründet. Der Ursprung des Rechts, die Gewalt der sie entspringt und die Gewalt, die sie begründet, ist die Gewalt des beendigten Kriegs. Und das nennen sie dann den Status quo.

Der Krieg, der weiterhin andauert und beendet werden will, ist der Krieg, der durch das Recht zu einer Gesellschaft ohne Kurden in Gang gesetzt worden ist. Um es deutlicher zu sagen, es ist der durch das Recht eröffnete Krieg, der im Staat aus dem Türkentum nicht anderes anerkennt. Die Geschichte dieses Rechts ist voll von Massakern, Blutvergießen und Pogromen. Nun stehen wir folgender Frage gegenüber: Ist es möglich, den andauernden Krieg ohne eine Änderung solch eines Rechts zu beenden? Dies ist auch ursächlich bei den Diskussionen um eine Verfassung. Die Verfassung, die der Entwurf über eine grundlegende Vereinbarung zu einem Gesellschaftskonzept, in der jeder das Türkentum anerkennt, muss als Zeichen eines Wechsels der Einstellung den Kurden gegenüber, die sich trotz aller Unterdrückung und Gewalt zur Anerkennung des Türkentums (das bekannte Trias: Verleugnung, Vernichtung, Assimilation) widersetzt haben, geändert werden.

Was ist die „Garantie“?

Das gegenwärtige Recht sieht nicht die Beendigung dieses Krieges, sondern dessen Fortführen vor. Dementsprechend können keinerlei Rechte und kein Befreiungskampf, der für eine kurdische Existenz und Identität ist, anerkannt werden. Dabei ist es egal, ob bewaffnet oder unbewaffnet. Dieses Recht steht nicht nur der Existenz der sich aktuell im Rückzug befindlichen PKK-Militanten aus der Türkei entgegen. Es steht auch der gesamten kurdischen Bewegung und allen Bewegungen, die für eine kurdische Identität stehen und sich dementsprechend mit den Kurden solidarisieren, entgegen. Die Gesetze sehen für diese nichts anderes als Gefängnis oder Grab vor. Und darum ist beides auch überfüllt. Trotz aller Gesetze zur „Demokratisierung“ ist die Lage nicht anders als bisher.

Der beste Beweis dafür, dass die Sensoren des ausgehöhlten Rechts auf Krieg stehen, ist die Aussage der Regierung: „Lasst eure Waffen zurück und zieht euch zurück, wir sind die Garantie dafür.“ Da es nicht möglich ist „das Recht ist die Garantie“ zu sagen, wird gesagt: „Wir sind die Garantie dafür.“

Eine seltsame Beharrlichkeit

Wenn das Ziel des derzeitigen Prozesses wirklich Frieden und Demokratisierung ist, dann muss auch ein Wandel vom Recht, das jederzeit auf die Weiterführung des Krieges ausgerichtet ist, hin zu einem Recht, was den Krieg beendet, geschehen. Einerseits setzt die Regierung mutig eine Kommunikation in Gang, um die Waffen abzuschaffen und andererseits widersetzt sie sich mutig, parallel zu dieser Kommunikation ein Recht zu schaffen, was sehr seltsam erscheint. Seltsam deshalb, weil es nicht weiter als ein Versprechen bleibt zu sagen: „Sie sollen die Waffen niederlegen, wir bereden die Rechte und das Gesetz.“ Es ist nichts anderes, anstatt „sie sollen sich ergeben“ „sie sollen sich zurückziehen“ zu sagen. Wenn es nicht so ist, wenn also die Regierung den Status quo wirklich erneuern will und auf einem waffenlosen, nicht mehr rückgängigzumachendem, erneuernden Weg ist, dann muss damit begonnen werden, ein dementsprechendes Recht zu schaffen.

Die Regierung Erdogan zeigt Freund und Feind mit der Aushebelung des gegenwärtigen Rechts, dass sie wirklich Herrscher sind. Wenn aber statt dem ausgehebelten Recht nicht ein neues Recht geschaffen wird, also ein Recht des erhofften Friedens, dann wird das derzeitige Recht siegen. Wenn wir den Frieden wollen, dann müssen sich letztendlich nicht nur diejenigen, die sich aus den Bergen zurückziehen, beeilen. Geht es nicht um eine gemeinsame Zukunft? Wollen wir nicht Regeln dafür aufsetzen, ohne Waffen Probleme untereinander, gemeinsam auf demselben Boden lebend, zu lösen?

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