Bund der Gemeinden und Städte in Südostanatolien (GABB), aus dem Kurdistan Report 187 | September/Oktober 2016
Die Gespräche über eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, welche 2013 begonnen wurden, endeten 2015. Bewaffnete Konflikte starteten erneut im östlichen und südöstlichen Teil von Anatolien in der Türkei. Die jetzigen bewaffneten Auseinandersetzungen finden vor allem in den Städten statt. Dies ist ein Unterschied zu denen der 1990er und denen Anfang der 2000er Jahre, als bewaffnete Kämpfe vor allem in ländlich geprägten Regionen ausgetragen wurden. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in der jetzigen Phase erreichten ein neues Level, als sich die türkische Armee im Dezember 2015 mit Panzern, Artillerie und anderen schweren Waffen, welche normalerweise in konventionellen Kriegen eingesetzt werden, in der Region ausbreitete. Damit erreichte das Ausmaß der Zerstörungen eine neue Ebene.
Eine Vielzahl von NGOs hat bereits über die Verletzungen des Rechts auf Leben berichtet, welche im Rahmen der bewaffneten Konflikte auftraten. In veröffentlichten Berichten werden das Maß der Zerstörung in den Städten und die erzwungene Migration als Resultat der aktuellen bewaffneten Konflikte aufgezeigt.
Verschiedene technische Teams haben Daten über das Ausmaß der Zerstörung gesammelt. Eine Schadensbewertung wurde unter der Koordination der Gewerkschaft Türkischer Ingenieur_innen und Architekt_innen (TMMOB) sowie des Bundes der Gemeinden und Städte in Südostanatolien (GABB) vorgenommen. Auch Expert_innen der Architectes de l’urgence nahmen an einigen Besuchen der Konfliktzone teil. Aus ihrer Analyse geht hervor, dass das städtische Leben in Konfliktgebieten wie Sûr/Amed (Sur/Diyarbakır), Cizîr (Cizre), Nisêbîn (Nusaybin), Şirnex (Şırnak) und Gever (Yüksekova) strukturell zusammengebrochen ist. Damit einher ging ein Zusammenbruch ökonomischer und sozialer Aktivitäten. Dies lässt sich außer auf die Zerstörung von Infrastruktur darauf zurückführen, dass lokale Regierungen von den Gouverneur_innen der Regionen entmachtet wurden. Infolgedessen konnten die Stadtverwaltungen von Hezex (İdil), Silopiya (Silopi) und Cizîr ihre Verantwortung für die Städte nicht mehr wahrnehmen.Nisêbîn: Gentrifizierung auf Türkisch | Foto: DIHA
Aus den erhobenen Daten der Rojava-Hilfsorganisation und der lokalen Stadtverwaltungen geht hervor, dass im Zuge der urbanen bewaffneten Auseinandersetzungen etwa 400 000 Menschen gezwungen wurden zu migrieren. In diesem Sinne wurde ihr Recht auf Wohnen verletzt. Fast alle dieser 400 000 vertriebenen Menschen haben keine Wohnung mehr, in die sie zurückkehren können. Ihre Häuser sind entweder zerstört oder durch die türkische Zentralregierung abgerissen worden. Die Abrissarbeiten dauern weiter an. Eine Vielzahl der Familien migrierte gezwungenermaßen in die Stadtzentren von Amed, Wan (Van), Êlih (Batman) oder andere urbane Zentren. Aufgrund des plötzlich einsetzenden Migrationsdrucks konnten Familien ihr Hab und Gut nicht mit sich nehmen. So haben viele damit zu kämpfen, ihr regelmäßiges Einkommen sowie ihren materiellen Besitz verloren zu haben. Dies hat zu einer großen Armut geführt. Mittlerweile leben 400 000 vertriebene Menschen unter schwierigen Bedingungen, entweder gemeinschaftlich in gemieteten Häusern oder in Zelten, wo es keine Infrastruktur und teilweise keinen Zugang zu sauberem Wasser gibt.
Die Politik der Zentralregierung und Äußerungen von Regierungsvertreter_innen zu den bewaffneten Konflikten und Militäroperationen in den Städten machen deutlich, dass Grundprinzipien von Katastrophen- und Krisenmanagement weder eingehalten noch angestrebt werden.
Folglich ist es sehr wahrscheinlich, dass die Regierung eine systematische Politik betreibt und eine militärische Strategie verfolgt, um Vertreibung zu forcieren und somit demographische und soziale Strukturen zu verändern. Nach dem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats im Juni 2016 kursierten verschiedene Nachrichten in den türkischen Medien. Diese besagten, dass die Stadtzentren von Städten an der türkisch-irakisch-syrischen Grenze, wie Cizîr, Silopiya, Hezex, Nisêbîn und Qoser (Kızıltepe), verändert werden und im Zuge dessen die in dieser Region lebenden Menschen umgesiedelt werden sollen. Die GABB fordert die Regierung nachdrücklich zu einem gegenseitigen Waffenstillstand auf, sodass der Wiederaufbauprozess mit den Bewohner_innen in diesen Städten begonnen werden kann. Dies sollte in Zusammenarbeit mit den lokalen Verwaltungen erfolgen, um soziale und politische Risiken zu minimieren und den sozialen Frieden sowie das Wohlergehen der Menschen wiederherzustellen.