Was geschah am 28. Dezember 2011?

roboskiErklärung des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK) zum 3. Jahrestag des Massakers von Roboski

Am 28. Dezember 2011 wurden zwischen 21:30 und 22:27 Uhr 34 kurdische Zivilisten im Alter von 12 bis 25 Jahren nahe dem Dorf Roboski (türkisch: Ortasu) im Kreis Uludere, durch ein Bombardement türkischer F 16 Kampfflugzeugen ermordet.

EIN UNFALL?

Den Behörden und dem Militär ist bekannt, dass Dorfbewohner der Grenzregion seit Jahren regelmäßig mit Maultieren die nahe Grenze zum Irak überqueren, um Handel zu treiben. Dies wird weitgehend geduldet, da teils korrupte türkische Polizisten und Soldaten mitverdienten, teils die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei bewusst wirtschaftlich vernachlässigt werden und so den Dörfern an der Grenze keine andere Möglichkeit bleibt, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Auch am 28.12.11 war klar, dass unbewaffnete Zivilisten ihrer regulären Route folgten, um in ihr Dorf zurückzukehren. Trotzdem wurde die Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Hilfe US-amerikanischer Aufklärungstechnik aufgespürt und bombardiert. Die Rechtfertigung: das Militär hätte Mitglieder der kurdischen Guerilla angreifen wollen.

WAS WURDE FÜR DIE AUFKLÄRUNG GETAN?

Nach der Bombardierung hat der türkische Staat zunächst versucht, diesen Vorfall zu verheimlichen. Erst durch die Angehörigen der Opfer sowie kurdische Politikerinnen und alternative Medien erfuhr die Öffentlichkeit von dem Massaker. Erst 12 Stunden später berichteten türkische Mainstream-Medien, die Regierung reagierte erst nach 27 Stunden! Es habe sich um einen Irrtum gehandelt, ein Unfall für den niemand im Militär oder der Regierung die Verantwortung trage; im Grunde sei es die Schuld der Getöteten selbst. Auf den Versuch des Ministerpräsidenten, die Familien der Ermordeten durch lächerliche Geldzahlungen zum Schweigen zu bringen oder die öffentliche Debatte durch Äußerungen über die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beenden, ließen sich die meisten großen türkischen Medien ein. Eine Aufklärung des Massakers steht bis heute aus. Die Regierung hat jegliche Nachforschungen blockiert und sogar in diesem Jahr die Akte mit einem Bericht „Es war ein Unfall” geschlossen und als „erledigt” abgetan. Eine breite „Plattform für Gerechtigkeit für Roboski” aus über 850 Nichtregierungsorganisationen, Parteien Gewerkschaften und Verbänden der türkischen und kurdischen Zivilgesellschaft hat sich hingegen gegründet und streitet für die Aufklärung des Massakers von Roboski.

WIE IST DER FALL ZU BEWERTEN?

Das Massaker von Roboski ist eindeutig ein Gewaltakt des Staates und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser „Unfall” reiht sich allerdings nahtlos in die seit Jahren herrschende Politik des türkischen Staates ein: die Verleugnung des Genozids an den Armenierinnen (1915), die Nicht-Aufarbeitung des Genozids von Dersim (1937/38) oder der Pogrome von Maras (1978) und Sivas (1993) verdeutlicht, wie der türkische Staat mit seiner eigenen Geschichte umgeht. Statt sich der drängenden Fragen der eigenen Vergangenheit zu stellen, lässt der Staat nach wie vor Fragende umbringen (Musa Anter 1992, Hrant Dink 2007) oder ins Gefängnis sperren (bei derzeit etwa knapp 5000 politischen Gefangenen in der Türkei). Insbesondere heute, wo seit Newroz 2013 über die Lösung der seit fast 100 Jahren andauernden kurdischen Frage diskutiert wird, ist eine Aufarbeitung der Massaker des türkischen Staates für einen dauerhaften gesellschaftlichen Frieden notwendig. Die Einrichtung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission zur Untersuchung solcher Massaker und Verbrechen, wie sie von der kurdischen Bewegung ebenfalls unterstützt wird, halten wir für zielführend.

Wir, der Verband der Studierenden aus Kurdistan – YXK e.V., verurteilen die menschenverachtende Politik der AKP-Regierung und fordern die Öffentlichkeit auf, das Massaker von Roboski nicht zu vergessen oder ungesühnt zu lassen, sondern die Verantwortlichen zu Rechenschaft zu ziehen. Ohne die Aufklärung des Massakers von Roboski sowie der anderen Massaker in der Geschichte der Türkei, wird es keinen gesellschaftlichen Frieden in der Türkei geben.