Kurdisches Fernsehen unter Beschuss: „Wir müssen sichtbar machen, was in Kurdistan passiert“

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 06.05.2017

Als 1995 mit MED TV der erste kurdische Fernsehsender seinen Betrieb aufnahm, konnten die Menschen kaum in Kurdistan ihren Augen und Ohren trauen.  So gut wie jede kurdische Familie, egal ob sie in Kurdistan oder im Exil lebte, besorgte sich eine Satellitenschüssel und fortan lief von früh bis spät der Fernsehsender, der sichtbar machte, was im Verborgenen bleiben sollte: Nämlich was in Kurdistan passiert!

MED TV stellt einen Wendepunkt für die kurdische Bevölkerung dar. Denn über den Fernseher ertönte fortan die Sprache einer Volksgruppe, deren Existenz über Jahrzehnte in Abrede gestellt wurde. So schöpften die Menschen von neuem Selbstbewusstsein, der Fernsehsender gab den Menschen im Kriegsgebiet Kurdistans Mut. Sie wussten, dass es von nun an MED TV gab, also einen Fernsehsender, der fortan die Kriegsverbrechen und Gräueltaten des türkischen Staates gegen sie in die Welt tragen würde. Die Kraft, die sie dadurch schöpften, verhalf ihnen den Widerstand für ihre Rechte, ihre Freiheit und die Demokratie gestärkt fortzusetzen.  Deshalb kann gar nicht genügend betont werden, welche Bedeutung dieses Fernsehen für die Menschen hatte. Die Kurden zum Schweigen zu bringen, war spätestens mit MED TV zu einer Sache der Unmöglichkeit geworden.

Doch so wie alle Errungenschaften der kurdischen Bevölkerung wurde auch MED TV zu einem Zielobjekt von Angriffen. Allen voran die Türkei setzte von Beginn an alles daran, die Ausstrahlung der kurdischen Sender zu unterbinden. Das gestaltete sich allerdings nicht so einfach, da MED TV aus dem Ausland sendete. Und so griff die Regierung aus Ankara im Inland immer wieder zu absurde Methoden, wie beispielsweise dem Verbot des Anbringens von Satellitenschüsseln in den kurdischen Siedlungsgebieten. Gleichzeitig wurden auf internationaler Ebene unzählige diplomatische Anstrengungen aufgenommen, um ein Ausstrahlungsverbot kurdischer Fernsehsender zu bewirken.

Die diplomatischen Bemühungen der Türkei zeigten jedoch traurigerweise auch Erfolg. Kurdische Fernsehsender wurden immer wieder verboten und mit Ausstrahlungsverboten versehen. Auf jedes Verbot folgte zwar die Gründung von neuen Sendern, doch das Einknicken europäischer Staaten und europäischer Unternehmen vor den Bemühungen des türkischen Staates werfen kein gutes Licht auf Europa, das für sich den Anspruch stellt, Grundrechte wie Presse- und Meinungsfreiheit unter allen Umständen zu schützen. Auch wenn die europäischen Staaten diese Grundrechte in Bezug auf die Kurden für ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen zu opfern bereit waren, ließ sich die kurdische Bevölkerung die Errungenschaft eines eigenen Fernsehsenders nicht mehr nehmen. Auf den Lizenzentzug von MED TV im Jahr 1999, folgte die Eröffnung von MEDYA TV. Auf weitere Ausstrahlungsverbote folgten Sender wie ROJ TV, NUÇÊ TV, MEDNUÇE TV, NEWROZ TV und die aktuell weiterhin ausstrahlenden Sender STÊRK TV, MEDNUÇE TV, ÇİRA TV, RONAHÎ TV und NewsChannel.

Heute gibt es dutzende weitere kurdische Fernsehsender. Sie senden mehrheitlich aus der südkurdischen Autonomieregion (Nordirak). Und selbst der türkische Staat hat, nachdem er das kurdische Fernsehen trotz aller Bemühungen nicht stoppen konnte, 2009 mit TRT Kurdî (ehemals TRT 6) einen staatlichen Fernsehsender in kurdischer Sprache eröffnet, um auf diesem Wege ihre Propaganda in kurdische Haushalte zu tragen. Dass gleichzeitig die kurdische Sprache in der Türkei weiterhin unterdrückt wird, stellt für die Machthaber in Ankara wohl keinen Widerspruch dar.

Wie in der Vergangenheit, sind auch gegenwärtig kurdische Fernsehsender in der Tradition von MED TV, dem Pionier des kurdischen Fernsehens, Angriffen und Repressionen ausgesetzt.  Aktuell hat es die Türkei auf die Sender Ronahi TV, NewsChannel und Sterk TV abgesehen. Es zeichnet sich ab, dass der französische Satellitenbetreiber EUTELSAT hierbei als willfähriger Handlager der Türkei agieren wird und die Ausstrahlung der Sender demnächst stoppen will. Doch es regt sich auch Widerstand. Kurdische Vertreter und Organisationen drücken auf vielfältiger Weise ihren Protest aus. Sie rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Presse- und Meinungsfreiheit  gegen diese Angriffe zu verteidigen. Wir schließen uns diesem Aufruf an. Denn gerade in Zeiten, in denen die Türkei immer weiter in Richtung einer brutalen Diktatur abdriftet und über ihre Grenzen hinweg einen brutalen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt, müssen wir sichtbar machen, was in Kurdistan passiert!


Informationsdossier von NAV-DEM zu dem geplanten Ausstrahlungsstopp für kurdische Fernsehsender

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