Die hungerstreikenden kurdischen politischen Gefangenen in der Türkei dürfen nicht sterben – bitte setzen Sie sich für Dialog und die Einhaltung der Menschenrechte ein
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
Sehr geehrter Herr Außenminister Westerwelle,
Sehr geehrter Herr Menschenrechtsbeauftragte Löning,
wir sind sehr besorgt über das Schicksal der über zehntausend kurdischen politischen Gefangenen in den türkischen Gefängnissen, von denen sich viele bereits seit über zwei Monaten im unbefristeten Hungerstreik befinden und an der Schwelle zum Tod stehen. In der Bundesrepublik leben etwa eine Millionen kurdische Bürgerinnen und Bürger, die mehrheitlich ebenfalls in großer Sorge und Aufregung über die Geschehnisse in der Türkei sind. Viele in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden haben Angehörige, die sich an diesem Hungerstreik beteiligen.
Während der türkische Ministerpräsident Erdogan auf seinem Staatsbesuch in Berlin am 31. Oktober auf einer Pressekonferenz die deutsche und internationale Öffentlichkeit belog, indem er die Existenz eines Hungerstreiks abstritt und meinte: „So etwas gibt es nicht. Dies ist alles nur Show“, traf sich der türkische Justizminister Ergin mit seiner deutschen Amtskollegin in Ankara. Auf Nachfrage von Frau Leutheusser-Schnarrenberger bezüglich des Hungerstreiks bestätigte Ergin, es befänden sich aktuell 683 Gefangene in 66 verschiedenen Gefängnissen im Hungerstreik.
Am 12. September haben 63 kurdische politische Gefangene mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen, dem sich kurze Zeit später 600 weitere Inhaftierte angeschlossen haben. Unter den inhaftierten Hungerstreikenden befinden sich auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier und mehrere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Demokratischen Friedenspartei BDP. Seit dem 5. November 2012 befinden sich weitere Zehntausend kurdische politische Gefangene im Hungerstreik.
Um der Stimme der Gefangene Gehör zu verschaffen, schlossen sich am 60. Tag (10.11.2012) sieben Parlamentsabgeordnete (die BDP-Co-Vorsitzende Gültan Kisanak, Adil Kurt, Sirri Süreyya Önder, Sebahat Tuncel, Özdal Üçer und Emine Ayna, die DTK-Co-Vorsitzende Aysel Tugluk) und der Oberbürgermeister von Diyarbakir Osman Baydemir dem Hungerstreik an.
Die Forderungen der Hungerstreikenden an die türkische Regierung lauten: Aufhebung der Isolationshaftbedingungen von Abdullah Öcalan (Isolation ist ein Verstoß gegen nationales und internationales Recht, aber seit 16 Monaten werden jegliche Anwalts- und Familienbesuche von A. Öcalan willkürlich blockiert), die Gewährleistung seiner Gesundheit, Sicherheit und Freiheit, sowie die umfassende Anerkennung der kurdischen Sprache – einschließlich des Rechtes auf Bildung in der kurdischen Muttersprache, die Verteidigung auf Kurdisch vor Gericht und die Beendigung jeglicher Assimilationspolitik gegenüber KurdInnen.
Aus einem Aufruf (siehe Anhang) von 93 BürgermeisterInnen der Partei für Frieden und Demokratie (BDP): “Diese Hungerstreikenden, die an einem kritischen Punkt angelangt sind, können nicht separat von den Forderungen des kurdischen Volkes nach Freiheit und einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage bewertet werden. (…) Wir möchten der Öffentlichkeit mitteilen, dass die Forderungen der Gefangenen auch unsere Forderungen sind. “
Wir sind in großer Sorge um das Leben der Hungerstreikenden und bitten Sie als unsere Bundeskanzlerin und unserem Außenminister darum, sich mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einzusetzen, dass die türkische Regierung einen ernsthaften Dialog mit den Inhaftierten beginnt und soweit auf deren Forderungen eingeht, dass eine Beendigung des Hungerstreiks möglich wird und viele Menschenleben gerettet werden können. Sie haben als Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, die eine zentralen Rolle innerhalb der Europäischen Union spielt, große politische Einflussmöglichkeiten. Bitte nutzen Sie sie!
Die türkische Regierung zeigt bislang nicht die geringste Bereitschaft, auf die berechtigten Forderungen der Hungerstreikenden einzugehen und ignoriert auch die zahlreichen Appelle aus In- und Ausland. Stattdessen drohen Justizverantwortliche mit Gewaltanwendung gegen die Hungerstreikenden und Ministerpräsident Erdogan droht mit einer Wiedereinführung der Todesstrafe.
In dieser verzweifelten Situation muss verstärkt internationaler Druck entwickelt werden.
In Anbetracht der Tatsache, dass sich viele der Hungerstreikenden bereits in einem sehr kritischen Gesundheitszustand und in Lebensgefahr befinden, ist es notwendig, sofort zu handeln.
Deshalb bitten wir, die Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM e.V.), Sie im Geiste des Humanismus tätig zu werden und deutlichen, wirksamen und öffentlich wahrnehmbaren Druck auf die türkische Regierung auszuüben, damit sie die Menschenrechte und das Völkerrecht einhält und ernsthaft auf die Hungerstreikenden zugeht, um eine humanitäre und politische Katastrophe zu verhindern.
Über eine baldige Antwort, wie auch über einen Gesprächstermin mit Ihnen würden wir uns sehr freuen.
Hochachtungsvoll,
Yüksel Koç
Vorsitzender der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM e.V.)
Düsseldorf, 14.11.2012