Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage versucht der türkische Staat sich mit einem Großangriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete politisches Kapital zu verschaffen. Doch die Tonnen von Bomben, Raketen, Drohnen, Artilleriegranaten und sonstige militärische Ausrüstung und Personal verschlingen Unsummen.
128 Millarden Dollar Devisenreserve der Türkei sind verschwunden. Viele Kreise bis in die AKP hinein fragen, wo das Geld hin sei. Das verschwundene Geld könnte unter anderem in die Kriegführung geflossen sein, mutmaßen Expert:innen. Şahap Kavcıoğlu, Chef der türkischen Zentralbank und Erdoğan-Unterstützer, stellte einen Zusammenhang mit der am 23. April gestarteten Großoffensive her und äußerte: „Diese bewaffneten und unbewaffneten Drohnen fliegen nicht ohne Geld. Die Soldaten sind dort auch nicht gratis.“ So bezeichnend diese Aussagen auch sein mögen, es ist nicht das erste Mal, dass die schwere Last der Militärausgaben für den Krieg in Kurdistan eingeräumt wird. Im Februar 2019 sagte Präsident Erdoğan bei einer Kundgebung seiner Partei im westtürkischen Aydın Richtung Gemüsebauer: „Kennen Sie den Preis einer Kugel? Haben Sie berechnet, welche Investitionen getätigt werden mussten, als unsere Hubschrauber nach Gabar, Cudi oder hierhergeflogen sind?“ Statt eine Verbindung zur ökonomischen Krise des Landes zu ziehen, stellte Erdoğan in seiner für ihn typischen Manier damals Kartoffel- und Zwiebelhändler als Ursache der Krise dar.
Militärausgaben in zehn Jahren um 86 Prozent gestiegen
Nach Angaben des internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI sind die Militärausgaben der Türkei im Zeitraum von 2010 bis 2019 um 86 Prozent auf 20,4 Milliarden Dollar und allein zwischen 2018-2019 um 5,8 Prozent gestiegen. Laut Recherchen derselben Organisation rangierte die Türkei 2019 auf Platz 15 der Liste der Staaten mit den höchsten Militärausgaben. Mit 17,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 belegte sie den 16. Platz. SIPRI verzeichnete insbesondere ab 2015 einen deutlichen Anstieg bei der Aufrüstung. Dieser Anstieg korreliert mit dem einseitigen Abbruch der Friedensverhandlung mit der PKK durch das Regime und des anschließenden Krieges in Bergen und Städten.
Drohnenhersteller sind von Steuer ausgenommen
Doch nicht nur durch direkte Ausgaben beeinträchtigt das Militärbudget den Haushalt, Drohnenhersteller sind von der Zahlung von Steuern ausgenommen. Sicher ist es kein Zufall, dass Selçuk Bayraktar, Chef des Drohnenherstellers Baykar, der Schwiegersohn Erdoğans ist. Die Türkei lobt sich selbst für „regional-produzierte Drohnen“ wie die Killerdrohne „Bayraktar TB2“. In einer Propagandashow signierte Erdoğan eine dieser Drohnen sogar selbst. Große Teile der angeblich hausgemachten Drohnen kommen jedoch vor allem aus Deutschland. Die Zahl solcher Drohnen im türkischen Militär beträgt offiziell 107, nach unabhängigen ausländischen Institutionen 174. Für eine dieser Drohnen zahlt der Staat den Preis von vier Millionen Euro an den Baykar-Konzern. Allein im November 2020 wurden 47 Millionen Euro für zwölf Drohnen vom Typ „Bayraktar TB2“ gezahlt.
Geld versickert in Erdoğans Familie
Entgegen der Behauptung der AKP-Regierung, dass „die bewaffneten und unbewaffneten Drohnen aus lokaler Produktion stammen und nur ein Fünftel kosten“ würden, sind die Kosten höher als beim Import. Wie viel Geld bei diesen Geschäften an Erdoğans Familie geht, ist Staatsgeheimnis. Der Profit, den der Baykar-Konzern von Erdoğans Schwiegersohn aus der Waffenproduktion verdient, bleibt steuerfrei. Allein im Jahr 2016 hat Baykar Makina insgesamt 36 Millionen US-Dollar für sechs Drohnen vom türkischen Staat erhalten.
Die Ausgaben für Drohnen und F-16-Bomber
Nach Aussagen von Expert:innen sind die täglichen Betriebskosten für bewaffnete Drohnen ähnlich hoch wie bei F-16-Kampfflugzeugen. Solche Bomber werden vor allem bei Angriffen auf die Medya-Verteidigungsgebiete eingesetzt. Ein F-16-Kampfflugzeug verbraucht 600 Liter Kerosin pro Minute. Eine Flugstunde kosten 25.000 Dollar, ein 24-stündiger Flug liegt bei 600.000 Dollar. Die Waffen, die bei einem Einsatz getragen werden, kosten 65.000 Dollar.
Die türkische Luftwaffe setzt auch F-4-Kampfflugzeuge ein. Die Flugstunde kostet hier 30.000 Dollar. Von diesen Flugzeugen werden MK-82-Bomben (500 Pfund) abgeworfen. Jede dieser Freifallbomben kostet 26.000 Dollar.
Der Treibstoff für einen Drohnenaufklärungsflug kostet 6.000 Euro. Wenn die Drohnen Nutzlast wie etwa Raketen tragen, sind die Ausgaben ähnlich hoch wie bei einem F-16-Kampfflugzeug. Eine MAM-L-Rakete, wie sie von Drohnen abgeschossen werden, kostet 40.000 Dollar. Eine Flugstunde eines Cobra-Kampfhubschraubers kostet etwa 6.000 Dollar.
Vierstündiger Angriff kostet 20 Millionen Dollar
Um die Kosten für die ständigen Luftangriffe, Aufklärung und andere militärische Operationen gegen Avaşîn, Metîna und Zap für mehr als zwei Wochen zu berechnen, genügt es, die bekanntgegebenen Kosten des vierstündigen Angriffs auf die Medya-Verteidigungsgebiete im Dezember 2007 zu betrachten. Nach den Informationen, welche die AKP-Regierung damals selbst der türkischen Presse zur Verfügung gestellt hatte, kostete der Angriff, der von 52 F-16- und F-4-Flugzeugen ausgeführt und von Artillerie unterstützt wurde, 20 Millionen US-Dollar. Die Rechnung für die Nutzlast der Flugzeuge, die Manöver und die Artilleriegranaten musste die Bevölkerung bezahlen.
Auslandsverschuldung wächst
Der eskalierende Krieg lässt die Militärausgaben der Türkei immer weiter explodieren. Diese werden aus dem Budget für wichtige Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Verkehrskommunikation und Energie abgezogen. Der Punkt Verteidigungsausgaben liegt daher im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sowohl über dem Durchschnitt der NATO-Staaten als auch der übrigen Länder der Welt. Das Ungleichgewicht zwischen den Einkommensverhältnissen der Menschen im Land und den Militärausgaben nimmt zu.
Ökonomen sagen auch, dass zwischen 20 und 30 Prozent der Auslandsschulden aus „Verteidigungsausgaben“ stammen. Wenn man die Daten des türkischen Finanzministeriums untersucht, ist es möglich eine direkte Korrelation zwischen steigenden Militärausgaben und der Auslandsverschuldung herzustellen.
Militärausgaben lassen Ökonomie schrumpfen
Expert:innen stellten fest, dass ein Anstieg der Militärausgaben um ein Prozent die Auslandsverschuldung um 0,6 Prozent anhebt, während gleichzeitig ebenfalls das Wirtschaftswachstum um 0,1 Prozent zurückgeht. Kurz gesagt, jede militärische Investition, welche die AKP/MHP-Regierung für den Krieg tätigt, jedes Flugzeug, das in die Medya-Verteidigungsgebiete geschickt wird, jede Rakete, die auf die Berge Kurdistans abgefeuert wird, lässt die türkische Wirtschaft weiter schrumpfen und erhöht die Auslandsverschuldung.
Originallink: https://anfdeutsch.com/aktuelles/turkei-der-krieg-frisst-den-haushalt-auf-26220