Türkische Drohnenangriffe im Schatten des Afghanistan-Konflikts

Seit mehreren Tagen kreisen türkische Kampfdrohnen über der nordostsyrischen Stadt Qamişlo. Gestern Vormittag haben sie schließlich zugeschlagen. Im Bezirk Himo wurde ein Fahrzeug gezielt angegriffen. Es ist nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass dabei niemand ums Leben gekommen ist. Es ist der zweite Angriff binnen 24 Stunden in Rojava. Bereits am Samstagabend wurde ein ziviles Fahrzeug im Dorf Qere Mezra südöstlich von Kobanê angegriffen. Fast zeitgleich zum Angriff in Qamişlo kamen in Südkurdistan zwei Zivilisten ums Leben, als ihr Fahrzeug vermutlich durch Artilleriebeschuss der türkischen Armee getroffen wurde. Schon am Dienstag war ein Krankenhaus im ezidischen Siedlungsgebiet Şengal das Ziel türkischer Angriffe. Dabei sind acht Menschen, darunter vier Mitarbeiter:innen der Klinik, ums Leben gekommen. Die Türkei eskaliert den Krieg in Kurdistan in diesen Tagen. Zu Gute kommt ihr, dass die Augen und Ohren der internationalen Öffentlichkeit seit der Machtübernahme der Taliban auf die Krise in Afghanistan gerichtet sind. Dass das kollektive Schweigen der internationalen Staatengemeinschaft das Vorgehen des türkischen Staates ermutigt, ist offenkundig.

Der seit Anfang April andauernde Invasionskrieg des türkischen Staates in den von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kontrollierten Gebieten in Südkurdistan ist ins Stocken geraten. In den türkischen Medien ist kaum noch etwas über diese großangelegte Militäroperation zu hören. Obwohl die türkische Armee immer wieder Giftgas und andere chemische Kampfstoffe einsetzt, um in die Stellungen der Guerillaeinheiten vorzudringen, kann die türkische Armee schon seit Wochen keine Erfolgsmeldungen verbuchen. Aus diesem Grund setzt das AKP-Regime andernorts in Kurdistan auf Eskalation.

Weitere Orte die ganz oben auf der Angriffsliste stehen, sind Til Temir und Ain Issa. Beide Städte befinden sich an der Frontlinie zu den seit Oktober 2019 von der Türkei besetzten Gebieten in Nordsyrien. Es gibt Berichte, dass die Türkei dort momentan eigene Soldaten und ihre islamistischen Söldner zusammenzieht. In Til Temir wurde am vergangenen Donnerstag ein Gebäude des Militärrats von türkischen Drohnen bombardiert. Vier Kämpfer:innen, darunter die YPJ-Kommandantin Sosin Bîrhat, sind dabei ums Leben gekommen.

Die Vorzeichen stehen auf Eskalation. Die Türkei will die gegenwärtige Afghanistan-Krise nutzen, um ihre Besatzungskriege in Kurdistan auszuweiten. Womöglich wird das AKP-Regime dabei versuchen, die Zustimmung der internationalen Mächte zu erkaufen. Erdoğan hat bereits mehrfach unterstrichen, den Flughafen von Kabul absichern und damit eine Aufgabe übernehmen zu wollen, vor der sich andere internationale Akteure derzeit scheuen. Dazu passt auch das Kooperationsangebot der AKP-Regierung gegenüber den Taliban. Und auch wenn aufgrund der rassistischen Hetzjagden gegenüber syrischen Geflüchteten in der Türkei die AKP derzeit signalisiert, keine afghanischen Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, könnte diese Angelegenheit am Ende zur Verhandlungssache mit der EU werden. Soll der türkische Staat abermals Deutschland und die EU vor einer „Flüchtlingswelle“ schützen, wird die Türkei mit Sicherheit neben großzügigen Finanzhilfen auch eine politische Zustimmung zu neuen Besatzungsoffensiven in Kurdistan einfordern. Das wissen auch die EU-Staaten, die mit ihrem Schweigen angesichts der Kriegsverbrechen der letzten Tage in Kurdistan bereits ihre Zustimmung hierfür signalisieren.

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