Hintergrundartikel zu den derzeitigen Kriegsvorbereitungen in Südkurdistan (Nordirak), Civaka Azad, 26.04.2017
In Südkurdistan steht ein neuer Krieg bevor. Den seit Monaten anhaltenden Drohungen der türkischen Regierung und der KDP folgen dieser Tage Taten: Meldungen von einem angeblich durch die PKK gekidnappten Internationalisten in Shengal, Panzer- und Truppenverlegungen entlang der türkisch-südkurdischen Grenze und Terrorismusvorwürfe gegen die PKK stimmen derzeit die Öffentlichkeit darauf ein, dass baldmöglichst ein Krieg gegen die PKK-Kräfte in Shengal und dem Kandil-Gebirge beginnen soll. Am 25. April kam es dann schließlich auch zu den ersten Angriffen der türkischen Luftwaffe auf Shengal und in Rojava. Ob es sich dabei um eine einmalige Aktion handelt, ist mehr als fraglich. Denn Erdoğan erklärte Anfang April, eine zukünftige Militäroperation habe nicht nur „eine syrische Dimension, sondern auch eine irakische. Da ist die Situation in Tal Afar und Sinjar [Shengal]. Wir haben auch Menschen in Mosul [Anspielung auf dort lebende TurkmenInnen]“. Worum es den Hauptakteuren, der türkischen Regierung und der KDP dabei geht, welche regionalen Folgen dieser Krieg nach sich ziehen wird und wie sich die internationalen Mächte im Falle eines Krieges verhalten werden, können wir vor dem Hintergrund historischer Begebenheiten und der aktuellen politischen Lage im Mittleren Osten verstehen. Es wird schnell deutlich, dass ein Krieg statt einer Lösung der drängenden Probleme in der Region nur unnötige Menschenleben kosten würde. Es gilt deshalb alles dafür zu tun, die Eskalation seitens der AKP und KDP zu stoppen.
Gezielte Provokationen und Kriegsvorbereitungen
Wir werden derzeit Zeugen einer abgestimmten Kampagne seitens Medien, Politik und Militär in der Türkei und Südkurdistan. Ziel ist es, noch in diesem Frühjahr im Rahmen einer umfangreichen Militäroperation des türkischen Heeres, der Luftwaffe und der KDP-Peshmerga die PKK militärisch entscheidend zu schwächen, wenn nicht zu zerschlagen. So kündigte der türkische Innenminister Süleyman Soylu im Februar diesen Jahres mit Blick auf mögliche Operationen in Südkurdistan an: „Wir werden die PKK im Frühling zerschlagen.“ Kommt es wirklich so weit, wäre dies die 27. Militäroperation der Türkei in Südkurdistan. Interessant ist dabei: Alle bisherigen Operationen der türkischen Armee endeten in einem militärischen, politischen und wirtschaftlichen Fiasko. Trotzdem scheint die Erdoğan-Regierung entschlossen zu sein, sich in die Geschichte der zwischen 1983 und 2008 gescheiterten Militäroperationen gegen die PKK in Südkurdistan einzureihen. Zu diesem Zweck fanden in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Treffen zwischen Geheimdienstvertretern, türkischen Regierungsvertretern, dem Iran und der KDP statt. So traf sich vor kurzem ein hochrangiger Vertreter des türkischen Geheimdienstes MIT nach einem Besuch bei türkischen Truppen im südkurdischen Bashika in der Nähe von Mosul mit Masrour Barzani (Vorsitzender des Sicherheitsrates in der südkurdischen Autonomieregion) in der Hauptstadt Südkurdistans, Erbil. Ziel der seit einem Monat andauernden umfangreichen Truppen- und Panzerverlegungen nach Silopi (Provinz Sirnak; wenige Kilometer von der türkisch-südkurdischen/irakischen Grenze entfernt), Kanimasi, Bamerni und Batufa (auf südkurdischem Gebiet) scheint die Vorbereitung einer Militäroperation gegen PKK-Kräfte im Kandil-Gebirge und Shengal zu sein. Gemäß den Absprachen zwischen türkischer Regierung und KDP soll sich auch eine 1200 Mann starke Einheit von KDP-Peshmerga an den Angriffen beteiligen. Medial sollen die Angriffe gemäß den Plänen begleitet werden von Vorwürfen wie „PKK vertreibt Dorfbewohner in Akre“, „PKK gräbt Tunnel im Grenzgebiet“ oder „Bewohner Shengals wollen die PKK nicht“. Einen Vorgeschmack auf die umfangreichen Operationen lieferte jüngst die militärische Eskalation seitens der KDP in Shengal und Makhmur. Beiden Orten ist gemein, dass die dort lebenden Menschen trotz ihrer Lage im von der KDP beanspruchten Herrschaftsgebiet auf politischer, sozialer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene die Nähe zur PKK suchen. Und während nach den jüngsten Luftangriffen auf Shengal alle größeren politischen Parteien Südkurdistans mit Ausnahme der KDP unisono die Türkei verurteilten, wurden aus den Reihen der Barzani-Partei Stimmen laut, welche der PKK die Verantwortung für die Luftangriffe zuschoben.
Für die derzeitige Eskalation und den offenkundigen Willen der Türkei und der KDP, einen erneuten Krieg gegen die PKK auf südkurdischem Boden zu führen, gibt es zahlreiche Gründe. Sowohl die Lage in Südkurdistan selbst, als auch die Beziehungen der KDP und der Türkei sind wichtig, um die derzeitigen Entwicklungen zu verstehen. Interessant ist auch die Frage wie sich wichtige internationale Akteure verhalten werden.
Die innerkurdische Lage
Südkurdistan (Nordirak) wird häufig als Musterbeispiel für Stabilität und Demokratie in der Region dargestellt. In den chaotischen Jahren nach der amerikanischen Irakinvasion im Jahr 2003 galten die kurdischen Peshmerga als Stabilitätsfaktor im Nordirak. Für ihre Zusammenarbeit mit der amerikanischen Besatzungsmacht wurde den KurdInnen im Nordirak ein Autonomiestatus zugestanden, der ihnen weitgehende wirtschaftliche, politische und militärische Unabhängigkeit von der irakischen Zentralregierung gewährte. In den anschließenden Regierungsjahren des Präsidenten Massud Barzani (seit 2005) kam es zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung, der vor allem durch die relativ stabile Sicherheitslage ermöglicht wurde. In Folge der Gebietsgewinne des Islamischen Staates (IS) im Jahre 2014 wurden jedoch die Schwächen des Modells Südkurdistan deutlich. Seither befindet sich die autonome kurdische Region in einer ernsthaften wirtschaftlichen, sozialen, politischen und militärischen Krise.
Wirtschaftlich befindet sich Südkurdistan in einer schwierigen Situation, die vor allem auf einer einseitigen und stark vom Ausland abhängigen Wirtschaftspolitik basiert. Darüber können auch die vielen Neubauten, Einkaufszentren und Luxusautos nicht hinwegtäuschen, die man auf den Straßen Erbils erblickt. Immer wieder werden LehrerInnen, BeamtInnen und Peshmerga monatelang nicht bezahlt. Zudem sind praktisch alle Wirtschaftsbereiche außer der Ölproduktion zusammengebrochen. Nahrungsmittel, Industriegüter, Strom und sogar Wasser müssen vorwiegend aus der Türkei importiert werden, obwohl die landwirtschaftlichen Voraussetzungen günstig sind. Das südkurdische Öl wird fast ausschließlich über die Türkei exportiert, was auch im Export zu einer massiven Abhängigkeit von einem Land führt, das zeitgleich gegen KurdInnen im westlichen und nördlichen Teil Kurdistans vorgeht
Die Politik der beiden größten südkurdischen Parteien KDP und PUK, die seit 2005 gemeinsam die Regierungen stellen, ist hauptverantwortlich für die politische Krise. Korruption stellt ein großes Problem in allen Bereichen des alltäglichen Lebens dar. So werden Privilegien häufig auf Grund von Clanzugehörigkeit und politischer Hörigkeit vergeben. Alle wichtigen politischen Posten, wie die des Geheimdienstchefs oder des irakischen Finanzministers, sind mit Verwandten Barzanis besetzt und der Beamtenapparat künstlich aufgebläht. Zugleich werden die Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt, die Medien gleichgeschaltet und kritische JournalistInnen mundtot gemacht. Demonstrationen werden mittlerweile häufig gewalttätig niedergeschlagen. Der seit 2005 regierende Präsident Barzani hätte laut Verfassung schon im Jahr 2013 abtreten müssen. Obwohl die zweijährige, verfassungswidrige Verlängerung seiner Amtszeit im August 2015 endete, weigert sich Barzani weiterhin seine Macht abzugeben. Er wird daher weniger von den Menschen im Land selbst, als von der internationalen Politik als Präsident angesehen.
Geschätzte 12.000 Ehrenmorde zwischen 1991 und 2007, Selbstverbrennungen und allein 14 Selbstmordversuche von Frauen im Jahr 2014 in Sulaimaniyya verdeutlichen das Ausmaß der sozialen Krise in Südkurdistan. In einem Verfassungsentwurf des südkurdischen Regionalparlaments aus dem Jahr 2009 wird die Sharia als maßgebliche Quelle für die Gesetzgebung festgelegt, was von vielen Frauenrechtsaktivistinnen Südkurdistans kritisiert wird. Mithilfe türkischen Kapitals wurde einer Vielzahl islamischer Privatschulen und Universitäten, Moscheen und islamischer Hilfsorganisationen die Arbeit ermöglicht, was zu einer zunehmenden Islamisierung der Gesellschaft führt. Politisch flankiert wird diese Gesellschaftsveränderung durch islamistische Parteien, von denen einige der Türkei und andere dem Iran ideologisch nahe stehen. Obwohl auf politischer Ebene auch Gesetze erlassen wurden, welche die Frauenrechte stärken, sind Zwangsheirat, Kinderheirat, weibliche Genitalverstümmelung und fehlende Bildung für Mädchen und Frauen noch immer eine Realität. Die Lage der Frauen hat sich insbesondere durch die wirtschaftliche Krise noch weiter verschärft. Sowohl die Selbstmord- als auch die Scheidungsrate steigt kontinuierlich. So wies die Gorran-Abgeordnete im irakischen Parlament, Sirwa Abdulvahit, im Februar auf die Gefahr des Frauenhandels in Südkurdistan hin. Aufgrund dieser Äußerung wurde sie Opfer einer massiven Hetzkampagne, die von der KDP organisiert und lanciert wurde. Der Sohn von Masoud Barzani, General Mansour Barzani, nahm höchstpersönlich an den öffentlichen Kundgebungen gegen die Abgeordnete teil. Folglich musste sie eine lange Zeit um Leib und Leben fürchten.
Ein wesentlicher Grund der politischen Misere ist der konservative Charakter der KDP. Der Krieg gegen den IS hat viele Akteure in der Region aus ihrer bisherigen Balance gebracht. Die Situation stellte auch eine Herausforderung für die KDP dar. 2014 zeigte sich in Shengal und Makhmour, dass die KDP-Peshmerga nicht in der Lage sind, die Bevölkerung gegen die IS-Angriffe zu schützen. Die Folge war ein großer Imageverlust der KDP sowohl im In- als auch im Ausland. Das Vertrauen in die Peshmerga wurde durch ihre Niederlage stark erschüttert. Während immer mehr Menschen begannen, die PKK als effektive Schutzmacht wahrzunehmen, sah die KDP diese Entwicklung für ihre Macht als die größte Gefahr. Durch die kurdische Demokratiebewegung in West- und Nordkurdistan (Syrien und Türkei) entwickelte sich eine neue Alternative für die Menschen in Südkurdistan. Durch die breite Beteiligung der Frauen und der Jugend an der Politik und am öffentlichen Leben in den beiden Teilen Kurdistans eröffneten sich auch für die Menschen in Südkurdistan neue Horizonte. Die freie Entfaltung und Organisierung der unterdrückten Glaubensgemeinschaften wie der ÊzîdInnen, AlevitInnen oder ChristInnen beeinflusste den Süden Kurdistans positiv. Denn auch in Südkurdistan stellt sich die Frage, wie ein friedliches Miteinander der verschiedenen Völker und Religionen gewährleistet werden kann. Die KDP hat daher auch starke ideologische Differenzen mit der PKK. Dennoch erklärte sich die PKK dazu bereit, mit der KDP im Rahmen einer kurdischen Nationalkonferenz nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Öcalan bot Massoud Barzani die Chance 2013 den Vorsitz eines kurdischen Nationalkongresses zu übernehmen. Er ahnte, dass sich der türkische Nationalstaat dem Kollaps nähern und daher versuchen würde, durch einen innerkurdischen Konflikt seine Lebenszeit zu verlängern. Öcalan erkannte auch den Machtcharakter der KDP und gab Barzani die Zusage, dass die PKK nicht mit ihr konkurrieren, sondern gemeinsam unter ihrem Vorsitz die Gesamtinteressen Kurdistans verteidigen werde. Die mehrfachen Aufrufe seitens der PKK sowie politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte Südkurdistans zu einem Nationalkongress blieben seitens der KDP jedoch bisher unbeantwortet oder wurden offen zurückgewiesen.
Die PKK setzt nach eigener Aussage weiterhin auf den Nationalkongress und ist bereit Kompromisse einzugehen, um einen innerkurdischen Krieg zu vermeiden. Denn solch ein Krieg würde den Gesamtinteressen der Kurden schaden und nicht nur denen der einzelnen Parteien. Die umfassenden gesellschaftlichen Probleme in Südkurdistan würden durch einen Krieg nicht verschwinden, sondern sich angesichts fehlender Lösungsperspektiven weiter vertiefen. Trotzdem scheint die KDP unter Führung Masoud Barzanis heute entschlossen, durch eine militärische Eskalation von den innenpolitischen Problemen abzulenken.
Beziehungen von KDP und Türkei
Betrachtet man die tiefgreifenden gesellschaftlichen Probleme in Südkurdistan, drängt sich die Frage auf, warum die KDP so wenig für deren Lösung tut und stattdessen mit dem bevorstehenden Krieg eine Zuspitzung der wirtschaftlichen, politischen, sozialen und militärischen Krise in Kauf nimmt. Ein wichtiger Grund für diese auf den ersten Blick irrational erscheinende Politik der KDP ist ihre Beziehung zur Türkei. Die kurze Darstellung der innenpolitischen Lage in Südkurdistan verdeutlicht, dass sich die KDP auf allen Ebenen in massiver Abhängigkeit von der Türkei befindet. Ob der Import von Lebensmitteln, Wasser und anderen wirtschaftlichen Gütern, der Export südkurdischen Öls oder Kredite zur Finanzierung des aufgeblähten Beamtenapparates; nichts geht mehr ohne die Kooperation des türkischen Staates. Die Türkei lässt sich so ihre politische Kehrtwende im Umgang mit einem potentiell an ihrer Südflanke entstehenden kurdischen Staat bezahlen und sorgt zugleich dafür, dass dieser ihr nicht gefährlich werden könnte. Aussagen türkischer Regierungsvertreter zeigen, dass die Türkei für sich das Recht beansprucht, auf südkurdischem Gebiet nach Belieben militärisch vorzugehen. Bereits im Oktober letzten Jahres sprach Erdoğan von entsprechenden Militäroperationen: „Wir werden diese Operation [Schutzschild Euphrates] in Syrien und dem Irak durchführen und nun in Kirkuk, Mosul, Tal Afar und Sinjar [Shengal]. Warum? Sinjar steht kurz davor das neue Kandil zu werden. Wir können nicht erlauben, dass so etwas in Sinjar passiert, denn die PKK ist dort.“ Selbst im Falle der Ausrufung eines kurdischen Staates auf nordirakischem Gebiet kann deshalb bei einer Fortsetzung der politischen Verhältnisse nicht von Unabhängigkeit oder gar staatlicher Souveränität die Rede sein. Vor diesem Hintergrund ist auch die Beteiligung der KDP an einem erneuten Krieg gegen die PKK in Südkurdistan zu bewerten. Sie kann aufgrund ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Abhängigkeit von der Türkei schlichtweg dazu gezwungen werden.
Auch auf ideologischer Ebene gibt es bedeutenden Verbindungen zwischen der AKP und der KDP, die eine Zusammenarbeit der beiden Parteien vereinfachen. Genauso wie der türkische Nationalstaat aufgrund der neuen Verhältnisse im Zuge des Umbruchs in Syrien vor einem Kollaps steht, befindet sich die KDP in einer ideologischen Krise. Die Strategie der demokratischen Nation, die Abdullah Öcalan entwickelte, führte zu steigenden Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen, die von der bisherigen Verfassung des Nationalstaates verleugnet wurden. Die 80 Abgeordneten der HDP repräsentierten alle Teile des Mosaiks in der Türkei. So waren die Hälfte der 80 Abgeordneten Frauen, aber auch AlevitInnen, ArmenierInnen, ChristInnen und andere Gruppen waren repräsentiert. Diese Entwicklung bedeutete einen revolutionären Durchbruch in einem Nationalstaat, der sich seit 100 Jahren ausschließlich auf eine Nation, eine Fahne und eine Sprache beruft. Auch die verschiedenen Volks- und Religionsgruppen in Südkurdistan nehmen die Entwicklungen in Nord- und Westkurdistan zunehmend als eine Lösung für ihre Zukunft wahr. Im Gegensatz zu den Vorschlägen Öcalans, die in der Region zunehmend als demokratische Perspektive wahrgenommen werden, lehnen Erdoğan und Barzani demokratische Grundprinzipien ab. Besonders deutlich wird dies durch ihre Politik gegenüber Frauen, die von diskriminierenden und unterdrückerischen Einstellungen geprägt ist. Beide stehen allen Gruppen feindlich gegenüber, die sich nicht wie sie entlang eines sunnitischen und feudal-konservativen Wertekanons organisieren. Die Haltung Erdoğans und Barzanis gegenüber demokratischen Grundprinzipien zeigt sich auch an ihrem autokratischen Herrschaftsstil. Beide verfolgen einen kompromisslosen Umgang mit oppositionellen Stimmen. Erdoğan lässt tausende Oppositionelle verhaften, während Barzani nicht nur Verhaftungen, sondern auch Morde an Oppositionellen für die Durchsetzung seiner Interessen nutzt. Der türkische Präsident wird nach dem Referendum wahrscheinlich das türkische Parlament entmachten. Er allein wird die Judikative, Legislative und Exekutive repräsentieren. Seitdem Masoud Barzani das Parlament 2015 de facto auflöste, ist sein Wort praktisch Gesetz. Auch in der Besetzung hoher politischer und wirtschaftlicher Ämter mit eigenen Familienangehörigen ähneln sich die beiden Präsidenten.
Auch auf internationaler Ebene fanden in den letzten Jahren entscheidende Veränderungen statt, die auf Seiten der KDP Besorgnis hervorrufen. Aufgrund der Erfolge der Parteien und Militäreinheiten im Kampf gegen den IS, die sich auf Öcalans Strategie und Alternative berufen, ist die PKK auf internationaler Ebene zu einem wichtigen Partner geworden. Internationale Akteure nehmen die Kraft der PKK zur Kenntnis und treten direkt und indirekt in den Dialog mit ihr. Bislang nahmen die KDP und Masoud Barzani in der internationalen Politik und Diplomatie diese Rolle ein. Er und seine Partei sahen daher ihren alleinigen Anspruch gefährdet, die Kurden auf dieser Ebene zu vertreten.
Regionale und globale Dimension eines möglichen Krieges
Die derzeitige Situation erscheint düster. Mit der Türkei und der KDP zeigen sich die entscheidenden politischen Akteure zu einem Krieg gegen die PKK entschlossen. Auch der Iran scheint den Kriegsverlauf erst einmal abwarten zu wollen und sich vorzubehalten, je nach Situation aktiv teilzunehmen oder von einem Scheitern der Operation zu profitieren.
Der Iran wird im weiteren Verlauf der Krise in der Region eine entscheidende Rolle spielen, denn auch er sieht turbulenten Zeiten entgegen. Am 19. Mai diesen Jahres finden in dem Land sowohl Präsidentschafts- als auch Kommunalwahlen statt. Der Iran wird sich bei diesen Wahlen um einen neuen politischen Kurs bemühen, um über die wachsenden innenpolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme hinwegzutäuschen. Die Türkei fordert vom Iran bei der Bombardierung der Stellungen der PKK, die sich im Grenzgebiet zwischen dem Irak und Iran befinden, ein Auge zuzudrücken. Die größte kurdische Bewegung in Ostkurdistan (Iran), KODAR, unterbreitete in einer vor kurzem veröffentlichen Deklaration Vorschläge für Demokratie und Frieden. Sie beruft sich auf die Strategie des Dritten Weges von Abdullah Öcalan und brachte seine politische Linie in dieser Deklaration klar zum Ausdruck. KODAR befürwortet weder externe Angriffe auf den Iran, noch die anti-demokratische Politik des iranischen Regimes. Diese Deklaration gibt dem Iran die Möglichkeit, von einer Kooperation mit der Türkei gegen die KurdInnen abzusehen. Entscheidet sich der Iran dennoch für ein Bündnis gegen die KurdInnen, riskiert er einen Krieg mit der KODAR. Dies würde den Iran in seiner ohnehin schwachen Lage noch weiter schwächen. Der Iran ist bekanntlich in die verschiedenen Kriegsschauplätze der Region wie z.B. Syrien, Jemen oder Irak verwickelt. Er nimmt dafür eine immense wirtschaftliche Überforderung und wachsende gesellschaftliche Spannungen in Kauf. Zudem würde er im Falle eines direkten oder indirekten Angriffes mit der Türkei auf die PKK erhebliche Probleme mit den Kurden in Rojava provozieren.
Der entscheidende Faktor für einen Krieg in Südkurdistan ist und bleibt jedoch das Bündnis zwischen der AKP und KDP. Es kann aus vielen Gründen nicht ausschließlich im Rahmen innerkurdischer Auseinandersetzungen gesehen werden. Wie oben beschrieben handelt es sich bei dieser Partnerschaft um ein Zweckbündnis. Das Bündnis vertieft den zunehmend ausweglos erscheinenden Krieg in der Region. Beide haben aufgrund ihrer Machtinteressen das Ziel, die Bekämpfung des IS zu schwächen, in dem sie mit der PYD/YPG/YPJ seinen effektivsten Gegner attackieren. Obwohl viele internationale Kräfte das Verteidigungsbündnis der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), an der die YPG/YPJ maßgeblich beteiligt ist, als verlässlichen Partner zur Bekämpfung des IS sehen, betrachten die AKP und KDP dieses als Gefahr für ihre Interessen. Beide sind bemüht, den Befreiungsbemühungen Steine in den Weg zu legen.
Insbesondere die türkische Regierung ist für ihr Hegemonialinteresse in der Region gewissermaßen auf den IS angewiesen. Denn die AKP stellt gegenwärtig die türkischen Grenzen von 1923 in Frage und erhebt Territorialansprüche auf Nordsyrien und Nordirak. Die Gefahr, die durch den IS auf diese Gebiete ausstrahlt, stellt die Legitimationsgrundlage für eine türkische Militärintervention in die genannten Regionen dar. Im Norden Syriens hat sich bereits gezeigt, dass die Türkei den IS als Vorwand vorschiebt, um letztlich gegen das kurdische Selbstverwaltungsmodell vorzugehen. Dass die Türkei im Falle des Nordiraks auch dasselbe Spiel beabsichtigt, ist offensichtlich. Aus diesem Grund wird beispielsweise auch die Intention der AKP, an der Mossul-Operation teilzunehmen, international mit Misstrauen begutachtet.
Für die Türkei geht es daher in der regionalen Politik derzeit um deutlich mehr, als für die KDP: Die KDP glaubt durch die Zusammenarbeit mit der AKP im Falle einer türkischen Annektierung dieser beiden Teile Kurdistans im Stile eines Provinzverwalters wie zu Zeiten des osmanischen Reiches fungieren zu können. Dabei war und ist insbesondere die Mossul-Frage eine regionale sowie internationale Frage. Daher werden weder die USA noch Russland oder der Iran tatenlos zuschauen. Wie die weitere Zukunft des Iraks aussehen wird, lässt sich nach der Befreiung Mossuls klarer prognostizieren. Doch Alleingänge von der AKP und der KDP, z.B. im Rahmen des aktuell drohenden Krieges gegen die PKK in Südkurdistan, treffen derzeit auf keine positive Resonanz.
Vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in der Region und der drohenden Zuspitzung der Krise stellte die politische Kritik des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel ein Schritt in die richtige Richtung dar. In seinem Treffen mit Barzani im April dieses Jahres forderte er diesen zur Reaktivierung des kurdischen Parlamentes auf. Ferner teilte er mit, dass Deutschland bis auf weiteres keine neuen Waffen an Barzani liefern werde. Den Ausgangspunkt für die Waffenproblematik spielt sicherlich der KDP-Angriff auf die ÊzîdInnen in Shengal. Hierbei wurden deutsche Waffen gegen êzîdische ZivilistInnen eingesetzt. Ferner ist dies wahrscheinlich auch Ausdruck deutscher Kritik an dem KDP-AKP-Bündnis. Deutschland hatte sich sehr intensiv gegen das Referendum, d.h. gegen die Alleinherrschaft Erdoğans, ausgesprochen. Auch wird durch die Aussagen Gabriels deutlich, wie stark die regionalen Entwicklungen mit globalen Interessen verbunden sind.
Die Politik des AKP-KDP-Bündnis‘ droht den Krieg in der Region weiter auszuweiten und widerspricht daher den Interessen vieler Akteure, nicht nur denen der PKK. Man weiß, dass beide Kräfte eine destabilisierende Politik betreiben und derzeit kein Interesse daran haben, islamistische Kräfte wie den IS entscheidend zu schwächen. Alle Akteure, die in der Region an einem baldigen Frieden und einer nachhaltigen Lösung interessiert sind, sehen die Notwendigkeit der Zerschlagung dieser Gruppen. Sie erkennen auch, dass die PKK spätestens seit der Verteidigung Kobanês die effektivste und verlässlichste Kraft in dem Kampf gegen den IS darstellt. Ein Krieg der Türkei und der KDP in Südkurdistan gegen die PKK würde die wirkungsvollste Kraft in diesem Kampf erheblich beeinträchtigen. Es gilt daher: Wer gegen den IS kämpft, kann nicht an einem Krieg gegen die PKK interessiert sein.