Der Afrîn-Gegenzug Russlands und die Operation auf Idlib

Mustafa Peköz für Sendika15.org, 25.03.2017

Der türkische Versuch, die Verbindung der Kantone Afrîn und Kobanê mit dem Einmarsch in Syrien zu verhindern, ist mit dem Gegenzug Russlands, Minbic und Afrîn zu vereinigen, ins Leere gelaufen.

Am 21. März 2017 nahmen russische Soldaten an den Newroz Feierlichkeiten in Afrîn teil. Auf einem der Bilder ist Generalmajor Andrey Volkov zu sehen, der auf seinem Arm ein YPG-Amblem trägt.

Im Syrien-Konflikt werden gegnwärtig die größten und gleichzeitig kritischsten Schritte gemacht. In der Allianz um das Gebiet von Minbic (Manbidsch) steht politisch die PYD und militärisch die YPG/YPJ im Mittelpunkt. Nachdem die Regierung in Ankara Minbic zum militärischen Ziel erklärte, haben die USA, Russland, die PYD und das syrische Regime eine Allianz gebildet.

Die Beziehungen Russlands und der USA mit der PYD bzw. der YPG bleiben nicht wie bisher auf rein punktueller Basis, sondern wenden sich immer mehr in Richtung einer längerfristig angelegten Zusammenarbeit. Beide globalen Kräfte wissen, dass die Stabilität der Region auch von der politischen Zukunft Syriens abhängt. Sie wissen auch, dass eine langfristige politische Stabilität nicht ohne eine Zusammenarbeit mit denjenigen, die militärisch und politisch von Bedeutung sind, zustande kommt.

Russland hat ernstzunehmende Erfolge in Syrien verzeichnet und ist einer der Hauptakteure bei der Bekämpfung radikal-islamistischer Organisationen. Die Beziehungen Moskaus zu PYD-YPG sind tiefer als bisher angenommen und von umfangreicher Natur. Russland ist sich dessen bewusst, dass ohne die PYD-YPG keine Stabilität in das Land einkehren wird. Deswegen hat Moskau jetzt viel klarere Schritte im Bezug auf PYD-YPG gemacht. So wurde der Türkei eine klare Botschaft vermittelt, indem die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Schutz genommen wurden. Somit lief der Vorstoß der Türkei, die Verbindung der Kantone Afrîn und Kobanê zu verhindern, seitens Russland praktisch ins Leere. Dieser militärische Zug Russlands hat das Gleichgewicht des Syrien-Konflikts verändert und gleichzeitg den Kurden neue Möglichkeiten geschaffen.

Die türkische Armee könnte Opfer weiterer „Irrtümer“ werden

Moskau war zwar stets bemüht, seine Beziehungen zu Ankara immer als positiv darzustellen, hat aber der Syrien-Politik Ankaras niemals vertraut. Stattdessen hat Russland gezeigt, dass es tiefere und langfristige Beziehungen mit den Kurden eingehen wird, indem die russische Regierung in Afrîn militärische Präsenz zeigte. Somit hat nach den USA auch Russland ihre politische und militärische Wahl auf die Kurden gesetzt.

Wie sollte der Vorstoß Russlands, nach Minbic auch in Afrîn militärische Präsenz zu zeigen, gewertet werden?

Erstens: Dass das russische Militär in Afrîn an der Grenze zur Türkei platziert wurde, zeigt, dass Russland einen Einmarsch nach Afrîn als einen Angriff auf sich selbst werten wird. Dass die Region Minbic-Bab-Afrîn faktisch unter russischer Deckung steht, bedeutet, dass das türkische Militär eingekesselt wurde und in einer Sackgasse steckt. Die türkische Präsenz in Syrien hat keinerlei Bedeutung mehr und das türkische Militär hat keinen Grund weiter in Bab zu bleiben. Sowohl militärisch als auch politisch sind diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben, sodass sie den Rückzug antreten muss.

Zweitens: Russland übernahm militärische Verantwortung für die syrischen Armee und die YPG und ist somit de facto zu einem militärischen Nachbar der Türkei geworden. Die türkische Armee kann keine Schritte machen, ohne die Reaktion des „Nachbars“ zu beachten. Ansonsten könnten weitere Einheiten oder Panzer „irrtümlich“ bombardiert werden.

Der PYD-Wunsch Erdogans und die Antwort Putins

Drittens: Der Wunsch Erdogans, das Büro der PYD in Moskau zu schließen, wurde aus diplomatisch-politischer Sicht ignoriert und „militärisch“ beantwortet, indem ein Generalmajor das Amblem der YPG trägt und an den Newroz Feierlichkeiten teilnimmt.

Viertens: Der Fakt, dass Russland das Militär nach Afrîn entsendet, ist ein klarer Beweis für eine Wende in seiner Syrien-Politik. Die Wende kann wie folgt beschrieben werden: Bisher war der Mittelpunkt der strategischen Beziehungen stets das syrische Regime. Von jetzt an wird die PYD-YPG ebenfalls in den Mittelpunkt aufgenommen. Dies bedeutet, dass Russland in Zukunft bei politischen und militärischen Schritten die PYD-YPG miteinkalkulieren wird.

Fünftens: In Syrien befinden sich derzeit zwei große Zentren, in denen Krieg geführt wird. Dies ist auf der einen Seite Rakka, wo derzeit eine erfolgreiche Operation seitens der SDF läuft und auf der anderen Seite Idlib, das vielleicht sogar den schwersten und letzten Kampf in Syrien darstellen wird.

Russland plant die Offensive auf Idlib mit beiden Kräften zu koordinieren. Demnach soll das syrische Regime die Offensive aus Aleppo und die YPG aus Afrîn heraus starten. Hierfür könnte Russland der YPG schwere Waffen geben. Dies würde bedeuten, dass die YPG potenziell weitere Grenzgebiete zur Türkei unter ihre Kontrolle bringen wird.

Die syrische Armee könnte an der Rakka Offensive teilnehmen

Sechstens: Die Türkei hat gesehen, dass sie eine Zusammenarbeit zwischen Russland und der YPG nicht verhindern kann. Die von ihr organisierten Treffen arabischer Stammeszugehöriger, um die politische Stabilität in Rojava zu stören und die militärischen Vorstoße Russlands ins Leere laufen zu lassen, hat in Moskau für Verstimmung gesorgt.

Siebtens: Damit der Plan Russlands aufgeht, muss eine Übereinkunft zwischen Russland und den USA auf Grundlage von Rakka und Idlib stattfinden. Daher sollte es keine Überraschung sein, wenn die syrische Armee der Rakka-Offensive beitritt und im Gegenzug die YPG an der Idlib-Offensive teilnimmt. Dies würde aus Sicht der Kurden bedeuten, dass die YPG ihre militärische Rolle verstärkt und zu einem Faktor zur Bestimmung neuer Gleichgewichte wird.

Fazit

Die Allianz Russlands mit der PYD-YPG ist nicht konjunkturell bedingt, sondern langfristig angelegt. Moskau plant, nach erfolgreichen Operationen auf Rakka und Idlib, eine politische Stabilität mit dem Assad-Regime, aber auch mit der PYD-YPG. Die militärische Präsenz in Afrîn wiederum bedeutet, dass die türkische Armee sich aus Bab zurückziehen muss und die Kurden in Idlib eine Rolle spielen werden. Und es scheint so, als würde die Türkei die Zusammenarbeit zwischen Russland und der YPG nichts weiter aussetzen können, außer rhetorisch sie „nicht zu akzeptieren“ bzw. „traurig“ darüber sein.

Der Prozess bis dahin wird aber schwer, bringt für die Kurden aber großes Potenzial für strategische Errungenschaften mit dich. Die aktuellen Ereignisse in Syrien eröffnen den Kurden große Möglichkeiten. All diejenigen, die diese Fakten nicht sehen oder sehen wollen, werden verlieren.