Der Schmutzige Krieg in Kurdistan breitet sich aus

8760Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 09. August 2015

Mit den anhaltenden Auseinandersetzungen in der Türkei und Nordkurdistan greift der türkische Staat verstärkt auf die Praxis des “Schmutzigen Kriegs” aus den 90er Jahren zurück. Die jüngsten Vorfälle in der Kreisstadt Silopi, bei dem drei Zivilisten kaltblütig durch die türkischen Sicherheitskräfte ermordet wurden, sind nur ein Beweis dafür (Wir berichteten HIER). Andere Beweise liefern ein erschreckendes Video aus Gever (Yüksekova), die Aushändigung von verletzten YPG-Kämpfern an die Al-Nusra Front und die Beförderung und Versetzung eines berüchtigten Generalmajors nach Kurdistan.

“Ihr werdet die Macht des Türken spüren!”

Seit gestern kursiert in den Sozialen Medien ein Video aus der kurdischen Grenzstadt Gever, das eine Innenansicht des Schmutzigen Krieges liefert. Zu sehen ist eine Vielzahl gefesselter Männer, die mit dem Gesicht in Richtung Boden liegen. Gefesselt wurden sie von einer Spezialeinheit der türkischen Gendarmerie, die wohl eine Razzia auf einer Baustelle in der Nähe des Flughafens durchführt. Anschließend werden die 52 Arbeiter der Baustelle kurzzeitig festgenommen, von denen 46 später allerdings wieder freigelassen werden. Die Kamera ist wohl auf dem Helm des Einsatzleiters der Spezialeinheit installiert, der bedrohlich vor den gefesselten Männern auf und ab läuft, und dabei Drohungen ausstößt. “Schau mich nicht an! Alle schauen auf den Boden!”, faucht er an einer Stelle. An anderer Stelle fragt er, schreiend: “Was hat dieser Staat euch angetan? Ich kenne euch alle! Wer von euch Verrat begangen hat, wird die entsprechende Antwort zu spüren bekommen. Ihr werdet die Macht des Türken spüren!”

Hier das Video:

 

“Sie wurden in den sicheren Tod geschickt”

Eine weitere Schreckensmeldung des Schmutzigen Krieges erreichte am 07. August die Öffentlichkeit. In einer Presseerklärung beschuldigen die Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Rojava (Nordsyrien) den türkischen Staat damit, dass dieser sechs in der Türkei zuvor medizinisch behandelte YPG Mitglieder über die türkisch-syrische Grenze abgeschoben habe. Seit einigen Tagen habe die YPG den Kontakt zu ihren Mitgliedern verloren. “Laut unseren Informationen wurden unsere sechs verletzten Freunde am Grenzübergang Bab El Hewa an die Banden der Al-Nusra Front ausgehändigt”, heißt es weiter in der Erklärung. Die YPG forderte den türkischen Staat zu einer Aufklärung der Sachlage auf, doch die türkischen Behörden ziehen das Schweigen vor. Der HDP Abgeordnete der Provinz Riha (Urfa), Ibrahim Ayhan, erklärte zu dem Vorfall, dass die sechs YPG Mitglieder eigentlich am Grenzübergang zum Kanton Afrin über die Grenze gebracht werden sollten. Das sei laut Angaben der Kantonsverwaltung allerdings nie geschehen. “Stattdessen wurden sie der Al-Nusra Front übergeben und somit in den sicheren Tod geschickt”, so Ayhan.

Das Statement der YPG ist HIER zu lesen.

Ein Akteur des Schmutzigen Krieges der 90er Jahre kehrt zurück nach Kurdistan

Der türkische Staat scheint gewillt, am Konzept des Schmutzigen Krieges in Kurdistan vorerst festzuhalten. Denn selbst die Akteure des Schmutzigen Krieges in den 90er Jahren werden nun erneut in Kurdistan eingesetzt. Einer dieser Akteure ist Musa Çitil. Dieser Mann war in den Jahren 1993 und 1994 in der Kreisstadt Derik (Provinz Mêrdîn/Mardin) als Kommandant der Gendermarie eingesetzt. In dieser Zeit wurde Çitil damit beschuldigt, 13 Dorfbewohner ermordet zu haben. Zwar wurde ihm dafür der Prozess gemacht, doch, wie in jener Zeit üblich, wurde der Gendarmeriekommandant Çitil von allen Vorwürfen freigesprochen. Zudem wurden ihm von der lokalen Bevölkerung Vorwürfe der Folter und Vergewaltigung zur Last gelegt, doch die türkische Justiz sah keine Notwendigkeit darin, diese Vorwürfe weiter zu verfolgen. Nun kehrt derselbe Musa Çitil, mittlerweile befördert zum Generalmajor, nach Kurdistan, genauer nach Amed (Diyarbakir), zurück.