… ein wirklich neues Paradigma

gultan kisanakDie Aufklärungskampagne zur Demokratischen Autonomie
Gültan Kisanak, BDP-Co-Vorsitzende, interviewt von Nihal Bayram

(…) Das Modell richtet sich nach dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht nur für die Identitäten als Nation, sondern auch für die einzelnen Kulturen und Religionen. Dieses System soll auch gleichzeitig diejenigen schützen, die in der Minderheit oder schwach sind. Die demokratische Moderne sollte auch hierbei die von den gegenwärtigen Demokratien geschaffenen und selbst erlebten Krisen überwinden. Wie viele Kriterien die gegenwärtigen Demokratien angeblich auch wahren und Minderheitenrechte schützen, so wissen wir doch, dass sie von der Mehrheitsseite begründet wurden und die Minderheitenrechte wenn auch nicht mit Assimilation, dann aber mit Integration vorsehen und die Minderheit der Mehrheit nach und nach anpassen. (…)

Was bedeutet das Modell der Demokratischen Autonomie?

Die Demokratische Autonomie bedeutet in der Lösung der kurdischen Frage die Schaffung eines neuen Systems. Es ist ein Projekt, das unterschiedliche Möglichkeiten in sich birgt. Wir hatten zu Anfang, als wir es begannen, nicht erwartet, dass es Lösungsperspektiven für so viele Fragen beinhaltet. Das überraschte selbst uns als Partei positiv. Als wir das demokratische Modell zu diskutieren begannen, suchten wir einen Lösungsweg aus der kurdischen Frage und versuchten in diesem Zusammenhang, eine alternative Lösung zu ergründen.

Wofür bzw. wogegen suchten Sie eine Alternative?

Lassen Sie es mich so erklären: In den Ländern, in denen solche und ähnliche nationale Probleme bestehen wie in unserem Fall die kurdische Frage, wird überall versucht, einen Lösungsweg zu finden. Das gilt sowohl für die Regierenden als auch für die Regierten. Dabei werden die historische Vergangenheit, die sozialen Strukturen, die ökonomischen Möglichkeiten analysiert und ein entsprechendes Modell gesucht. Und in ähnlicher Weise haben auch wir ein Modell gesucht.

Was in der Türkei oft diskutiert wurde, war z.?B. die Frage, ob es ein baskisches Modell, eine Irland-Lösung oder eine Version wie in Süd-Afrika sein würde … Diese und andere Anhaltspunkte wurden lange diskutiert und wir haben lange ein speziell für die Lösung der kurdischen Frage strukturiertes Modell gesucht.

Eine weitere Anstrengung war es, aufzuzeigen, wie die kapitalistische Moderne im Kontext der Grundprobleme und Grundwidersprüche der Menschen eine tiefe Enttäuschung bewirkt hat. Und es gibt eine Realität, die die Menschen erlebt haben, und das ist der Realsozialismus. Beide Erfahrungen haben den Menschen große Probleme bereitet. Auch aus diesem Dilemma wird eine alternative Lösung gesucht. Die Freiheitsbewegung der Kurden hatte zum Ziel, zwei Grundprobleme zu lösen. Das erste, im Zusammenhang mit dem Recht auf eine eigene, auf eine nationale Identität eine Lösung zu suchen. Das zweite Problem ist die Suche des Menschen nach Gerechtigkeit. In diesem Sinne wird zwar viel diskutiert, ob hier die kurdische, die nationale oder die Klassenbewegung im Vordergrund steht, aber eigentlich werden sie alle der gleichen Grundthematik zugeordnet. Und die Suche nach der Demokratischen Autonomie hat für beide Grundprobleme Lösungsperspektiven mit eingebracht. Denn hier galt es, im Kontext sowohl eines egalitären und gerechten Lebens als auch einer nationalen Identität eine Lösung zu finden. Als wir dieses Modell zu diskutieren begannen, betrachteten auch wir es nicht in einer solchen Tiefe. Wir suchten eher nach einem klassischen Lösungsmodell. Aber als die einzelnen Etappen und Bereiche nach und nach offensichtlich wurden und es diese zu verstehen und weiter zu vertiefen galt, haben wir erkannt, dass es wirklich ein neues Paradigma ist.

Dieses Paradigma hat neue Lichtblicke bei der Suche der Menschheit nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit geschaffen. Aber sie in angemessener Tiefe zu erörtern, zu verstehen, der türkischen und der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, ist leider immer noch nicht gelungen. Die neuen Lichtblicke für die Kurden wie auch für die Türken und den Mittleren Osten sind noch nicht ausgiebig erörtert oder verstanden oder diskutiert worden.

Während Sie das Modell zu erklären versuchten, setzten Sie es in Bezug zu den Kurden. Ist dieses Modell allein für die Kurden oder auch für alle Völker in der Türkei gedacht?

Es ist natürlich so, dass das Modell ganz unterschiedliche Aspekte berührt hat. Einer davon ist die Frage, ob die kurdische Angelegenheit innerhalb der Grenzen der heutigen Türkei gelöst werden kann. Das demokratische Modell gibt dazu eigentlich eine sehr ausdrucksstarke Antwort. Denn es besagt deutlich, dass ein Zusammenleben möglich ist. Es ist eine starke Antwort darauf, ob das türkische, das kurdische Volk und alle anderen Volksgruppen und Religionen, Kulturen gemeinsam in der Türkei leben können. Vor dem Paradigma der Demokratischen Autonomie gab es klassische Herangehensweisen, entweder sich zu trennen oder durch Teilübereinkünfte zu versuchen zusammenzuleben. Hierzu gibt es dann Suchergebnisse, wie eine Föderation, eine klassische Autonomie etc. auszusehen habe; das wird dann erforscht. Damit werden die einzelnen Kräfte ausgeglichen und im gegenseitigen Einverständnis werden dann einzelne Lebensräume geschaffen. Die Demokratische Autonomie im Modell funktioniert aber nicht so. Ein Zusammenleben in Gleichheit und Gerechtigkeit wird so ermöglicht. Und dabei wird das Modell eines Nationalstaates offen kritisiert und die Schäden, die er verursacht hat, werden mit den Lösungen konfrontiert. Hier spielen die Begriffe „demokratische Nation“ und „demokratische Heimat“ eine wichtige Rolle.

Können Sie diese beiden Begriffe bitte erläutern?

Sie wurden bisher nicht ausgiebig genug diskutiert. Die Nation wird marktgerecht definiert und sieht im Grunde eine Angleichung der ethnischen Identität an eine andere vor. In einem anderen Sinne kann sich eine Ethnizität ihren eigenen Lebensraum über dem Lebensraum anderer Ethnizitäten erschaffen. Der Begriff der Nation wird dabei mit den Begriffen Einzelnation, nationalistisch, Autorität, kapitalistischer Markt gleichgesetzt.

Im Zusammenhang mit der Demokratischen Autonomie haben wir begonnen, den Begriff „demokratische Nation“ zu diskutieren. Und dies beinhaltet, dass die Unterschiede, d.?h. hier die einzelnen Nationen, sich ihre eigenen Autonomiegebiete schaffen und ein egalitäres freies Zusammenleben auf einzelautonomer Basis ermöglichen.

Auch der Begriff „demokratische Heimat“ besagt, dass Identitäten in einer bestimmten Region unter historischen Gegebenheiten aufeinandertreffen und sich nach und nach zu einer Nation gestalten. Ein Nationalstaat zieht hierbei die staatlichen Grenzen gemäß dem kapitalistischen Markt. Manchmal werden sie im Zuge imperialistischer Kriege mit einem Lineal gezogen, manchmal entsprechend ökonomischen Normen. Aber sie sind nicht natürlich, sie sind nicht historisch verankert, gesellschaftlich oder mit der Realität der Völker im Einklang. Der Nationalstaat schafft sich eine Heimat. Aber nicht im Einklang mit den Realitäten der Völker auf diesem Gebiet. Das Gleiche kann man über unsere heutige Situation sagen.

Kurdistan ist eine historische Realität, Kurdistan ist eine soziale Realität, sie ist ein Teil der kulturellen und ethnischen Exis­tenz der kurdischen Bevölkerung. Aber analog zur Identität wird auch die Geographie der Kurden heute verleugnet und verweigert. Indem nun eine neue Diskussionsplattform zum Thema „demokratische Heimat“ geschaffen wurde, möchten wir die historische, soziale und realistische Definition fest verankern. Wenn der Begriff Türkei unter den Aspekten Anerkennung der Identität, der Sprache, der Kultur, der Unterschiedlichkeit, der konfessionellen Unterschiede der kurdischen Bevölkerung neu gefüllt werden soll, so müssen auch die geographischen Gegebenheiten der Kurden anerkannt werden.

Die Demokratische Autonomie ist aber nicht nur für die kurdische Bevölkerung, sondern für alle Volksgruppen, Religionen und Glaubensgemeinschaften ein gemeinsames Modell, in dem jedes Individuum sich selbst lebt und in dem zur Realisierung einer Vielvölkerschaft allen Richtungen die Türen geöffnet werden.

Aber ist die Türkei bereit für ein solches Modell?

Das zurzeit in der Türkei herrschende Chaos wird in vielen Teilen des Mittleren Ostens erlebt. Vor allem in den Staaten, auf die Kurdistan aufgeteilt wurde, als nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen wie mit einem Lineal gezogen wurden und das Leben der Völker mit diesem Lineal durchschnitten wurde.
Das Chaos wird somit ein Beweggrund sein, warum unser Modell so lebenswichtig und existentiell ist.

Viele sagen, die Kurden seien mit ihrem Modell auf dem Weg des Separatismus …

Das wird leider immer noch propagiert. Oft hört man, von Türken wie auch leider vielen „neutralen“ Kurden, immer wieder die klassischen Behauptungen wie „Heute sagen sie zwar das, aber werden sie sich morgen abspalten?“ oder „Wann werden sie wieder zur Unabhängigkeit kommen?“ oder „Wann werden sie zur These eines gemeinsamen Kurdistans zurückkehren?“.

Diese und weitere Vorurteile erschweren uns auch hin und wieder eine erfolgreiche Aufklärung in der Bevölkerung. Es sind sinnlose Diskussionen, die die Stimmung anheizen.

Welche Stellung hat der Staat im Modell der Demokratischen Autonomie?

Die Demokratische Autonomie nimmt die Gesellschaft in den Fokus und nicht den Staat. Der Staat wird in seinem Bestehen nicht abgelehnt, verleugnet oder aufgelöst. Er wird in seiner Systemstruktur kritisiert und mit Alternativen konfrontiert. Damit wird sein Handlungsspielraum eingegrenzt, während der Handlungsspielraum der Gesellschaft erweitert wird. Und genau das ist der demokratische Charakter unseres Modells. Dessen Stärke wird aus der gesellschaftlichen Stärke gewonnen, die Grundbausteine sind die Eigenkräfte der Frauen, der Jugendlichen, der sozialen, religiösen, kollektiven Gruppierungen, welche das Modell im Kollektiv gemeinsam stärken. Es ist hierbei für den Erfolg des Modells wichtig, dass dieses gesellschaftliche Kollektiv auch in sich strukturiert und organisiert handelt.

Was ist das Hauptziel dieses gesellschaftlichen Kollektivs?

Das Hauptziel ist eine partizipative Demokratie, in der alle Gruppierungen, alle Volksgruppen, Geschlechter, Religionen und Kulturen, gleichgestellt und gleichberechtigt eine Partizipation am gesellschaftlichen Zusammenleben erreichen.

Die aktuell bestehenden Demokratien indessen offenbaren in diesem Zusammenhang eindeutig interne Krisen und Handicaps.

Denn eines der größten Probleme der heutigen Demokratien ist es, dass sie den Gewählten überlassen werden und somit alles auf die Wahlen und auf die politischen Parteien konzentriert wird. Im Grunde sollte es doch so sein, dass das Volk das bestimmende Organ ist und die Gewählten dessen Repräsentanten sind. Heute sind es jedoch die Gewählten, welche die Entscheidungsrechte der Gesellschaft in Beschlag nehmen, einzelne „Demokratieschritte“ bestimmen, realisieren und inszenieren.

In den Sitzungen, Konferenzen und Einzelgesprächen versuchen Sie, dieses Modell den Menschen zu erklären. Wird es verstanden?

Wenn wir uns nun von der theoretischen Seite weg und auf die gesellschaftliche Ebene begeben, müssen wir uns eingestehen, dass das Volk nicht immer und nicht alles verstehen kann. Aber ich kann Sie dahingehend beruhigen, dass es seit Jahren dabei ist, dieses Modell zwar unbewusst, aber deutlich erkennbar zu praktizieren. Es hat das Modell, ohne es in seiner Theorie zu kennen, bereits verinnerlicht und in seinen Alltag unbewusst integriert.

Können Sie das anhand eines Beispiels verdeutlichen?

Ich war an einem sehr heißen, gar schwülen Sommertag beim Friseur. Die Friseusen hatten es unter der großen Hitze wirklich schwer. Es war gerade um die Mittagszeit und die Frauen mussten in dieser Mittagshitze schweißgebadet arbeiten. Eine von ihnen meinte schließlich in aller Offenheit zu mir: „Liebe Co-Vorsitzende, bitte versuchen Sie so bald wie möglich, das Modell der Demokratischen Autonomie zu realisieren, damit wir unsere Arbeitszeiten endlich selbst bestimmen können. Denn die im Westen legen die Arbeitszeiten nach ihren Klimabedingungen fest und wir müssen hier in dieser enormen Hitze schwitzen.“ Das ist ein gutes Beispiel, wie selbstverständlich die Grundprinzipien unseres Modells im Alltag aufgenommen werden bzw. bereits fest verankert sind. Eine grundlegende Besonderheit des Modells ist es auch, dass eine Selbstbestimmung über einzelne Schritte im eigenen Leben ermöglicht wird.

Eine weitere Erkenntnis aus unserer Aufklärungsreihe ist, dass vor allem Kurden noch in einer natürlichen Umgebung gelebt haben, d.h. zu einem großen Teil unbeschadet von kapitalistischen Einflüssen, die Binnenwanderung infolge ihres „Wandercharakters“ erlebt haben und daher eine demokratische Autonomie bereits aus dem eigenen Lebensstil kennen und leben. Der eine in seinem Dorf, der andere in seinem Fellgroßzelt. Daher haben sie es einfacher, das neue Modell zu verstehen. Das autonome Leben, die Möglichkeit, Entscheidungen selbst zu treffen, all dies ist ihnen bereits bekannt. Der Westen dagegen würde das als ein Leben ohne eine Leitung, ohne eine Führung und ohne das Prinzip, Regeln zu kennen bzw. anzuerkennen, bezeichnen. Darin ist auch ein kleiner Funke Wahrheit zu erkennen, denn durch ihre regionale Orientierung haben die Menschen ihre Normen selbst zu gestalten und im Einvernehmen mit der Gemeinschaft anzuerkennen. Das ist auch Prinzip der Demokratischen Autonomie, die Funktion, das Recht des Volkes, seine Lebensregeln selbst zu bestimmen und zu gestalten. Ein Grundbaustein der zivilisierten Demokratie.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Phobie des Staates, geteilt zu werden. Die türkische Seite denkt leider immer noch: „Die Kurden werden uns spalten, uns reinlegen.“ Das ist im Grunde auch eine Folge der Tatsache, dass wir das Modell noch nicht allen verständlich machen konnten. Denn diejenigen, die es erklärt bekommen und verstanden haben, sagen uns, dass sie nun verstehen, dass ein Zusammenleben und keine Spaltung angestrebt werde und dass das Modell somit ein gutes sei. Das motiviert uns wiederum, unsere Aufklärungsreihe in allen Teilen der Türkei weiterzuführen.

Ein Beispiel hierzu: Ich wurde von einem nationalistisch geprägten und den Nationalisten nahestehenden Akademiker interviewt, der mir am Ende sagte: „Ja wenn das so ist und wenn Sie das so wie hier erklären würden, dann bin ich überzeugt, dass sogar die CHP dem zustimmen würde.“ Das bekräftigt uns erneut und mit Nachdruck in dem Gedanken, dass unsere Aufklärungskampagne mit großer Anstrengung fortgesetzt werden muss.

Auch wenn die Nationalisten den Gedanken der Autonomie, der Demokratie, des ungebundenen Lebens der einzelnen Völker nicht ganz befürworten, so ist es aber doch ein Prinzip, das sie nicht als ein separatistisches oder dem Staat gefährliches Modell ansehen. Denn das ist auch unsere Anstrengung. Wir zielen mit unserem Modell nicht darauf ab, den Staat in seiner Existenz zu gefährden. Nein, wir zielen darauf ab, den Staat in seinem Machtstil, in seiner Administration zu kritisieren und dazu die autonome Verwaltung als alternatives Verwaltungsmodell neben den Staat zu etablieren.

Wie wollen Sie dieses Modell der Gleichheit, der Selbstbestimmung in einem Volk realisieren, in dem noch Stammeswesen und streng feudale Strukturen herrschen? Wie werden diese Teile der kurdischen Gesellschaft überzeugt werden können?

Es ist meine persönliche Wahrnehmung, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass im Gegensatz zu dem, was die westliche Zivilisation erlebt hat, der Feudalismus in Kurdistan kein solch tief verankerter Feudalismus ist. Das Prinzip des Adels und der stammesbezogenen Herkunft, der Klassenspezifizierung und anderer, all dies geht in Kurdistan nicht so tief. Der Feudalismus in Kurdistan hat sich eher oberflächlich gestaltet und erhalten.

In vielen Bereichen zeigt er sich eher in der Art des Clans, der Blutzugehörigkeit, ist aber nicht so stark auf Ausbeutung und Sklaverei ausgerichtet wie sonst in einem feudalen System. In Kurdistan gibt es sehr wenige Gebiete, in denen der Feudalismus mit ökonomischer Ausbeutung einhergeht, in denen die Dorfbewohner ohne Boden sind und die Herrschaft über diese Böden bei den Feudalherren liegt. Die [sozialen] Zerstörungen in dieser Hinsicht haben sich dementsprechend nicht sehr ausgebreitet. Natürlich ist es auch wichtig, diese aufzuklären, weil sie noch zurückgebliebene gesellschaftliche Wertvorstellungen beinhalten. Das sind Problembereiche.

Etwa 80?% der Bevölkerung sind dem Islam verbunden. Wie ist diese demokratische Moderne gemäß ihren Prinzipien der Egalität, der Selbstbestimmung und der Geschlechtergleichheit mit dem Islam und seinen religiösen Prinzipien zu verbinden?

Das Modell richtet sich nach dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht nur für die Identitäten als Nation, sondern auch für die einzelnen Kulturen und Religionen. Dieses System soll auch gleichzeitig diejenigen schützen, die in der Minderheit oder schwach sind. Die demokratische Moderne sollte auch hierbei die von den gegenwärtigen Demokratien geschaffenen und selbst erlebten Krisen überwinden. Wie viele Kriterien die gegenwärtigen Demokratien angeblich auch wahren und Minderheitenrechte schützen, so wissen wir doch, dass sie von der Mehrheitsseite begründet wurden und die Minderheitenrechte wenn auch nicht mit Assimilation, dann aber mit Integration vorsehen und die Minderheit der Mehrheit nach und nach anpassen.

Die demokratische Moderne bedeutet die Selbstbestimmung jeder Gruppe, ob aus zwei oder drei oder mehr Personen bestehend. Der Islam mag dagegen sein, aber wir werden mit diesem Modell erleben, dass die Existenz der einzelnen Religionen und ihre Weiterführung in eine neue Welt auch im Islam möglich sein werden. Es werden hier verschiedene Lebensbereiche angesprochen.

Zudem wird es verschiedene Unterorganisierungen geben, wie die der Jugend, der Frauen, wie die ökologische Bewegung, Stadträte, Dorfkommunen.

Dieser Mechanismus wird das Wesentliche sein, was die Demokratie strukturieren wird. In diesem Modell werden alle Menschen gleichgestellt. Wer den Islam lebt, kann dies den Modellprinzipien gemäß frei tun, und niemand darf sich in diesem Kontext in die Freiheiten anderer einmischen oder sie unterdrücken.

Damit ist dieses Modell der demokratischen Moderne eine Art Schutz für die einzelnen Religions- und Glaubensgruppen. Die ethnischen und religiösen Minderheiten haben dieses Modell besonders zu verstehen versucht. Denn sie haben speziell die Schmerzen der Demokratie erleben müssen und benötigen einen Bereich zum Atmen, in dem sie sich beteiligen, sich selbst organisieren und leben können.

Den Bemühungen der kurdischen Bewegung ist es auch zu verdanken, dass die Aleviten für ihre Rechte auf die Straße gehen. Das ist aber nicht nur in den kurdischen Provinzen so, auch in Tokat habe ich das erlebt.

Wie ist hierbei die Stellung der Frau einzustufen?

Die Frau selbst verfügt mit dem Modell der Demokratischen Autonomie über eine Stärkung ihrer Selbstbestimmung, eine Unterstützung ihrer Motivation, welche sich in ihrer eigenen Selbstorganisierung widerspiegelt. Ich muss dazu aber sagen, dass viele Frauen bereits eigene Bemühungen zur Selbstbestimmung entwickelt haben und dies Dank der kurdischen Bewegung nach und nach Erfolg zeigt. Die Demokratische Autonomie ist in diesem Sinne eine Möglichkeit, die regional entwickelte Selbstbestimmung der Frau auf die Gesamtgesellschaft zu übertragen.

Damit geht es nicht nur um frauenspezifische Themen, auch die familiären Strukturen werden dem Modell entsprechend umgebildet. Auch dies ist ein wichtiges Ziel, das wir im Hinblick auf die egalitären Gesellschaftsstrukturen erreichen wollen.

Quelle:
Kurdistan Report Nr. 160 März/April 2012

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