Die Kriegsvorbereitungen ((Zwei wichtige Hintergrundanalysen zu den Entwicklungen in Südkurdistan seit Jahresbeginn: https://anfdeutsch.com/hintergrund/analyse-warum-umzingelt-die-pdk-gare-22546; https://anfdeutsch.com/hintergrund/der-angriff-auf-zine-werte-und-der-besatzungsplan-fuer-qendil-18649; https://anfdeutsch.com/hintergrund/provokation-22607)) der Türkei in Südkurdistan dauern unvermindert an. Damit soll die letzte türkische Militäroperation, die im Juni in der Region Heftanin begann, auf weitere Gebiete entlang der türkisch-irakischen Grenze ausgeweitet werden. Im Kern geht es dabei um die Vorbereitung eines neuen Krieges zwischen der Türkei und der PKK. Doch möchte Erstere diesen Krieg mithilfe der Demokratischen Partei Kurdistans (Partiya Demokrata Kurdistanê; kurz PDK) lostreten. Dieser Plan wurde letztendlich von den USA entwickelt. Im August dieses Jahres hatte eine US-Delegation neben der irakischen Hauptstadt Bagdad, auch die beiden wichtigsten politischen Zentren Südkurdistans, die Städte Hewlêr (Hewlêr) und Silêmanî (Sulaimaniyya), besucht. Sie hatte dort Gespräche mit dem Ziel geführt, neben der in Hewlêr einflussreichen PDK auch Bagdad und die in Silêmanî ansässige Patriotische Union Kurdistans (Yekêtiy Nîştimaniy Kurdistan; kurz YNK) für das Türkei-PDK-Bündnis zu gewinnen. Die PDK und YNK sind die zwei dominanten Parteien in Südkurdistan. Obwohl sie sich offiziell in einem Regierungsbündnis miteinander befinden, ist Südkurdistan faktisch in zwei Herrschaftsbereiche aufgeteilt. Die türkeinahe Region um Hewlêr, Dihok und Zaxo (Zakho) wird von der PDK kontrolliert, während die YNK die Städte Silêmanî, Helebce (Halabdscha) und Ranya inklusive deren Umland entlang der iranischen Grenze kontrolliert.
Der Umstand, dass die PDK und die Barzani-Familie ((Mitglieder der Barzani-Familie besetzten zentrale Posten in der südkurdischen Autonomieverwaltung. Prominenteste Beispiele dafür sind der Ministerpräsident Mesrur Barzani und der aktuelle südkurdische Präsident Nechirvan Barzani. Auch der ehemalige Präsident Mesut Barzani verfügt weiterhin über großen politischen Einfluss. Die PDK ist faktisch eine Partei der Barzani-Familie, die unabhängig von den offiziellen Peshmerga-Kräfte auch über eigene bewaffnete Milizen verfügt.)) aktuell so entschlossen und sehnsüchtig auf einen Krieg hinarbeiten, lässt sich mit der starken Unterstützung und umfassenden Absicherung erklären, die ihnen durch die USA gewährt werden. Die PDK und Türkei vereint jedoch die Sorge, wie sehr sich die neu gewählte US-Regierung an die getroffenen Absprachen halten wird. Mit dem 20. Januar 2021 – dem Ende von Trumps Amtszeit – im Blick, möchten sie deshalb so schnell wie nur irgend möglich den Krieg beginnen.
Die PDK-Führung hat unter Umgehung des Parlaments und der eigenen Koalitionspartner in der Regierung Südkurdistans, die Parteien YNK und Gorran, die Entscheidung gefällt, gemeinsam mit der Türkei gegen die PKK in den Krieg zu ziehen. Im Bewusstsein, dass diesem Abkommen abgesehen von den PDK-Kreisen selbst, keine der politischen Parteien, Intellektuellen, SchriftstellerInnen oder die Gesellschaft selbst zustimmen würden, sind vollendete Tatsachen geschaffen worden.
Die Gesellschaft Südkurdistans versteht die PDK-Entscheidung als Kollaboration mit dem Feind und als Legitimierung der türkischen Besatzung südkurdischen Bodens. Das weiß die Barzani-Familie und die PDK-Führung am allerbesten. Es ist daher notwendig, ihre Kollaboration zu verleugnen und mithilfe vielfältiger Ausreden und Entschuldigungen zu verschleiern. PDK-nahe südkurdische Medien wie Rudaw und Kurdistan24 lassen täglich Vertreter und Unterstützer der PDK zu Wort kommen, die der PKK Morde, Anschlagspläne und Angriffe auf die Peshmerga vorwerfen. Und so wird in praktisch all diesen Meldungen behauptet, die PKK wolle Südkurdistan besetzen, sei gegen kurdische Selbstbestimmung und würde eigentlich nur für die Unabhängigkeit Nordkurdistans (Südosttürkei) kämpfen. Tatsachen zu verheimlichen, Manipulation und Desinformation reichen jedoch nicht aus, um die Kollaboration mit der Türkei zu vertuschen. Denn die Entwicklungen vor Ort und die weite Verbreitung moderner Kommunikationsmittel schwächen die Desinformationsbemühungen der PDK. So hat sie bisher weder die offizielle Unterstützung ihrer Regierungspartner für den geplanten Krieg gewinnen, noch verhindern können, dass sich einflussreiche zivilgesellschaftliche Organisationen wie der KNK (Kurdistan Nationalkongress) oder hunderte KünstlerInnen und Intellektuelle in Unterschriftenkampagnen gegen einen Krieg aussprechen.
Die treibenden Kräfte hinter dem aktuellen Plan wissen sehr genau, dass ein gemeinsamer Krieg der Türkei und der PDK gegen die PKK so lange erfolglos verlaufen wird, wie die südkurdische Bevölkerung sich gegen den Krieg ausspricht. Als PDK-Kräfte am 4. November in der nahe der südkurdischen Stadt Akre gelegenen Region Gare versuchten, in ein Lager der PKK-Guerilla vorzustoßen und es in Folge dessen zu Spannungen kam, erklärten die USA umgehend in einer offiziellen Stellungnahme: „Wir verurteilen den gegen die PDK-Kräfte gerichteten Terror der PKK“ ((https://www.state.gov/attacks-by-the-terrorist-pkk-organization-in-the-ikr/)) . Kurz darauf wiederholte das französische Außenministerium die US-Erklärung praktisch im Wortlaut ((https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/dossiers-pays/irak/evenements/article/irak-attaques-contre-les-forces-de-securite-de-la-region-autonome-du-kurdistan)) . All dies geschieht im Kontext der Bemühungen, die Kollaboration der Türkei und PDK zu unterstützen und die dafür notwendige öffentliche Unterstützung zu erschaffen. Im Rahmen der aktuellen Kriegsvorbereitungen ((https://anfdeutsch.com/kurdistan/pdk-verlegt-truppen-nach-gare-22367; https://anfdeutsch.com/kurdistan/pdk-stationiert-prasidialgarde-in-duhok-22555; https://anfdeutsch.com/kurdistan/pdk-zieht-weiter-truppen-zusammen-und-bedroht-hirten-22694)) ist es sehr wahrscheinlich, dass auf jede neue Provokation von PDK-Kräften gegen die Gebiete der Guerilla derartige Erklärungen folgen werden.
Die USA, die Türkei und die PDK haben sich darauf geeinigt, gemeinsam die PKK zu zerschlagen. In diesem Sinne wird der völkerrechtswidrige Krieg der Türkei von der internationalen Staatengemeinschaft geduldet. Die westlichen Staaten schweigen zu den Massakern, die die bewaffneten Drohnen der türkischen Armee gegen die kurdische Guerilla in Südkurdistan, die Verteidigungseinheiten in Şengal sowie gegen die Demokratischen Kräfte Syriens (Quwwāt Sūriyā ad-dīmuqrāṭīya; kurdisch Hêzên Sûriya Demokratîk, kurz QSD) verüben und tragen sogar zur Produktion der Kampfdrohnen ((https://anfdeutsch.com/hintergrund/internationale-unterstuetzung-fuer-tuerkische-killerdrohnen-21243)) bei.
Aktuell besteht ihr größtes Problem in der fehlenden gesellschaftlichen Unterstützung für ihren Plan. Weder das südkurdische Parlament, noch die Regierung, andere Parteien oder die Bevölkerung Südkurdistans möchten diesen Krieg. Ganz im Gegenteil, die Gesellschaft fordert, dass die PDK sich nicht an die Seite der Türkei stellt, sondern gemeinsam mit der PKK gegen die türkische Besatzung kämpft, sollte der Krieg zwischen der Türkei und der PKK-Guerilla noch mehr eskalieren. Die Barzani-Familie verfügt über keinerlei andere Optionen, als zu versuchen Legitimität für ihre Kollaboration mit der Türkei zu schaffen. Deshalb befinden sich Mesrur und Mesut Barzani seit dem 9. November auf einer ‘Anti-PKK-Tour’ durch Europa, um die europäischen Länder in Bewegung zu versetzen. Ihre erste Station waren die Niederlande, wo Mesrur Barzani Gespräche mit dem Ministerpräsidenten Mark Rutte führte.
Die derzeitigen Beziehungen und praktischen Schritte lassen eindeutig erkennen, welche Anliegen bei diesen Gesprächen zur Sprache gebracht werden. Mesrur Barzani und seine Begleiter werden erklären, die PKK erkenne die Herrschaft der südkurdischen Regierung nicht an, die Guerilla greife die Sicherheitskräfte der PDK an und südkurdische Dörfer würden von der PKK entvölkert. Deshalb werden sie fordern, die PKK müsse aus Südkurdistan vertrieben werden. Sie werden die Staaten und Regierungen in diesem Rahmen dazu auffordern, die PKK zu offiziell zu verurteilen.
Aufgrund ihrer Handelsbeziehungen und tagespolitischer Vorteile könnten die Gesprächspartner Mesûd und Mesrur Barzanis durchaus positiv auf deren Forderungen reagieren. Doch werden sie sich aufmerksam notieren, dass eine kurdische Partei ein Bündnis mit ihren traditionellen Feinden eingeht, um eine andere kurdische Partei aus Kurdistan zu vertreiben. Die aktuellen Verhältnisse sind eindeutig. Doch gibt es durchaus Stimmen, denen daran gelegen ist diese klaren Verhältnisse zu verzerren und zu verschleiern, um das Türkei-PDK-Bündnis zu legitimieren.
Hüseyin Alptekin, Mitglied der türkischen Forschungs- und PR-Organisation SETA, schrieb in einem Artikel am 7. November 2020 über die aktuellen türkischen Bemühungen in Südkurdistan: „Je mehr die Spannungen zwischen der PDK und PKK zunehmen, desto umfangreicher wird die geheimdienstliche Unterstützung der PDK für die Türkei ausfallen. Zugleich werden vor Ort zahlreiche weitere Vorteile entstehen. Zudem wird den Bemühungen entgegen gewirkt werden, die Nähe der Türkei und der PDK dafür zu nutzen, die Türkei als ‘Kurdenfeindin’ darzustellen. Die Botschaft, dass die Türkei ein Problem mit der PKK hat, wird dadurch bestärkt werden.“
Die türkische Zusammenarbeit mit der PDK ist kein langfristiges, strategisches oder gar freundschaftliches Unterfangen. Es handelt sich um eine Beziehung, die der Türkei dazu dienen soll, die auf internationaler Ebene immer stärker werdende Meinung zu entkräften, die Türkei sei eine Feindin aller Kurdinnen und Kurden. Die PDK und ihre Unterstützer versuchen derzeit eifrig ihre Mitschuld an den türkischen Verbrechen zu vertuschen und das schlechte Bild zu korrigieren, das durch ihre Kollaboration mit Türkei entsteht. Je stärker sich die Kurdinnen und Kurden gemeinsam mit ihren vielen Freundinnen und Freunden auf der Welt gegen diese kriegstreiberische Kollaboration stellen, desto mehr wird das PDK-Türkei-Abkommen ins Leere laufen und letztendlich als ein weiterer Beweis für den Verrat der PDK auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.