Erdogan holt “Geheimarmee”-Chef in den Beraterstab

sadatMichael Knapp für TELEPOLIS 18.08.2016

Zur Mission des Sicherheitsunternehmen Sadat A.Ş gehört es, die “Abhängigkeit von westlichen kreuzfahrerimperialistischen Staaten zu verhindern”. Der Besitzer wird nun Chefberater beim türkischen Präsidenten

Während die lange schon bekannten Fakten über die Zusammenarbeit der türkischen Regierung mit Dschihadisten an die Öffentlichkeit gelangen, ernennt Präsident Erdoğan eine der mutmaßlichen Schlüsselfiguren dieser Zusammenarbeit, den ehemaligen General Adnan Tanrıverdi, Besitzer der Söldnerfirma Sadat A.Ş. zum Chef seines Beraterstabes. Die Ernennung fällt in den Kontext einer Umbildung und “Säuberung” des Regierungsapparats nach dem gescheiterten Putschversuch angeblicher Gülenisten am 15. Juli 2016.

Das Unternehmen Sadat A.Ş., das als “Geheimarmee für Erdogan” für Aufsehen, Kontroversen und Beunruhigung gesorgt hat, versteht sich selbst als “islamische Alternative” von Söldnerfirmen wie Blackwater. Als Ziel seiner Mission gibt Sadat an, “die islamische Welt dabei zu unterstützen, den verdienten Platz unter den Supermächten einzunehmen“. Dazu will man eine Gegenmacht zu den Unternehmen des “westlichen Imperialismus” aufbauen.

Auf der Website der Firma macht sie sich dschihadistische Rhetorik zueigen. 23 mutige Unternehmer, die die Werte des Islam respektieren, hätten sich zusammengefunden, um mit der Unterstützung von 64 erfolgreichen Offizieren und ehemaligen Offizieren, die in verschiedenen Einheiten des türkischen Militärs gedient haben, eine “Abhängigkeit von westlichen kreuzfahrerimperialistischen Staaten zu verhindern”.

Wie Telepolis bereits berichtete, ist die Firma Sadat A.Ş. operativ am Kriegsgeschehen in den kurdischen Regionen der Türkei und – mit großer Wahrscheinlichkeit – auch in Syrien beteiligt. Parlamentarische Anfragen der CHP-Fraktion nach der Beteiligung von Sadat A.Ş. am Syrienkonflikt blieben allerdings bis heute unbeantwortet. Mitglieder des Sicherheitsunternehmen, die in den kurdischen Gebieten in der Türkei operierten, wurden von Zeugen wiederholt “als vollbärtige Männer mit dschihadistischem Auftreten” beschrieben. Eingeräumt hat die Söldnerfirma “Kontakte zur FSA”.

Allerdings kann “FSA” im Sprachgebrauch politisch-militärischer Zirkel in der Türkei für vieles stehen, besonders auch für die Umschreibung der Unterstützung dschihadistischer Gruppen und rechtsextremer turkmenischer Milizen. In diesem Kontext ist die Rubrik “Stellenanzeigen” der Firma interessant. So werden Mitarbeiter gesucht, , die arabisch sprechen und sich sowohl mit russischen Panzern als auch mit der Wartung von Hummer Fahrzeugen auskennen.

Den Söldnern der Firma werden von Medien Kriegsverbrechen, wie die versuchte Exekution von 34 Dorfbewohnern in der Region Lice am 9. Juli, vorgeworfen. Ein Offizier der Armee konnte diese Hinrichtung angeblich im letzten Moment verhindern.

Vieles am Unternehmen Sadat A.Ş. wirft Fragen auf. Die Firma bietet Kurse mit allen Formen von Militärgerät auf ihrer Website an: von Panzern, über Artillerie bis hin zu Spezialkommandos und Formen der Spezialkriegsführung. In ihrem Beraterstab befinden sich hochkarätige Spezialisten für psychologische Kriegsführung. Dabei verfügt die Firma nach Angaben des türkischen Handelsregisters über auffällig geringes Kapital. Während für die oben genannten Kursangebote ziemliche Investitionen für Waffen, Munition und Fahrzeugt notwendig sind, verfügte die Firma im Juli 2016 lediglich über ein ausgewiesenes Kapital von 880.000 Türkischen Lira. Auf die Frage, ob die Firma Ausbildung für Kontraguerilla betreibe, antwortete Sadat A.Ş. ominös “Wir haben keine organische Beziehung zum Staat.”

Diese Behauptung dürfte mit der Ernennung Tanrıverdis in den Beraterstab Erdogans in Zweifel zu ziehen sein. Deutlich ist jedenfalls die Darstellung auf ihrer Website:

Sadat bietet Training an für Hinterhalte, Razzien, Straßenblockaden, Zerstörung, Rettungs- und Entführungsoperationen und zusätzlich für die Verteidigung gegen solche Situationen, die in den Ländern, in denen operiert wird, vorkommen. Weiterhin organisiert Sadat die Operationen unkonventioneller Kriegsführung in diesen Ländern.

Die wenigen verbliebenen oppositionellen Medien in der Türkei äußerten scharfe Kritik an der Ernennung von Tanrıverdi zum Chef des Beraterstabs. Diese Zeitungen wurden sowohl in Erklärungen des Sicherheitsunternehmens als auch von Regierungsmedien zum Angriffsziel gemacht. Sie wurden als Medien der FETÖ (Begriff der türkischen Regierungspresse: “Fethullah Gülen Terör Örgütü) und der PKK dargestellt. Die Tageszeitung Özgür Gündem wurde am 16.08. verboten, die Redaktion wurde gestürmt und die Journalistinnen und Journalisten unter Misshandlungen inhaftiert. Die Verbindung zwischen der AKP-Regierung und der Söldnerfirma deutet auf einen Trend, bei gefährlichen und heiklen Operationen nicht auf das politisch unzuverlässige Militär zu vertrauen, sondern in gewissen Bereichen auf Privatisierung zu setzen.

Der Aufstieg einer Firma, die den Westen in dschihadistischer Diktion als “Kreuzfahrerstaaten” bezeichnet, in die höchsten Ränge der Regierungsberatung in Ankara, ist nicht beruhigend, dürfte allerdings vor dem Hintergrund der BND-Einschätzung des Verhältnisses der Türkei zum Terrorismus nicht verwundern.

Originallink: http://www.heise.de/tp/artikel/49/49159/1.html