Pressemitteilung von Civaka Azad, 27.06.2014
Am 26. Juni hat die türkische Regierungspartei AKP dem Parlament ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der den Gesprächen zwischen dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und Vertretern des türkischen Staates eine rechtliche Grundlage geben soll. Der Entwurf trägt den Namen „Gesetzesentwurf zur Beendigung des Terrors und Stärkung der gesellschaftlichen Einheit“ und wird als ein Schritt der türkischen Regierung im Rahmen des seit mehr als eineinhalb Jahren anhaltenden Gesprächsprozesses zwischen dem türkischen Staat und Öcalan gewertet. Die kurdische Seite hatte von Beginn des Prozesses an einen solchen Schritt von der türkischen Regierung gefordert. Durch das Gesetz sollen die Gespräche eine Legalität nach türkischer Rechtsprechung genießen, und einen Übergang von einem Gesprächs- zu einem Verhandlungsprozess für die Lösung der kurdischen Frage ermöglichen. Des Weiteren erhofft sich die kurdische Seite durch Verabschiedung eines solchen Gesetzes eine stärkere Transparenz des Prozesses für die Öffentlichkeit. Bislang hatte der türkische Staat auf einer strengen Geheimhaltung der Gesprächsinhalte auf der Gefängnisinsel Imrali beharrt.
Ebenfalls am 26. Juni besuchte eine Delegation im Namen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Abdullah Öcalan auf Imrali. Nach der Rückkehr aus der Gefängnisinsel verkündete die Delegation eine Message Öcalans, in der dieser den Gesetzesentwurf bewertete. „Ich erachte es als sehr wichtig, dass die vor uns stehenden Arbeiten in diesem historisch bedeutenden Prozess von nun auf einer rechtlichen Basis geführt werden können. Mit dieser Veränderung entsteht erstmals die Möglichkeit, dass der Staat die Auseinandersetzungen mit Teilen der Gesellschaft, mit denen er im Konflikt steht, nicht auf gewaltsame Weise sondern auf Basis von Verhandlungen lösen kann. Aus dieser Sicht ist dies ein historischer Schritt“, so Öcalan.
Der Co-Vorsitzende des KCK Exekutivrates Cemil Bayık erklärte in einem ersten Statement gegenüber der Tageszeitung Özgür Gündem, dass die kurdische Freiheitsbewegung prüfen werde, inwieweit die Gesetzesvorlage einen rechtlichen Rahmen für Verhandlungen darstelle und dementsprechend eine Position einnehmen werde. Zugleich warnte Bayık allerdings auch die türkische Regierung und betonte, dass sie kurdische Seite keine weiteren Hinhalteversuche akzeptieren werde. Deswegen müsse ein rascher Übergang zu richtigen Verhandlungen für eine Lösung der Frage vollzogen werden.
Es gab auch Kritik von kurdischer Seite am Gesetzentwurf. So bemängelte die stellvertretende Vorsitzende der Partei für Demokratie und Frieden (BDP) Meral Danış Beştaş, dass der Name des Entwurfs nicht dem Sinn des gegenwärtigen Prozesses entspreche. Begriffe wie „Terror“ oder „Terrorismus“ seien nicht angebracht, wenn das Gesetz Teil eines gesellschaftlichen Lösungsprozesses in der kurdischen Frage darstellen soll. Dennoch bewertete auch Beştaş die Vorlegung des Gesetzesentwurfs im Parlament trotz einiger inhaltlicher Unklarheiten als einen wichtigen Schritt. „Der Entwurf ist nicht die endgültige Form des Gesetzes. Im Zuge der Debatte kann es noch zu inhaltlichen und sprachlichen Veränderungen kommen“, erklärte Beştaş.
Die Kritik aus der BDP wird genährt durch ein Statement des stellvertretenden türkischen Ministerpräsidenten Beşir Atalay, der nach Einreichung des Gesetzentwurfs im Parlament auf die journalistische Anfrage, wann der Lösungsprozess denn erfolgreich sein werde, folgendes erklärte: „Wenn die Gewalt endet und die Waffen niedergelassen werden Wenn diejenigen in den Bergen zu ihren Familien zurückkehren. Dann haben wir unser Ziel erreicht.“ Ezgi Başaran, Kolumnistin der Tageszeitung „Radikal“ kritisierte die Antwort Atalays und die sich darin wiederspiegelnde Sicht der AKP auf die Lösung der kurdischen Frage, und erklärte, dass der Lösungsprozess erst dann erfolgreich sei, wenn die KurdInnen zu ihren Menschenrechten gelangen und wenn der Staat für die Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung zur Rechenschaft gezogen wird.
Geteiltes Echo zum Gesetzentwurf kam aus den Reihen der Republikanischen Volkspartei (CHP). Während der stellvertretende Vorsitzende der CHP Sezgin Tanrikulu erklärte, dass solch ein Gesetz ein notwendiger Schritt sei, wenn man die kurdische Frage in der Türkei lösen wolle, bewertete der CHP Abgeordnete Engin Altay den Vorstoß der AKP als taktisches Manöver, um bei den Präsidentschaftswahlen an kurdische Stimmen zu gelangen. Wenig überraschend gab es von Seiten der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) nur ablehnende Reaktionen auf den Gesetzentwurf.
Unterdessen wurde das Datum für die Sommerpause des türkischen Parlaments auf den 25. Juli verschoben, vermutlich um den Gesetzesentwurf zuvor noch verabschieden zu können. Neben dem rechtlicher Grundlage für den Lösungsprozess steht als dringende Forderung von kurdischer Seite die Freilassung der kranken Gefangenen im Raum. Öcalan hat am 26. Juni über die HDP-Delegation diese Forderung abermals erneuert. Die Türkei müsse diese Frage lösen und sich ihrer Schmach endlich entledigen.
Für Hintergrundinformationen zum Lösungsprozess und Forderungen der kurdischen Seite siehe auch Civaka Azad Infoblätter „ ‚Der Weg zur Lösung‘ – Verlauf und Forderungen im Lösungsprozess in der kurdischen Frage“