Nordkurdistan wird vom Krieg beherrscht (3)

Selman Ağar Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 12.09.2015

Der Krieg in Nordkurdistan und die faschistischen Angriffe auf kurdische Zivilisten im Westen der Türkei gehen unvermindert weiter. Militärische Auseinandersetzungen werden u.a. aus Dersim, Gever (Yüksekova) und Têtwan (Tatvan) gemeldet. Auch die Lynchattacken von faschistischen Mobs auf kurdische Zivilisten und die HDP reißen nicht ab. Zuletzt wurde im nordtürkischen Rize binnen zwei Tagen das zweite Mal die Familie der HDP Sprecherin der Stadt, Selda Karafazlı, von Faschisten angegriffen. In Bezug auf die Organisatoren der faschistischen Lynchattacken taucht immer wieder der Name der “Osmanischen Vereine” (Osmanli ocaklari) auf. Die Osmanischen Vereine, die sich mittlerweile in 73 türkischen Städten organisiert haben, sollen auf Befehl der Erdogans gegründet worden sein und gelten als Handlanger und “Schlägertrupp” der sog. islamistisch-nationalistischen Gesinnung, wie sie durch die AKP repräsentiert wird.

Im Mittelpunkt der Angriffe des türkischen Staates allerdings weiterhin die Stadt Cizîr (Cizre).

Co-Bürgermeisterin von Cizîr des Amtes enthoben

Während die Auseinandersetzungen in Cizîr kein Ende nehmen, hat das türkische Innenministerium nun auch die Co-Bürgermeisterin der Stadt, Leyla Imret, des Amtes enthoben. Die Entscheidung wurde am Abend des 11. Septembers bekannt gegeben. Die 27jährige Imret lebte vor ihrer Wahl zur Bürgermeisterin in Cizîr im März 2014 in Bremen.

Bilanz von einer Woche Ausnahmezustand in Cizîr: 21 Tote

Der Gouverneur der Provinz Şirnex (Şırnak) hat unterdessen nach sieben Tagen militärischer Belagerung von Cizîr angekündigt, die Ausgangssperre über die Stadt aufzuheben. Die Bilanz der einwöchigen Belagerung der Stadt ist erschreckend. Insgesamt 21 Menschen wurden durch die Schüsse und den Raketenbeschuss des türkischen Militärs ermordet. Noch am 10. September wurde der 10jährige Selman Ağar durch die Schüsse von Scharfschützen der türkischen Sicherheitskräfte schwer verletzt und erlag am Folgetag den Folgen seiner Verletzungen. Seit dem 04. September ist die Stadt von der Außenwelt abgekapselt. Nicht nur die Telekommunikationskanäle in Cizîr werden immer wieder gekappt, auch den Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wurde der Zugang in die Stadt verwehrt. Aufgrund der Ausgangssperre konnten die ermordeten Zivilisten bislang noch nicht einmal bestattet werden. Ihre Leichname werden teilweise in Kühltruhen verwahrt. Ob durch die Aufhebung der Ausgangssperre das Leben in Cizîr sich wieder normalisieren wird, bleibt abzuwarten. In erster Linie wird dies wohl davon abhängen, ob das türkische Militär die Belagerung der Stadt beenden wird.

Solidarität mit Cizîr über Kurdistan hinaus

Trotz aller Blockaden haben sich tausende Menschen mit dem Beginn des Ausnahmezustands in Cizîr in Richtung der rund 120.000 Einwohner zählenden Stadt in Bewegung gesetzt. An dem Ziel des “Friedensmarsches”, die unter permanentem Beschuss befindlichen Stadtteile Nur und Cudi in Cizîr zu erreichen, wurden die AktivistInnen allerdings von den türkischen Sicherheitskräften gehindert. Daraufhin haben die DemonstrantInnen den Beschluss gefasst, ihre Aktion in eine Friedensmahnwache vor den Toren von Cizîr umzuwandeln.

Auch international nimmt die Solidarität mit dem Widerstand von Cizîr immer weiter zu. Bereits unter der Woche kam es in dutzenden europäischen Städten zu Demonstrationen, die gegen den türkischen Staatsterror in Cizîr gerichtet waren. Am Samstag sind erneut in einer Vielzahl von deutschen Städten wie Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Dresden Demonstrationen geplant.

 

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