Tanya: Das Hauptproblem des Iran ist die kurdische Frage

Zilan Tanya, Ko-Vorsitzende der „Freien und demokratischen Gesellschaft aus Ostkurdistan“ (KODAR), zu den Problemen und Lösungsperspektiven in Ostkurdistan und dem Iran, 27.06.2018

Warum glaubt ihr als KODAR, dass für den Iran die Vorbereitung eines neuen Lösungsprojekts notwendig ist?

Es ist erkennbar, dass es im iranischen Staat politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Probleme gibt und das System vor einer Sackgasse steht. All dies erstickt die Gesellschaft. Der Staat hat nicht das Potential, diese selbstverursachte Krise zu lösen. Wir erwarten keine Lösung vom Staat. Gleichzeitig ist es aber auch nicht richtig, zu sagen, dass eine äußere Macht kommen und den Iran befreien soll. Die iranische und kurdische Gesellschaft wird diese Krise beenden. Und das geht nur über den demokratischen Kampf. Um ein Zuspitzen der negativen Situation zu verhindern und für eine bessere Zukunft der Völker des Iran werden wir vor allem in dieser Phase ein Lösungsprojekt darlegen.

Wie lautet euer Lösungsvorschlag für diese drängenden Probleme?

Das Projekt der Lösung orientiert sich an der Gesellschaft und ihrem Willen. Die Gesellschaft ist in der Lage, die aktuellen Probleme ohne jegliche Erwartungen an den Staat, eigenständig, mithilfe seiner Fähigkeiten und Erfahrungen, zu lösen. Demokratie und Freiheit können nur durch die Kraft des Volkes entstehen. Eine äußere Macht kann dies nicht der Gesellschaft aufdrängen. Die Gesellschaft muss entscheiden. Als Bewegung sind wir bereit mit der Gesellschaft zu gehen, um politisch und gesellschaftlich in jeder Hinsicht die Forderungen des Volkes zu garantieren. Das System steckt in einer Sackgasse. Wir sind bereit für dessen Überwindung  die Richtung zu weisen.

Welche Punkte sind im Lösungsprojekt besonders präsent?

Wie bereits erwähnt sind politische, kulturelle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und menschenrechtlichen Aspekte für die Stagnation des System entscheidend. Die Frauenfrage ist ein wichtiger Punkt. Natürlich werden diese Aspekte primär behandelt. Auch die Identitätsfrage der iranischen Völker ist wichtig. Die kurdische Frage ist von Bedeutung. Das arabische, aserbaidschanische, belutschische und selbst das persische Volk sind mit diesen Problemen konfrontiert. Um diese Probleme zu lösen ist eine demokratische Verfassung nötig. Der Ansprechpartner für ein solches ist die Gesellschaft selbst. Die aktuelle Verfassung erkennt eine gesellschaftliche Diversität an.

Wie sieht die Kurdenpolitik des Iran aus und was für einen Platz nimmt die kurdische Frage in der aktuellen Krise des Iran ein?

Das Hauptproblem des Iran ist die kurdische Frage, die gleichzeitig auch eine der wichtigsten Fragen des Nahen Ostens ist. Die Kurden werden heute kulturell, wirtschaftlich und politisch Massakern ausgeliefert. Sie haben keine Identität. Deswegen sind ihre Überlebenschancen sehr gering. Um zu überleben, müssen sie an ihre Grenzen gehen und sind täglich dem Tod ausgesetzt. Wenn sie sich dagegen stellen werden sie als separatistisch verfolgt und festgenommen. Kurdische Frauen, die ihre Kultur pflegen wollen, werden zur Zielscheibe und sind Vergewaltigung, Festnahmen und Säureangriffen ausgesetzt. Psychisch sind mit Folter konfrontiert. Wir betrachten diese Situation als eines der Hauptprobleme an. Der iranische Staat schiebt die Lösung der kurdischen Frage vor sich hin.

Welche Parameter sind in ihrem als KODAR vorbereitetem Lösungsprojekt enthalten, um die kurdische Frage zu lösen?

Die iranische Regierung muss die kurdische Frage beim Namen nennen. Um es beim Namen zu nennen, muss es in einen Dialog mit dem Ansprechpartner des Problems treten. Die Forderungen der Gesellschaften müssen angehört werden und es braucht konkrete Pläne und Projekte um die bestehenden Probleme anzugehen. Die Projekte und Pläne der kurdischen Gesellschaft müssen miteinbezogen werden. Es muss eine Atmosphäre der Lösung geschaffen werden. Die iranische Regierung versucht Ostkurdistan zu militarisieren. Es gibt sehr strenge Sicherheitsbestimmungen. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Den kulturellen Feierlichkeiten und nationalen Feiertagen muss Respekt entgegengebracht werden; die Leute sollen in Ruhe feiern können.

Wie handhabt ihr die Frauenfrage im Lösungsprojekt?

Die Frauenfrage ist eine der Hauptprobleme des Irans. Der Iran ist ein tief sexistischer Staat. Er ist ein Staat, der bei Vergewaltigen ein Auge zudrückt. Es gibt eine Kultur der Vergewaltigung. Unser Kampf ist ein Kampf, der die Freiheit der Frau zum Ziel hat. Ein Kampf, der die Freiheit und den Willen der Frau nicht beachtet, ist kein richtiger Kampf und kann keine gesellschaftliche Veränderung herbeiführen. Die Freiheit der Frau ist für uns ein Gradmesser.

In letzter Zeit gibt es Diskussionen um eine Intervention im Iran. Glauben Sie, dass sich solch ein Eingreifen ereignen wird und was wären die Folgen?

Die Probleme des Iran lassen sich nicht von außen lösen. Die Probleme sind innere Dynamiken und können nur durch die Gesellschaft selbst gelöst werden. Der Iran muss sich ändern, es gibt keinen anderen Weg. Aber zu glauben, die Lösung kommt von außen, ist eine Erwartung, die die kapitalistischen Staaten schaffen wollen. Eine wahre Lösung wird so nicht erreicht werden. Im Gegenteil würden sie die Probleme vertiefen. Die arabischen Staaten sind dafür der Beweis. Der Irak kann sich nicht vom Chaos lösen und die Probleme werden fortlaufend größer. Mit dem Iran könnte im Falle einer Intervention das gleiche passieren. Wir sind gegen eine äußere Einmischung und stehen voll und ganz für eine Lösung durch interne gesellschaftliche Dynamiken.

Als KODAR betonen Sie des Öfteren die demokratische Einheit der Völker. Nimmt dieser Aspekt auch eine Rolle im Lösungsprojekt vor?

Dieser Punkt ist für uns immer einer der wichtigsten Themen gewesen, denn der Iran ist ein Mosaik an Völkern. Unser Lösungsvorschlag nimmt die demokratische Einheit der Völker zur Grundlage. Für ein gemeinsames demokratisches Leben sind selbstverständlich gemeinsame demokratische Projekte und Kämpfe von Nöten. Ein freier und demokratischer Iran ist nur durch einem gemeinsamen Kampf möglich.

Heute nimmt vielleicht die kurdische Gesellschaft eine Vorreiterrolle ein. Allerdings kann sie es nicht alleine bewerkstelligen. Wenn die Perser, die Aserbaidschaner und Belutschen und alle anderen Völker des Iran keinen gemeinsamen Kampf führen, werden die bestehenden Konflikte niemals gelöst werden und eine demokratische Lösung wäre in weiter Ferne. Wir legen großen Wert auf den gemeinsamen Kampf der Völker gegen das bestehende krisenhafte System. Selbstverständlich werden alle mit ihrer eigenen Identität in diesem Kampf Platz einnehmen. Aber neben dem eigenen Kampf der Völker muss es einen gemeinsamen Kampf gegen das krisenhafte System geben.