Wirtschaft in Rojava und die Zukunft der Revolution

Salvador Zana, Internationalist in Rojava, über die Förderung von Kooperativen und anderen Modellen kommunaler Wirtschaft; für den Kurdistan Report September/Oktober 2017

Rojava bedeutet Westen auf Kurdisch und steht kurz für Westkurdistan und bezeichnet die kurdischen Gebiete innerhalb der syrischen Grenzen. Was der Begriff »Gebiet« genau bedeutet und was nicht, ist in Rojava zwischen verschiedenen kurdischen politischen Fraktionen ebenso wie zwischen Kurden und anderen Einwohnern der Region diskutiert worden. Relevant für diesen Artikel sind die Gebiete, die der Selbstverwaltung der Xweserîya Demokratîk (Demokratischen Autonomie) zugeschrieben wurden und später der Föderation Nordsyrien, die das gegenwärtige politische Gerüst der sozialen Revolution in Rojava und Nordsyrien bildet.

Eine kurze Wirtschaftsgeschichte

Das Gebiet Rojava ist Teil des fruchtbaren Halbmonds und erstreckt sich größtenteils zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris und dem nördlich gelegenen Taurus-Gebirge. Diese umfangreiche Region Mesopotamiens war höchstwahrscheinlich Schauplatz der Agrarrevolution im Neolithikum, und Landwirtschaft ist noch heute die wichtigste wirtschaftliche Aktivität in Nordsyrien. Die aus ländlichen und nomadischen Stämmen gebildete, feudale sozioökonomische Struktur erfuhr bis zum Beginn der europäischen Kolonisation in den 1920er Jahren im Wesentlichen keine Änderung, obwohl einen wichtigen Faktor der Zustrom von Assyrern, Chaldäern, Armeniern und anderen christlichen Minderheiten darstellte, die den Genozid in der Türkei überlebt hatten, in der Ebene in Nordsyrien ansässig geworden waren und einige der ersten Städte gründeten wie zum Beispiel Qamişlo (arab.: al-Qamischli), das heute als eines der Wirtschaftszentren der Region gilt. Viele von ihnen kamen selbst aus größeren und kleineren Städten und gingen ihren mehr städtischen Berufen als Kaufleute und Handwerker nach. Die französischen Kolonisatoren hatten einen großen Anteil an der Gestaltung und dem Ausbau von Städten wie Qamişlo und Hesekê (al-Hasakah) und der Bau der Berlin-Bagdad-Bahn zog entlang ihrer Strecke viele weitere Ansiedlungen nach sich, von denen die bedeutendste Kobanê (Ain al-Arab) ist. Die Bahnlinie wurde bald zur Demarkationslinie der Grenze, die die neuen Staaten Türkei und Syrien trennte. Durch ihre Entstehung wurden viele Siedlungen zweigeteilt – die größte Qamişlo –, Familien, Gemeinden und Völker, die auf beiden Seiten der Gleise lebten, wurden geteilt. Diese erzwungene Trennung hatte erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Region und war nicht weniger schwerwiegend als diejenigen zwischen Nord- und Südkorea, Ost- und Westdeutschland und unzählige weniger bekannte andere, die Folge des imperialen Kolonialismus waren.

Die nächste große Veränderung kam in den 1960er und 1970er Jahren, als das Baath-Regime die Macht übernahm. Die Baathisten machten sich eifrig an eine zentralistische Planwirtschaft. Dabei bestimmten sie den Nordosten Syriens zur nationalen Kornkammer. Die kommunale traditionelle Art der landwirtschaftlichen Produktion wurde durch große industrialisierte Weizen-Monokulturen in den Händen staatlicher Unternehmen ersetzt, die sehr auf Kunstdünger und Pestizide angewiesen waren. Baumwolle hingegen wurde in geringerem Maße angebaut. In Richtung Westen, in der eher bergigen Landschaft nördlich von Aleppo, blieb die landwirtschaftliche Produktion vielfältiger – mit vielen verschiedenen Obst- und Gemüsesorten und weniger industriell. In den gesamten kurdischen Regionen waren Olivenhaine und Pistazienbäume hervorstechend. Viele von ihnen wurden gefällt, zuerst vom Staat und später auch von Einheimischen als Feuerholz. Schaf- und Ziegenhaltung setzte sich bis in die Gegenwart fort, auch wenn die meisten der nomadischen Schafhirten gezwungen wurden, sich schließlich niederzulassen.

Neben der Landwirtschaft kamen die Rohölausbeutung und später auch das Erdgas als das neue große Geschäft auf, vor allem im Nordosten des Landes. Der Staat achtete aber nicht auf die Region, vor allem aufgrund ihrer Entfernung zum Herzland und der rebellischen Vergangenheit der Kurden. Die ganzen Verarbeitungsindustrien für die regionalen Erzeugnisse wie Mühlen und Raffinerien wurden weit entfernt errichtet, in Homs, Hama und Aleppo. Das Öl wurde gefördert, der Weizen angebaut, dann ins Zentrum des Landes transportiert und später wurden Diesel und Mehl wieder an die Menschen verkauft, die das Rohmaterial produziert hatten. Rojava teilte das Schicksal vieler Regionen und Länder, deren Wirtschaft auf der Produktion von Rohstoffen beruht, da es völlig abhängig blieb von den Instanzen, die seine Erzeugnisse verarbeiteten wie auch die Region mit allen anderen Gütern versorgten, umso mehr, als es keinerlei Autonomie gab, die eine eigenständige wirtschaftliche Initiative erlaubt hätte. Im Gegenteil, der Staat war kontinuierlich darum bemüht, die Region so abhängig wie möglich zu halten, indem er die Staatsbürgerschaft für Kurden und andere Minderheiten verweigerte, die Mitglieder politischer Organisationen und Gewerkschaften verfolgte, die nicht Teil der Baath-Partei waren, massiv Bäume fällen ließ, um ökonomische Selbstversorgung auszuschließen, und es praktisch verunmöglichte, ohne ausdrückliche Erlaubnis der Behörden und Parteimitgliedschaft etwas höher als eingeschossig zu bauen oder sogar einen Baum zu pflanzen.

Groß-Aleppo wurde Syriens erstes großes Industriezentrum und blieb auch das wichtigste Handels- und Wirtschaftszentrum des Landes, selbst während des Krieges. Viele Menschen aus Rojava und Nordsyrien – meist verarmte Bauern und Hirten – zogen in die städtischen Zentren, von denen Aleppo das größte und nächste war. Die Kurden und andere Minderheiten eröffneten in der Regel ein Geschäft in separaten Stadtvierteln wie Şêx Meqsûd und Eşrefiye in Aleppo oder Zorava und Kurdan in Damaskus. Auch Menschen, die eine Hochschulbildung verfolgten, mussten in die größeren Städte umsiedeln. Die nördlichsten Universitäten waren in Aleppo, Raqqa und Hesekê.

Ab den 90er Jahren begann das Baath-Regime neoliberale Reformen einzuführen, behielt dabei allerdings den autoritär-zentralistischen Charakter des Staates weiterhin bei. Während ausländische Unternehmen die Staatsunternehmen teilweise ersetzten, blieb die Produktionsweise insgesamt dieselbe.

Zu Beginn des Aufstands im März 2011 waren Rojavas Haupterzeugnisse Weizen, Baumwolle, Erdöl und Erdgas, in geringerem Maße andere landwirtschaftliche Produkte wie Fleisch, Oliven, Pistazien, Eier und verschiedene Milchprodukte.

Die Wirtschaftsphilosophie der Revolution

Abdullah Öcalan wurde bereits mehr als genug zitiert, aber ich muss es ein weiteres Mal tun. Er vergleicht die Gesellschaft mit einem Feld. Wenn eine Monokultur angelegt wird, werden Dünger, Pestizide, ein Zaun, Industrieanlagen und so weiter benötigt, andernfalls wird die Ernte ruiniert. In der Gesellschaft ist das der Staat. Eine monokulturelle, oder nationalistische, Gesellschaft kann nicht ohne Staat existieren, weil sie schwach ist wie die Früchte auf einer industriellen Plantage. Wenn verschiedene Kulturen zusammen gepflanzt werden hingegen – ganz nach den Grundsätzen der Permakultur und der Agroforstwirtschaft –, entwickelt sich das Feld zu einem Ökosystem, das sich selbst reguliert und keine Einmischung braucht, ähnlich wie eine gesunde vielfältige Gesellschaft keiner autoritären Institutionen bedarf.

Heutzutage versuchen Menschen auf unterschiedlichste Weise das Ökosystem zu regulieren und zu »zähmen«, so wie sie auch gesellschaftliche Probleme mit gerissener Politik, raffinierter Gesetzgebung, Krieg oder anderen externen Methoden zu beheben versuchen, die die Gesellschaft sowie ihre Ursprünge, Dynamik und Komplexität missachten und dadurch Milliarden Menschen auf passive Subjekte ganz nach den Plänen einer abgetrennten Klasse von »Managern« reduzieren. In beiden Fällen vollzieht sich derselbe Prozess: die Spaltung der Welt in eine passive leblose Masse, die sich zu unterwerfen hat (Natur, Frauen, Menschheit, »das Volk«), und einen aktiven Herrscher (Mann, Gott, Regierung). Die emanzipatorische Theorie lehnt diese positivistische, patriarchale und materialistische Ideologie ab. Um diese Gewalt der externen Regulierung zu brechen, muss die betreffende Gruppe natürlich aktiv werden, sich selbst organisieren und ihr eigenes Ökosystem gestalten, um die Konstrukte der Macht überflüssig zu machen.

Die wirtschaftliche Autonomie ist daher entscheidend für eine wesentliche Änderung des Status quo. Das moralisch-ethische Konzept der Solidarität muss entwickelt und verinnerlicht werden, bevor eine Gruppe von Menschen ihre materiellen Bedürfnisse auf eine wahrhaft egalitäre Art befriedigen kann.

Die Wirtschaft Rojavas seit 2012

Als ab dem 19. Juli 2012 die Regime-Kräfte Stadt um Stadt in Rojava verlassen hatten, wurden die staatlichen Unternehmen enteignet und die Räte übernahmen die Kontrolle über die landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die neue Verwaltung wurde um neu geschaffene Gemeinden herum aufgebaut, die meist aus einem Dorf und den umliegenden Weilern bestanden. Die Kommunen verteilten das Land je nach Bedarf und Fähigkeit zur Bewirtschaftung unter den dort ansässigen Familien. Einige Stücke Land verblieben als Basis für die ersten Kooperativen in den Händen der höheren Räte.

Der erste Winter der Revolution war sehr hart. Aufgrund fehlender Mühlen wurde das Brot so knapp, dass einige Bezirke Rojavas Hunger litten. Viele der verbliebenen Bäume mussten als Brennholz gefällt werden. Wegen des Unvermögens, viele der dringend benötigten Güter und Maschinen zu importieren, vollzog sich die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Ziel einer grundlegenden Selbstversorgung mit überraschender Geschwindigkeit. Dazu gehörten die Errichtung provisorischer Mühlen und Raffinerien, ein großer Boom bei Kleinbetrieben und -handel und ein allgemeiner Bauboom, was unter staatlicher Regulierung unmöglich gewesen war.

Da die Menschen das Land jetzt nach eigenem Belieben verwenden durften, begannen die Bauern Gemüse und Gewürze anzubauen, meist für den persönlichen Gebrauch. Aber vielerorts hatte sich unter der Baath-Herrschaft das Wissen über traditionelle Landwirtschaft verringert. Nahezu das ganze Land wurde weiterhin für den Weizenanbau genutzt, der sowohl in Rojava als auch in Syrien allgemein als Hauptnahrungsmittelquelle benötigt wurde. Infolgedessen blieb die Produktionsweise weiterhin industriell und folglich auch abhängig von importierten Pestiziden und Dünger. Weizensamen wurden weiterhin von einem staatlichen Unternehmen in Dêrik produziert.

Der Staat blieb weiterhin an der Ölindustrie beteiligt, die Räte hatten nicht die Mittel, um es selbst zu bewerkstelligen. Sie waren auf die Ingenieure der Regierung und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur der Industrie angewiesen. Die Einnahmen wurden zwischen der Regierung und der Xweserîya Demokratîk (kurz: Xweserî) hälftig geteilt. Darüber hinaus versorgte der Staat Rojava mit raffiniertem Diesel und Benzin.

Es muss daran erinnert werden, dass die staatlichen Institutionen nach der Revolution weiterhin in Rojava präsent geblieben sind – einige bis heute. Es war zum einen unmöglich, die Verwaltung in allen Bereichen des öffentlichen Interesses sofort zu übernehmen. Auch war es für die Xweserî unvermeidlich, dem Staat einige Zugeständnisse zu machen, um eine umfassende militärische Konfrontation zu vermeiden, da die syrisch-arabische Opposition damals nicht bereit war, die kurdische Autonomie anzuerkennen oder mit den Kräften, die diese repräsentierten, zusammenzuarbeiten. Letztlich war es aus Sicht der Revolution nicht vorteilhaft, alle staatlichen Institutionen hinauszuwerfen. Als Rıza Altun, hoher Diplomat der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans; kurdisch: Koma Civakên Kurdistan), in einem Interview mit Al-Monitor im Jahr 2016 über die Zusammenarbeit zwischen Rojava und dem syrischen Regime befragt wurde, antwortete er, dass ein unverzüglicher und kompletter Hinauswurf des Staates zwangsläufig zur Schaffung eines neuen Staates führen würde. Das Ziel der Revolution hingegen ist es, genau dies zu verhindern. Daher ist es notwendig, die Präsenz des Staates in einigen Bereichen zu tolerieren, bis ein demokratischer Weg gefunden wird, sie zu organisieren.

Der Staat blieb für einige Zeit für das Gesundheitswesen, Wasser und Elektrizität sowie das Bildungssystem verantwortlich und betreute darüber hinaus mehrere andere zivile Einrichtungen einschließlich der Kommunalverwaltungsbüros in manchen Städten, zeitweise parallel zu den Institutionen der Xweserî, was sie Stück für Stück überflüssig machte. Heute werden die Grundschulbildung und die lokale Gesundheitsversorgung völlig autonom organisiert, ebenso große Teile der Sekundär- und Universitätsbildung, der Wasser- und Elektrizitätsnetze und viele Krankenhäuser.

Die zentraleren Räte der Xweserî haben nie versucht, eine starke Autorität auf die wirtschaftliche Entwicklung auszuüben. Es hat nie eine Steuer auf Geschäft oder Handel gegeben, das Haupteinkommen der Xweserî aus ehemaligen Staatsbetrieben, die von den Räten übernommen wurden. Es hat nur sehr wenige Enteignungen gegeben, abgesehen von denen, die Staatseigentum betrafen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen waren Preisgrenzen für Grundgüter wie Mehl und Zucker, die Einrichtung von Sozialdiensten und die Proklamation des Rechts der Arbeiter, sich selbst zu organisieren, samt diverser Liberalisierung, was faktisch die Beseitigung der staatlichen Vorschriften bedeutete.

Die Revolutionäre Rojavas, die sogenannten Apocî [Anhänger der Ideen Abdullah Öcalans], haben nie ein Monopol auf soziale oder politische Macht in Rojava gehabt. Die Baath-Partei und die Demokratische Partei Kurdistans (PDK), verschiedene Stammes- und Religionsführer sowie einige islamistische Fraktionen hatten zu Beginn der Revolution nennenswerte Machtbasen in Rojava. Insbesondere die PDK, lange Zeit in Cizîrê stark vertreten, versuchte in der Xweserî Macht zu übernehmen und auf eine reaktionäre, nationalistische, ökonomisch neoliberale Politik zu drängen. Als sie mehr und mehr Einfluss an die Apocî verlor, suchte sie Zuflucht in einem immer totaleren und gemeinsam mit der Türkei gegen Rojava verhängten Embargo, startete darüber hinaus eine mediale Desinformationskampagne gegen die Apocî und manchmal terroristische Aktionen.

Das Stromnetz in Rojava war noch nie richtig entwickelt worden und der Staat war weder bereit noch in der Lage, mehr als einige ausgewählte Gemeinden ein paar Stunden täglich mit Strom zu versorgen. So begannen die Räte, mit Dieselgeneratoren Strom zu liefern. Nach der Enteignung der staatlichen Einrichtungen wurden diese Generatoren zunächst von Elektrizitätsbüros des kantonalen Wirtschaftsausschusses betrieben, später von den Kommunen und Stadtvierteln, wobei die Büros für einige der Generatoren an öffentlichen Orten wie Märkten verantwortlich blieben. Große Teile des Kantons Cizîrê werden von großen Generatoren in der Stadt Rimêlan mit Energie versorgt. Elektrische Energie bleibt ein Problem, da es sehr schwierig und teuer ist, Ersatzteile für die meist sehr alten Generatoren zu importieren, während der Verschleiß der Anlagen durch minderwertigen Diesel beschleunigt wird. Die Einnahme des Wasserkraftstaudamms in Tişrîn durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) reduzierte den Strommangel in Kobanê und West-Cizîrê, aber da der Euphrat sehr wenig Wasser führt, größtenteils aufgrund der Beeinträchtigung des Wasserflusses durch den türkischen Staat, wird die Leistungsfähigkeit des Kraftwerks erheblich eingeschränkt. Auch führte Sabotage von Daesch (Islamischer Staat, IS) und möglicherweise anderen zur Verzögerung beim Bau von Stromnetzen, die größere Teile Rojavas mit Energie aus Tişrîn versorgen könnten, was eine kontinuierliche Abhängigkeit von Dieselgeneratoren unvermeidlich macht.

Die Wasserversorgung hat sich in den letzten Jahren etwas verbessert, doch führt die Unterbrechung des Wasserzuflusses nach Rojava durch die Türkei zu einem ernsthaften Wassermangel. Darüber hinaus sind im Laufe der letzten Jahrzehnte in der ganzen Region unverhältnismäßig viele Brunnen gegraben worden, was die Grundwasserreserven stark erschöpft hat. In einigen landwirtschaftlich genutzten Gebieten sind die Brunnen inzwischen mehr als 200 Meter tief. In anderen ist das Wasser wegen der Verunreinigung durch den industriellen Dünger bereits zu sauer für den Gebrauch.

Kommunalismus, Ökologie, Frauenbefreiung

Das Embargo gegen Rojava war eine Art von außen erzwungener Protektionismus, der Teilen der lokalen Wirtschaft die Entwicklung ermöglichte. Dennoch sind die negativen Auswirkungen des Krieges um einiges größer: Über drei Viertel der Gesamteinnahmen gehen noch in die Kriegsanstrengungen. Nichtsdestotrotz haben die Revolutionäre Rojavas die Etablierung alternativer wirtschaftlicher Institutionen als unentbehrlich betrachtet und von Anbeginn der Revolution auf die Schaffung von Kooperativen und anderen Modellen kommunaler Wirtschaft gedrängt. Die Kantone vergaben Mittel zur Finanzierung neuer Kooperativen. Sobald diese funktionsfähig waren, zahlten sie dreißig Prozent ihrer Einnahmen an die Fonds zurück. Die meisten Kooperativen sind Bauerngenossenschaften, einige wenige besitzen Kühe und Schafe und produzieren Milchprodukte. In geringerem Maße gibt es Kooperativen, die Bekleidung herstellen, gastronomische oder andere Geschäfte im Dienstleistungssektor betreiben und Waren handeln.

Das derzeitige Genossenschaftsmodell ist bisher etwas gemischt aufgenommen worden, weniger als 100.000 der geschätzten 4,5 Millionen Einwohner der Föderation sind aktive Mitglieder einer Kooperative. Die erfolgreichste wirtschaftliche Kooperative befindet sich in Afrîn. Das ökonomische Genossenschaftsmodell ist in Afrîn bei Weitem am erfolgreichsten, wo die Wirtschaftsstruktur die diversifizierteste ist, das Embargo aber auch das härteste.

Frauenkooperativen nehmen an Größe und Zahl zu, denn sie sind ein wichtiger Weg für Frauen, um die Abhängigkeit von ihren Vätern und Ehemännern nach und nach zu verringern. Allgemein hat der fortwährende Befreiungskampf der Frauen auch die Wirtschaft beeinflusst, indem Frauen erstmals in der Neuzeit umfangreich und selbstständig an der Wirtschaft partizipieren und von ihren Familien wirtschaftlich unabhängig sein können. Insgesamt sind die vorherrschenden Frauenrollen noch immer traditionelle, die sich um Hausarbeit und Mutterschaft drehen. Der Prozentsatz an Frauen, die sich für andere Laufbahnen entscheiden, wächst jedoch rasant.

Die erfolgreichsten Dörfer sind diejenigen, die Wirtschaftsgemeinden gebildet haben. Wirtschaftsgemeinden bilden die Synthese des Kooperativen- und des Kommune-Modells. Der Begriff bezieht sich auf eine Gemeinschaft, die nicht nur bei einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit wie eine Genossenschaft zusammenarbeitet, sondern ihren ganzen Besitz in Gemeineigentum überführt und sich kollektiv organisiert, um die Bedürfnisse und Forderungen der Gemeinschaft zu befriedigen. Im Augenblick gibt es nur einige wenige solcher Kommunen, aber die obersten Räte der Xweserî haben sich im Frühjahr 2016 das Ziel gesetzt, dass innerhalb der nächsten zwei Jahre fünfzig Prozent der Dörfer in Rojava zu Wirtschaftsgemeinden werden sollen. Dies wird durch Anreize wie Subventionen aus zentralen Fonds und durch starke Unterstützung aller Arten verschiedener revolutionärer Institutionen erreicht werden – Gemeinden, die Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung stellen, Handels- und Produktionsgenossenschaften, die ermäßigte Preise anbieten, Gewerkschaften, die mit Ingenieuren und Fachkräften aushelfen, etc. Dörfern, die es vorziehen, an einer kapitalistischen Ökonomie festzuhalten, steht es frei dies zu tun, allerdings werden sie aus dem kommunalen Wirtschaftsnetzwerk ausgeschlossen.

Eine am häufigsten in den Räten der Xweserî und jetzt der Föderation geäußerte Kritik betrifft den Mangel an ökologischer Entwicklung. Die Wirtschaft hat kaum Fortschritte dabei gemacht, ökologischer und nachhaltiger zu werden, trotzdem es sich dabei um eines der Grundprinzipien der Revolution handelt, trotz Erfolgen bei der ökologischen Bildung und der Einrichtung einiger geschützter Naturparks. Der Hauptgrund dafür liegt in dem Unvermögen, sich unter den gegenwärtigen Kriegs- und Embargobedingungen von der industriellen Landwirtschaft zu lösen. Nach einer schweren Knappheit dringend benötigten Düngers machte der Wirtschaftsausschuss des Kantons Cizîrê einen ersten Schritt und begann, Kompostierungsanlagen in den Städten Til Temir und Tirbespiyê (al-Qahtaniya) zu errichten. Geplant sind weitere solche Anlagen in ganz Rojava, falls sich die ersten bei der Herstellung ökologischen Düngers als effektiv erweisen. Der Erfolg dieses Modells würde nicht nur die Föderation weitgehend unabhängig von Düngerimport machen, sondern auch das nach Jahrzehnten der Monokultur und des chemischen Düngers viel unfruchtbarer gewordene Erdreich wieder auffrischen.

Industrie

In den ersten Jahren gab es in Rojava nur wenig Industrie: vor allem einige Bekleidungswerkstätten in Afrîn sowie einige kleine – Imbisswaren, Seife, Plastikflaschen und andere Plastikartikel produzierende – Fabriken in Amûdê, Qamişlo und Dêrik. Darüber hinaus gab es viele kleinere Werkstätten für Fahrzeugreparatur und -wartung und einige wenige größere, die Agrarmaschinen und Ersatzteile für diverse Arten von Maschinen herstellten. Einige Mechaniker und Ingenieure aus diesen Werkstätten haben sich als außerordentlich geschickt und erfinderisch herausgestellt, da ihnen der Bau der Panzer, gepanzerten Fahrzeuge und Waffen, einschließlich Granatwerfer und Kanonen, zuzuschreiben ist, für die Rojava und die Volksverteidigungseinheiten (YPG) international bekannt wurden.

Durch die großen Erfolge der YPG und QSD in den letzten Jahren sind mehr Industriestädte wie Hesekê und Minbic (Manbidsch) zum Teil der Föderation geworden. Viele der dortigen Fabriken sind von Daesch beim Rückzug zerstört worden, andere geplündert, wieder andere können nicht betrieben werden, weil die Ingenieure, die sich mit den Anlagen auskennen, alle fortgegangen sind oder weil Material verarbeitet wird, das es in der Föderation nicht gibt und nicht importiert werden kann. Die Wirtschaftsausschüsse arbeiten hart daran, die wichtigsten Fabriken wieder zum Laufen zu bringen, indem die nötigen Ersatzteile, Arbeiter und Ingenieure aufgetrieben werden. Infolgedessen haben einige Textil- und Seilfabriken den Betrieb wieder aufgenommen.

Handel

Durch das immer strengere Embargo wurde der Import verschiedener erforderlicher Güter von Großhändlern in Südkurdistan abhängig. Die PDK erlaubte lediglich mit ihr verbündeten Händlern, nach Rojava zu exportieren – Händlern, die horrende Preise verlangten. Diese verkauften ihre Waren an Händler in Rojava, die sie an die Märkte weiterverkauften, was zu gewaltigen Gewinnspannen führte, da diese Händler ein Monopol auf den Import hatten. Um diesem Trend entgegenzuwirken, bildeten die Wirtschaftsausschüsse die Kooperatîfa Hevgirtin – die Solidaritätskooperative – mit Vertretungen in allen größeren Städten und Orten. Diese Niederlassungen werden von einer breiten Basis von Bürgern finanziert, die Genossenschaftsmitglieder sind. Die Hevgirtin fungiert dann selbst als Großhändler, kauft die Waren direkt von den südkurdischen Händlern und verkauft sie in bestimmten Geschäften, die es in allen Städten mit Niederlassungen von Hevgirtin gibt und von diesen geführt werden. Genossenschaftsmitglieder können Waren zu ihrem exakten Einkaufspreis kaufen, während jeder andere etwas mehr bezahlt. Dieses Modell funktionierte ganz gut, bis die PDK ihren Händlern den Verkauf an Hevgirtin verbot. Dadurch war diese gezwungen, von Zwischenhändlern zu kaufen, was in manchen Fällen die Hevgirtin-Preise für bestimmte Waren über den regulären Marktpreis steigen ließ. Hevgirtin ist immer noch in Betrieb, ihre Geschäfte öffnen sechs Tage die Woche und bieten viele Produkte zu erschwinglichen Preisen an – meist innerhalb der Föderation produzierte Waren.

Trotz Embargo importiert die Föderation weiterhin verschiedene Konsumgüter aus Südkurdistan und exportiert lebende Schafe. Aus Aleppo, das trotz Krieg weiterhin Syriens Wirtschaftszentrum geblieben ist, werden Baumaterial und verschiedene industrielle und maschinelle Waren wie Kraftstofffilter, Maschinenteile, Werkzeuge und Motoröl importiert sowie eine Vielzahl anderer Gegenstände. Aus Damaskus importiert die Föderation u. a. Medikamente und elektronische Produkte per Flugzeug, aus Idlib, Latakia, Raqqa, Dair az-Zaur und anderen Teilen Syriens Gemüse, andere Lebensmittel und Baumaterial. Die Föderation selbst exportiert in andere Gebiete Syriens Weizen, Erdöl und -gas sowie einige andere landwirtschaftliche Erzeugnisse. An dieser Stelle ist anzumerken, dass alle verschiedenen Fraktionen des syrischen Bürgerkrieges untereinander irgendwie Geschäfte betreiben, allerdings sind sie nicht erpicht darauf, diese Tatsache publik zu machen.

Der Irak ist das einzige nahe gelegene Land, das Interesse daran hat, Handel mit der Föderation zu treiben. Die Entwicklung des Krieges in und um Mûsil (Mossul) ist in der Hinsicht von großer Bedeutung, als es – übernähme die irakische Zentralregierung die Kontrolle über den Grenzübergang zwischen Şengal (Sindschar) und Hol – eine direkte Handelsroute zum Irak gäbe und viel vom Druck des Embargos genommen werden könnte.

Schlussfolgerung

Der Rat des Demokratischen Syrien (kurdisch: Meclîsa Sûriya Demokratîk; kurz: MSD) unterbreitete Anfang 2016 einen umfassenden Vorschlag zur Lösung der syrischen Krise. Er skizzierte die Wiederherstellung Syriens in Form einer Konföderation verschiedener autonomer Regionen unter einer gemeinsamen Verfassung und diplomatischen Vertretung. Neben der Bildung einer kurdisch-arabischen Föderation im Norden werden eine sunnitisch-arabische Föderation in Ost- und Zentralsyrien, eine alawitische Föderation im Westen und eine autonome Drusen-Region im Süden vorgeschlagen. Alle ethnischen, religiösen und gesellschaftlichen Gruppen würden das Recht haben, ihre eigenen Angelegenheiten innerhalb der verfassungsmäßig festgehaltenen Grundprinzipien selbstständig zu organisieren und zu verwalten. Der Vorschlag beinhaltete einen Rahmen für eine gerechte Verteilung der Ressourcen zwischen den Regionen, sodass keine Region etwas importieren müsste, solange es in einer der anderen Regionen verfügbar wäre.

Der Vorschlag des MSD bleibt bis heute der einzige wirkliche Plan, um aus Blutvergießen und Elend herauszukommen. Alle Teilnehmer der vergeblichen Friedenskonferenzen konnten sich auf nichts einigen außer darauf, dass »die territoriale Integrität Syriens« bewahrt werden solle, und legten nichts vor als die Forderung, dass ihre Kandidaten an die Spitze des Staates zu stellen seien – der lange vor 2011 versagt hatte.

Die wirtschaftlichen Probleme der Föderation können nur gelöst werden, wenn der Krieg in Syrien zu einem Ende kommt. Große Bewässerungskanäle müssen von Tigris und Euphrat her gegraben werden, um den Wassermangel zu lindern, einen Grüngürtel im Süden gegen die Wüstenbildung anzulegen und eine ökologische Agrarrevolution zu ermöglichen. Um die Energiekrise zu lösen, müssen die Experimente mit Solarenergie, Biogas und anderen erneuerbaren Energien in die Praxis umgesetzt werden. Diese und viele weitere notwendige Schritte erfordern offene Handelswege und Bedingungen, unter denen die totale Zerstörung durch Bombardement und Invasion weniger wahrscheinlich erscheint.

Die Apocîs stellen die einzige große Einheitskraft dar, die den Versprechen der syrischen Revolution treu geblieben sind. Die arabischen Revolutionäre sind größtenteils von den durch die Türkei unterstützten salafistischen Gruppen zerstört oder marginalisiert worden. Aber die Autonomie und der relative Frieden der Föderation dürften gefährdet sein. Ihr widerwilliger US-amerikanischer Verbündeter scheint entschlossen, den syrischen Schauplatz zu verlassen und den Weg für eine Invasion der Türkei freizumachen. Gleichzeitig hat der Iran seinen Einfluss auf das Militär des Baath-Staates genutzt, um durch Attacken in Qamişlo und Hesekê mehrfach einen Krieg mit der Föderation zu provozieren. Viele Wochen lang waren die von den YPG gehaltenen Stadtviertel in Aleppo von den staatlichen Kräften völlig umzingelt, ein Ultimatum zum Verlassen der Stadt lief am 31. Dezember 2016 aus. Die andauernden Verhandlungen zwischen der Türkei, dem Iran, Russland und dem Baath-Staat sind wahrlich eine äußerst unheilvolle Entwicklung.

Der Traum der Aufstände im Mittleren Osten, der syrischen Revolution, wird ein Ende finden, wenn das Volk von Syrien nicht die Sache der Demokratischen Autonomie und konföderalen Revolution aufgreift. Die Föderation muss gleichzeitig ihre Wertvorstellungen, Ideen und Hoffnungen der breiten Öffentlichkeit im Mittleren Osten bekannt machen, indem sie ihre Ausstrahlung erheblich verbessert. Dafür braucht es ehrlichere und kritischere Medien.

Die Revolutionäre des Mittleren Ostens – genau wie die Revolutionäre überall – können nur vereint erfolgreich sein. Das Fenster der Gelegenheit schließt sich schnell.