Presseerklärung von Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM), 21.01.2013
Nach dem Mord an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris am 9. Januar hat der stellvertretende Vorsitzende der türkischen Regierungspartei AKP Mehmet Ali Sahin gestern erklärt, in den kommenden Tagen könne es zu ähnlichen Vorfällen auch in Deutschland kommen. Als Föderation kurdischer Vereine in Deutschland, in der sich viele kurdische ExilpolitikerInnen engagieren, müssen wir diese Äußerung als offene Drohung betrachten.
Bereits unmittelbar nach den Morden in Paris hatten türkische Regierungspolitiker die Behauptung lanciert, es handele sich dabei um eine interne Abrechnung. In den folgenden Tagen war es zu Angriffen auf verschiedene kurdische Einrichtungen in Europa gekommen.
So wurde im belgischen Gent ein kurdischer Kulturverein angezündet und in Wien die Scheiben des Informationszentrums Kurdistan eingeschlagen. Weitere Anschläge gab es auf kurdische Vereine in Avignon und Mulhouse. Bereits 2012 hatte die belgische Polizei kurdische Exilpolitiker davon informiert, dass Attentatspläne auf sie vereitelt worden seien.
Als Formel für die Lösung der kurdischen Frage findet die sogenannte “Integrative Strategie” innerhalb der AKP-Regierung Erwähnung. Was konkret damit gemeint ist, bleibt jedoch offen. Die aktuellen Ereignisse lassen hinter dieser Strategie leider nur Massaker und Angriffe vermuten.
Am 2. Januar 2013 legte Besir Atalay, ebenfalls stellvertretender AKP-Vorsitzender, die neue Strategie des türkischen Staates wie folgt offen:
“Während wir einerseits diese Arbeit [gemeint die Gespräche mit Öcalan] fortführen, versuchen wir andererseits die Moral und Motivation unserer Sicherheitskräfte, die sich im Kampf mit den Terroristen befinden, aufrecht zu halten.” Warum müssen während einer Phase des Dialogs und sogenannten Friedensgespräche Moral und Motivation der türkischen Sicherheitskräfte aufrecht erhalten werden?
Weiterhin äußerte Atalay: “Wir verfolgen eine doppelte Strategie, in die wir alle Instrumente integrieren wollen. Ziel dieser Instrumente ist dafür zu sorgen, dass sie [gemeint ist die PKK] die Waffen niederlegen. Die Gespräche auf Imrali sind ein Teil dieser Strategie. Auf der anderen Seite führen wir unsere Arbeit national wie international weiter fort. Wir stehen in Kontakt zu Nordirak und auch unsere Arbeit mit den USA und Europa dauert an. Das ist der internationale Fuß unserer Strategie.”
Demzufolge sind die Äußerungen von Mehmet Ali Sahin bewusst gewählt und als ein Teil dieser Strategie zu bewerten. Demnach sollen nun auch KurdInnen in Europa zum Angriffsziel erklärt werden. Anscheinend wird von der Türkei bestrebt, den in Kurdistan geführten Krieg nach Europa auszulagern. Der Verweis von Mehmet Ali Sahin auf Deutschland gilt es folglich so zu interpretieren, dass sich auch in Deutschland lebende Kurdinnen und Kurden potentielle Anschlagsziele sind und dementsprechende Vorbereitungen getroffen werden. Anders lässt sich die Erklärung von Sahin nicht interpretieren.
Die Äußerungen des türkischen Regierungspolitikers Mehmet Ali Sahin sind als offene Drohung gegen kurdische ExilpolitikerInnen zu verstehen und somit eine verdeckte Drohung an Deutschland. Die türkische Regierung setzt in der kurdischen Frage weiter auf Gewalt und will die Bundesregierung zu weitergehender Repression und Kriminalisierung gegen die kurdische Bewegung nötigen.
Die kurdische Bevölkerung lässt sich hingegen von den Angriffen des türkischen Staates nicht einschüchtern. Das zeigen die eindrucksvollen Demonstrationen von Millionen Menschen weltweit gegen die Ermordung der kurdischen Frauen in Paris. Die jüngsten Äußerungen von Mehmet Ali Sahin im Zusammenhang mit der Tatsache, dass auch zwölf Tage nach den Morden in Paris keine konkreten Erkenntnisse vorliegen und die Ermittlungen der französischen Behörden sich überwiegend auf kurdische Kreise zu konzentrieren scheinen, bieten jedoch Anlass zu höchster Besorgnis.
Wir rufen die Bundesregierung dazu auf, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Hintergründe der Äußerung von Mehmet Ali Sahin aufzuklären. Die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden rufen wir zu erhöhter Aufmerksamkeit auf.