20 Jahre PKK-Verbot – und dann?

pkk verbotDemonstrationsverbote, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Verhaftungen, § 129 …
Wolfgang Struwe, Kurdistan Report*

Fast 20 Jahre sind vergangen, seit der damalige Innenminister der Bundesrepublik Deutschland im November 1993 das Betätigungsverbot gegen die kurdische Freiheitsbewegung, kurz PKK-Verbot, ausgesprochen hatte. Was sollte damit bezweckt werden, welche Ziele, wie reagierte die Bevölkerung auf diesen weiteren undemokratischen Schritt der Bundesregierung gegen das Recht auf Organisations- und Meinungsfreiheit? Konnte eine Isolierung der Bevölkerung von der Bewegung durchgesetzt werden? Wurde dies durch eine weitere Beschneidung demokratischer Grundrechte erreicht? Oder ist die kurdische Freiheitsbewegung vielleicht am Ende, nach den Schlägen, die sie nicht nur in Nord-, West-, Ost- und Südkurdistan, sondern auch in Europa einstecken musste, stärker geworden?

Am Anfang erst einmal: Die Repression und eine bis dahin nicht dagewesene Entsolidarisierungskampagne gegen die kurdische Freiheitsbewegung haben nicht erst mit dem Verbot 1993 begonnen, sondern bereits Mitte der 1980er Jahre, als die PKK nicht nur in der Türkei an Boden gewann, sondern sich die Kurdinnen und Kurden auch in den europäischen Ländern organisierten und zumeist Kulturvereine in den Städten aufbauten.

Die Chronologie in der Broschüre „Zehn Jahre PKK-Verbot“  beginnt bereits mit dem August 1986 und der Verhaftung eines kurdischen Aktivisten in Hamburg wegen eines angeblich versuchten Anschlags auf das türkische Generalkonsulat und es geht Jahr für Jahr weiter, 1987 mit Ermittlungsverfahren nach § 129a, 1988 mit Haftbefehlen gegen zahlreiche vermeintliche PKK-Mitglieder, 1989 mit dem Beginn des bislang größten Prozesses wegen Terrorismusvorwürfen gegen PKKlerInnen in Düsseldorf … 2013 der §129b-Prozess gegen Metin A. vor dem OLG Stuttgart.

Dazu Hausdurchsuchungen, Vereinsschließungen, Anquatschversuche von Verfassungsschutz und Geheimdiensten besonders bei kurdischen Jugendlichen, Prozesse wegen § 20 (Verstoß gegen das Vereinsgesetz), Angriffe der Polizei auf Demonstrationen wegen Parolenrufens oder Fahnen, die auf einer Verbotsliste stehen, Diffamierungen und immer weitere Einschüchterungsversuche … die Liste ließe sich immer weiter fortsetzen. Und als Begleitmusik dazu auch die Gleichschaltung der Medien, was die Berichterstattung über KurdInnen und den Krieg, der gegen sie geführt wird, angeht: Kurde = PKK = Terror, um die örtliche Bevölkerung gegen sie aufzustacheln, damit fortschrittliche demokratische Gruppierungen sich nicht mit dem Kampf um Freiheit solidarisieren.

Kurdinnen und Kurden, die vor dem Krieg aus der Türkei, dem Irak, Iran oder Syrien geflohen sind, die dem Terror des NATO-Krieges der verbrannten Erde, der Dorfzerstörung entkommen sind oder nach der Folter in den Gefängnissen meinten, in ein für sie sicheres Land gekommen zu sein, waren auch hier wieder mit Repression, Hausdurchsuchungen, Festnahmen etc. konfrontiert. Bei vielen passte das nicht in das Bild, das ihnen von diesem Land vermittelt worden war – demokratisch, fortschrittlich, auf die Einhaltung der Menschenrechte bedacht …

Die Menschen, denen die Lebensgrundlage im eigenen Land genommen worden war und die wegen des Krieges zur Flucht gezwungen in der BRD ankamen, blieben hier natürlich nicht passiv oder sprachlos. Es gab Proteste, viele Aktivitäten wegen der Waffenlieferungen der deutschen Regierung an die Türkei (neben den laufenden Waffengeschäften darf nicht vergessen werden, dass die Bundesrepublik Deutschland einen großen Teil des Kriegsgeräts der Nationalen Volksarmee der zerschlagenen DDR an die Türkei verschenkt hatte), und es gab natürlich auch Proteste gegen die unsachliche und manipulative Berichterstattung der Medien über die Lage in Kurdistan und der Kurdinnen und Kurden hier. Die traditionell gut verankerte Waffenbrüderschaft zwischen den Regierungen wurde aufgedeckt und ein wichtiger Punkt, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist der, dass sich die KurdInnen in einem Zentrum des Kapitals zu einer politischen Kraft entwickelten. Trotz Repression und großer Entfernung zum Land konnte die Verbundenheit mit der Freiheitsbewegung nicht geschwächt werden, im Gegenteil. Die kurdische Identität entwickelte sich auch hier und mit ihr das politische Bewusstsein sowie das Selbstvertrauen.

Warum das Verbot 1993? 1993 rief die PKK ihren ersten Waffenstillstand aus. Der am 15. August 1984 begonnene bewaffnete Kampf sollte beendet werden; schon damals setzte die kurdische Freiheitsbewegung alles daran, auf einem politischen, diplomatischen Weg eine Lösung der kurdischen Frage zu erreichen. Denn eines war deutlich geworden: Weder die türkische Armee noch die PKK würde einen militärischen Sieg erringen können. Ziel war, dass sich die Konfliktparteien an einen Tisch setzen, um die kriegerische Auseinandersetzung beenden zu können.

Doch es kam anders, der Krieg eskalierte, weitere Dörfer wurden zerstört, die Morde an Oppositionellen durch sogenannte unbekannte Täter oder das Verschwindenlassen dieser AktivistInnen nahmen deutlich zu. Und mit dieser Eskalation des schmutzigen Krieges wuchs ebenso der Protest zumeist der kurdischen Bevölkerung hier an, im Mai 93 fand z. B. die erste Großdemonstration mit 100 000 Menschen in der damaligen Hauptstadt Bonn statt, die Menschen waren auf den Beinen, um ihren Teil zur Beendigung des schmutzigen Krieges beizutragen. Es gab Gespräche mit politischen Institutionen, mit PolitikerInnen, mit anderen fortschrittlichen Organisationen wurden Initiativen entwickelt. Delegationsreisen nach Kurdistan wurden organisiert, um vor Ort die Beteiligung z. B. von Kriegsgerät aus deutscher Produktion zu belegen. Ziel war: Die Politik der BRD sollte sich von ihrer bisherigen Haltung verabschieden und Position beziehen gegen die Kriegspolitik der türkischen Regierung.

Dann kam das Verbot und alles veränderte sich. Von einem Tag auf den anderen war alles verboten. Wie in Kurdistan, wie in der Türkei. Kulturhäuser wurden geschlossen, Bücher und Zeitschriften, im eigenen Verlag erschienen, beschlagnahmt, der Verlag geschlossen, die kurdische Nachrichtenagentur, die erst kurz zuvor eröffnet worden war, geschlossen, das Kurdistan-Komitee in Köln, in dem die Außenarbeit geleitet wurde, alles dicht. Demonstrationen, Kundgebungen wurden verboten, Menschen, die sich trotz Verbot auf den Weg machten, festgenommen, verprügelt, mit Ausweisung zurück in die Folterstaaten bedroht … So sollte die Stimme der KurdInnen zum Schweigen gebracht, die Menschen untereinander isoliert, verunsichert werden.

Das Ziel der damaligen Regierung in der Türkei war die Auslöschung der PKK und die Zerschlagung der legalen Organisationen. Und hier? Das Ziel war dasselbe, der Weg dorthin „gemäßigter“.

Das eine war der Schlag gegen kurdische Institutionen und Vereine, das andere der Schlag gegen den Menschen, den Einzelnen. Wie kann mensch dazu gebracht werden, sich von der Organisation, von der Organisierung zu trennen, wie kann er dazu gebracht werden, gegen sie zu arbeiten?

Ein wichtiger Aspekt ist die Isolierung des Individuums, die Zerschlagung der Gemeinschaft, das Nehmen von öffentlichen Räumen. Welche Aufgabe hatten in der Zeit z. B. die Vereine? Dort kamen die Menschen zusammen, denn dort gab es Informationen über das, was in Kurdistan passierte. Es gab kein Internet, keine E-Mails, kein Roj TV. Vereine waren der Ort, wo der Informationsaustausch lief, Diskussionen geführt werden konnten, es waren soziale Räume, für Kultur und Politik, ein Platz, wo sehr wohl die Situation in der Heimat diskutiert werden konnte, aber auch Hilfestellung für das „neue“ Leben hier gegeben wurde, wo Kontakte entstanden, gemeinsam gelacht und auch getrauert werden konnte. Solche Räume sollten mit dem PKK-Verbot zerstört und die Menschen in die „eigenen vier Wände“ verfrachtet werden. Menschen, isoliert in ihrem engen Raum, ihrer eigenen Wohnung lassen sich leicht einschüchtern, durch „Besuche“ der Polizei, des Verfassungsschutzes etc. Durch Erpressung, bei weiterer politischer Betätigung mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung. Beispiele ließen sich weitere finden.

Doch was ist wirklich erreicht worden? Hat die Freiheitsbewegung an Stärke verloren, konnte die Bewegung empfindlich geschwächt werden?

Trotz der genannten Repression, den Versuchen, die kurdischen Strukturen, die Medien, die sozialen Räume zu zerschlagen und die Menschen von der Bewegung zu trennen, hat auch nach 20 Jahren PKK-Verbot diese Politik der Bundesregierung keinen anhaltenden Erfolg gezeigt. Auch wenn sich vielleicht einige aufgrund dieser alltäglichen Bedrohung in ihr Privatleben zurückgezogen haben, konnten die Bewegung und die kurdische Identität nicht zerstört werden.

Im Gegenteil, die kurdische Bewegung gilt als gutes Beispiel, wie trotz stärkstem Sturm von allen Seiten ein Weg erfolgreich gegangen werden kann, wenn auch nicht ohne Verluste und große Schmerzen. An dieser Stelle soll auch aller gedacht werden, die beim Kampf gegen das PKK-Verbot ihr Leben gegeben haben. Einer von ihnen, an den ich besonders erinnern möchte ist Halim Dener, ein junger Mensch, der, nachdem das Dorf, in dem er aufwuchs, durch das türkische Militär zerstört und geräumt worden war, hier nach ereignisreicher Flucht ankam und kurze Zeit später in Hannover beim Kleben eines Plakates gegen das PKK-Verbot von einem SEKler hinterrücks erschossen wurde.

Der lange Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung konnte sich in seiner 30-jährigen Geschichte von einer kleinen studentischen Gruppe, die inspiriert von den Kämpfen der weltweit sich entwickelnden nationalen Befreiungsbewegungen in der Mitte des letzten Jahrhunderts, hin zu einer gesellschaftlichen Kraft entfalten. Sie konnte eine Kraft aufbauen, die nicht nur ihr Überleben sicherte. Auch 20 Jahre PKK-Verbot in der BRD sowie der gesamte Krieg der NATO konnten nicht verhindern, dass die kurdische Freiheitsbewegung eine gesellschaftliche Lebensperspektive entwickelte, die sich täglich weiter in der Praxis umsetzt. Die Menschen hatten sich schon 1993 entschieden – DER KURDISCHE FREIHEITSKAMPF LÄSS SICH NICHT VERBIETEN – stand schon damals auf vielen Transparenten und AUCH NICHT AUFHALTEN, sage ich heute.

* anlässlich der aktuellen Debatte über die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbot in der BRD wird der Artikel aus dem Kurdistan Report September/Oktober, Nr.169 veröffentlicht.

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