Gegen den Krieg in Afrin

Rede auf dem zentralen Newrozfest am vergangenen Samstag in Hannover vom Mainzer Arzt Gerhard Trabert, 19.03.2018

Der Nationalismus erstarkt überall in der Welt, besonders auch in Europa. Viele Denken das allein die Zugehörigkeit zu einem Staat Sicherheit und Identität schaffen würde. Dies ist ein einfacher aber falscher Irrglaube. Das was uns Europäer, was uns auf dieser Erde verbinden sollte ist Humanität und Menschlichkeit. Und genau dies ist grenzüberschreitend bzw. macht an keiner stattlichen Grenze halt.

Aufgrund unseres humanen Wertverständnisses aber auch aufgrund der Kolonialzeit, ein Dokument verbrecherischen Agierens, sowie der beiden Weltkriege hat Europa, hat speziell gerade Deutschland eine ganz besondere Verantwortung für all die Menschen die sich derzeit auf der Flucht befinden, oder in Kriegsregionen leben müssen. Nationalismus ist nicht der Weg! Europa muss weltoffen, für jeden zugänglich sein, ohne die eigenen Werte, beruhend auf den Menschenrechten, zu vernachlässigen. Und Europa, die Weltgemeinschaft, Deutschland muss sich klar gegen Krieg positionieren. Der Angriffskrieg Erdogans, der türkischen Armee ist ein Kriegsverbrechen. Er ist völkerrechtswidrig und muss auch so benannt werden.

Ich habe geflüchtete Menschen, Menschen in Kriegsregionen in der ganzen Welt als Arzt immer wieder behandelt.

Ich bin Menschen auf ihrer Flucht in der ganzen Welt immer wieder begegnet. Im Mittelmeer vor der libyschen Küste, in Indomeni und auf Lesbos in Griechenland, im Libanon, In Angola und Liberia, im Irak, in der Türkei und auch in Nordsyrien, in der Rojava-Region.

Ich habe das Leid dieser Menschen in den Krisenregionen miterlebt. Ihre Angst, ihren Schmerz, ihre Hoffnungslosigkeit, ihren Tod. Lassen wir die internationale Duldung des türkischen Angriffs auf eine friedliche Region in Nordsyrien, auf den Kanton Afrin nicht zu. Erdogan ist mittlerweile zu einem Diktatur und Rassisten mutiert. Und die Welt schweigt dazu. Warum? Eine Politik die Gewalt gegen in Not sich befindende Menschen akzeptiert, ist ein Skandal.  Diese Politik begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Rojava-Region in Nordsyrien ist ein Ort des Widerstandes gegen den sogenannten islamischen Staat. Es wurde gelitten und gestorben für den Kampf gegen Terrorismus und unvorstellbares barbarisches gewalttätiges Verhalten. Seit der Befreiung der einzelnen Regionen vom IS wurde eine basisdemokratische Selbstverwaltung gesellschaftlich eingeführt und implementiert. Ich konnte mich mehrmals von diesem verinnerlichten authentisch gelebten respektvollen und emanzipatorischen Umgang zwischen den Geschlechtern, unterschiedlichen Kulturen, Religionen und verschiedenen Ethnien vor Ort überzeugen. In Nordsyrien ist die Infrastruktur einer funktionierenden Gesundheitsversorgung der Zivilbevölkerung nicht mehr vorhanden. Im Kampf gegen den IS wurden fast sämtliche Krankenhäuser in dieser Region, z. B. in Raqqa, Tabka und Manbidsch verwüstet. Die Innenausstattung vom IS zerstört, in Brand gesetzt und teilweise auch gestohlen. Das internationale Embargo dieser Kriegsregion gegenüber verhindert Hilfslieferungen dringend benötigter Medikamente, chirurgischem und diagnostischem Equipment, Verbandsmaterial und vieles mehr.

Nach Schätzung verschiedener unabhängiger Hilfsorganisationen, sind seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien ca. 200.000 – 300.000 Zivilisten, aufgrund fehlender therapeutischer Möglichkeiten, insbesondere aufgrund fehlender Medikamente, verstorben. Dieser stille Tod der Menschen in Syrien steht immer noch kaum im Fokus des öffentlichen Bewusstseins. Der Angriff der türkischen Armee am 20. Januar diesen Jahres in der Afrin-Region ist ein völkerrechtswidriger Akt. Millionen von Menschen werden kriminalisiert und als Terroristen diffamiert. Dieser Akt der Erdogan-Administration ist ein Kriegsverbrechen. Es wird gezielt die Infrastruktur, die Wasser- und Stromversorgung zerstört. Über 400 Zivilisten, besonders Kinder und ältere Menschen sind bisher gestorben. Aber auch Türkische Bürger, u.a. zahlreiche Ärzte die sich gegen den Krieg ausgesprochen haben, wurden in der Türkei inhaftiert. Der Krieg kehrt in diese befriedete Region zurück. Die Menschen die dort leben benötigen unsere Hilfe und Solidarität.

Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die Erdogan-Administration für dieses Kriegsverbrechen anzuklagen, Waffenexporte in die Türkei sofort einzustellen, und die Rückkehr zur Demokratie unter Wahrung der Menschenrechte einzufordern. Die Invasion der türkischen Armee muss sofort gestoppt werden. Das Töten von Zivilisten muss aufhören.

Stéphan Hessel, ehemaliges Résistance – Mitglied, der das Konzentrationslager Buchenwald der Nazis überlebte, und Mitverfasser  der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen war, hat im Jahre 2010 eine bemerkenswerte Streitschrift verfasst, mit dem Titel: „Empört Euch!“. In dieser Streitschrift, kritisiert Hessel die europäische Politik. Dies tut er, indem er die gezielte Unterdrückung, den Verlust an Menschenrechten beanstandet und die Macht des Finanzkapitalismus anprangert. Er schließt mit den Worten: „Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.“

Leisten wir alle der Ignoranz von Kriegen, den Kriegsverbrechen, der Fremdenfeindlichkeit, dem Rassismus und dem Nationalismus gegenüber  Widerstand.  Machen wir uns gemeinsam stark für die praktische Umsetzung der Menschenrechte. Leisten wir einer Verharmlosung der Aussagen, Inhalte und Meinungen der türkischen Invasion in Afrin gegenüber Widerstand. Eine Politik, die Waffengeschäfte durchführt und fördert, die Menschen in lebensgefährliche Krisenregionen abschiebt, die Tausende von Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer sterben lässt, die in ihrem Wirtschafts- und Leistungswahn den Bezug zu den Menschen innerhalb und außerhalb Europas teilweise verloren hat.

Mitmenschlichkeit, Humanität, soziale Verantwortung muss im Mittelpunkt des  Handels sein. Geben wir den Kriegstreibern und der Waffenindustrie keine Chance. Und lassen Sie uns gemeinsam nie mehr zu Ungerechtigkeit, zur Verletzung von Menschenrechten Schweigen, egal wo sie geschehen und egal wer dafür verantwortlich ist.

Lassen Sie uns dabei mutig und engagiert, und dabei konsequent sein.