Krieg oder Frieden? Deutsche Verwirrungen im Mittleren Osten

Mako Qoçgirî, Mitarbeiter von Civaka Azad, über aktuelle Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik im Kontext einer multipolaren Weltordnung und die Notwendigkeit eines Dialogs mit der PKK, 20.02.2019

Die 55. Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende hat einmal mehr gezeigt, dass die globale Ordnung sich in einer Phase fundamentaler Veränderungen befindet. Der Abschied von der einzigen Supermacht USA und die faktisch bereits bestehende multipolare Weltordnung rufen die Staaten dieser Welt auf den Plan. Und so macht sich auch Deutschland daran, einen prominenten Platz in der neuen Weltordnung einzufordern. Ein besonderes Augenmerk werfen die deutschen Staatsvertreter auf den Mittleren Osten, dessen strategische Bedeutung für die Stabilität Europas, aber auch für hegemoniale Ambitionen bis nach Südostasien allen Geostrategen bewusst ist. Deutschland scheint jedoch unentschlossen, mit welcher Strategie es den eigenen Einfluss im Mittleren Osten ausbauen möchte, um die angekündigte „neue deutsche Verantwortung“ in die Praxis umzusetzen. Nur der grobe Rahmen ist erkennbar: eine starke, von Deutschland dominierte EU entwickelt in den nächsten Jahren die dringend notwendige militärische und wirtschaftliche Autonomie, um im Wettstreit mit den USA, Russland und China den eigenen Hegemonieanspruch durchzusetzen. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass das deutsche Machtstreben im Mittleren Osten neue Widersprüche hervorbringen und auf Widerstand stoßen wird. Da wären nicht nur regionale Mächte wie der Iran oder die Türkei, sondern auch der zu erwartende gesellschaftliche Widerstand, mit dem die deutsche Außenpolitik sich auseinandersetzen muss. Sollte Deutschland wie in der Vergangenheit auf Status-Quo-Mächte wie die Türkei und den Iran setzen und Gesprächsangebote gesellschaftlicher Bewegungen ausschlagen, ist bereits jetzt abzusehen, dass die deutsche Außenpolitik in einer Sackgasse enden wird.

Der Traum von „neuer deutscher Verantwortung“

Spätestens seitdem im Jahr 2013 unter dem Schlagwort „neue deutsche Verantwortung“ eine Debatte über die internationale Rolle Deutschlands angestoßen wurde, macht man sich hierzulande wieder öffentlichkeitswirksam Gedanken über die Umsetzungsmöglichkeiten deutscher Machtbestrebungen in der Welt. Dass Deutschland allein wenig ausrichten kann, ist den politisch Verantwortlichen bewusst. Neben Angela Merkel betonte auch der deutsche Außenminister Heiko Maas auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 die Bedeutung eines starken Europas: „Deutschland und seine europäischen Partner – und hier schließe ich Großbritannien ausdrücklich mit ein – brauchen Europa als starken Akteur und nicht als Objekt globaler Politik. Der Erfolg und die Fortentwicklung des europäischen Projekts ist und bleibt unser nationales Kerninteresse, ist und bleibt Teil unserer „Staatsraison“.“1 Wohl gemerkt träumt man in Deutschland von einem Europa unter deutscher Führung. Sowohl in der Wirtschaftspolitik, als auch in Fragen der Flüchtlingspolitik tritt das Unwohlsein zahlreicher EU-Länder mit dem von Deutschland vorgegebenen Kurs zunehmend zutage. Osteuropäische Länder wie Polen stellen sich offen gegen zentrale deutsche Projekte wie die Pipeline Nord-Stream-2, während Frankreich und zahlreiche südeuropäische Länder die deutsche Austeritätspolitik in Frage stellen. Auch der Brexit wird z.T. mit der dominanten Rolle Deutschlands in der EU begründet sein. So sind zentrale Positionen in Brüssel mit deutschen Vertretern oder Deutschland wohl gesinnten Personen besetzt. Die kurzfristige Absage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz gemeinsam mit Angela Merkel aufzutreten, ist nur das jüngste einer Reihe von Anzeichen dafür, dass die deutschen Visionen für ein globale agierendes Europa zunehmend krisenbehaftet sind. Deutschland scheint sich mit seinem dominanten und kompromisslosen Auftreten die Sympathien seiner europäischen Partner zu einem Großteil verspielt zu haben. Damit bringt es nicht nur das Projekt eines europäischen Global Players in Gefahr, sondern schadet auch direkt seiner nationalen Strategie „neuer deutscher Verantwortung“.

Friedensbotschaften und Leopard2-Panzer

Trotz seiner offensichtlichen Schwierigkeiten umsichtige globale Hegemoniepolitik zu betreiben, beansprucht Deutschland in global eigene Interessen durchsetzen und in diesem Zuge zwischen regionalen Akteuren vermitteln zu können. Neben Nordafrika ist deutsche Außenpolitik besonders um den Mittleren Osten bemüht. Dort steht sie vor der Herausforderung, dass mit der Türkei ein strategischer regionaler Partner vor einer ungewissen Zukunft steht. Das Land ist wirtschaftlich und politisch zunehmend instabil, was u.a. mit der seit Jahrzehnten ungelösten kurdischen Frage zusammen hängt. Ähnlich wie im Umgang mit den eigenen europäischen Partnern scheint Berlin auf eine kompromisslose Haltung gegenüber jeglichen Kräften zu setzen, die sich mit der türkischen Politik unzufrieden zeigen. Entsprechend umfassend fällt die wirtschaftliche, politische und militärische Unterstützung Deutschlands für den türkischen Partner aus – ungeachtet des Krieges im Südosten der Türkei und des massiven Drucks auf jegliche Opposition im gesamten Land. Umso wichtiger erscheint eine Empfehlung des Berliner Think-Tanks `Stiftung für Wissenschaft und Politik`, mit der man sich im Januar diesen Jahres an die Bundesregierung wandte: „Die deutsche und die europäische Politik sollten weiter darauf drängen, dass die 2015 abgebrochenen Verhandlungen wiederaufgenommen werden und eine politische Lösung gefunden wird. Das mag angesichts der verhärteten Fronten vor allem in Ankara zurzeit nicht realistisch sein. Trotzdem muss die politische, friedliche Beilegung der Kurdenfrage in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran ein wichtiges Interesse der deutschen und europäischen Türkei-und Nahostpolitik bleiben.“2 Dabei sei auf eine Gefahr hingewiesen, die mit diesem zweifelsohne drängenden Anliegen einhergeht. Auch die USA setzen auf eine zukünftige Annäherung zwischen der Türkei und den Kurden, machen dafür aber die militärische Schwächung der PKK zur Grundlage, um diese zu weitgehenden Zugeständnissen gegenüber der Türkei zu zwingen.3 Die deutsche Bundesregierung könnte es sich in Abgrenzung von US-amerikanischen Kriegsphantasien zur Aufgabe machen, die PKK und den türkischen Staat ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurück zu bringen. Damit wäre eine wichtige Grundlage für die Stabilisierung der gesamten Region geschaffen. Sollte Deutschland jedoch ähnlich wie die USA auf eine militärische Lösung mit anschließenden Verhandlungen setzen, müsste dies mit wirtschaftlicher, politischer und militärischer Rückendeckung Deutschlands für die Türkei erfolgen. Die Bundesrepublik würde damit noch tiefer in den Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK verwickelt werden. Der zu erwartenden Widerstand der kurdischen Gesellschaft im Mittleren Osten würde nicht nur den deutschen Einfluss in der Region gefährden, sondern zugleich eine schwere Belastungsprobe für hunderttausende von Kurden in Deutschland bedeuten, die von einer Eskalation des Krieges gegen die PKK direkt und indirekt betroffen wären.

Deutsche Scheuklappen

Anders als Länder wie die USA, Russland oder Frankreich zeigt sich die deutsche Außenpolitik wenig flexibel in ihrem Umgang mit den verschiedenen – auch nicht-staatlichen – Akteuren im Mittleren Osten. Statt Gesprächskanäle offen zu halten, setzt man starr und verbissen auf den einseitigen Kontakt zu den Status-Quo-Mächten bzw. Nationalstaaten der Region. Dazu könnte neben traditionellen Partnern wie der Türkei und dem Iran in nicht allzu ferner Zukunft auch wieder das Regime in Damaskus zählen. Während die Amerikaner mit praktisch allen Akteuren der Region Kontakte pflegen, legt Deutschland die eng sitzenden Scheuklappen nicht ab und versteift sich auf altbewährte Kontakte. Innenpolitisch drückt sich das in dem immer vehementer durchgesetzten PKK-Verbot aus, das seit 1993 bestand hat. So brüstete sich das Bundesinnenministerium jüngst damit, in den vergangenen 25 Jahren umfassend gegen vermeintliche Aktivitäten der PKK in Deutschland vorgegangen zu sein: „Die PKK ist in Deutschland mit ca. 14.500 Anhängern mit Abstand die mitgliederstärkste extremistische Ausländerorganisation. Sie nutzt Deutschland als Raum des Rückzugs, der Refinanzierung und Rekrutierung. Dagegen wird durch die deutschen Sicherheitsbehörden immer wieder mit großem personellem und sachlichem Aufwand vorgegangen. Seit 2004 haben die Strafverfolgungsbehörden der Länder in einer sehr hohen vierstelligen Zahl strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit PKK-Bezug eingeleitet.“4 Mit dem PKK-Verbot hat die bundesdeutsche Politik vor über zwei Jahrzehnten eine Mauer errichtet, die sie heute zunehmend in ihrem politischen Handlungsspielraum einschränkt. Solange sich deutsche Staatsvertreter derart verbissen auf das PKK-Verbot als Begründung für ihr außen- und innenpolitisches Handeln berufen, macht sich das Land zu einem leichten Opfer für das Erdogan-Regime in der Türkei. Der türkische Präsident dürfte sich über die Engstirnigkeit der deutschen Politik freuen. Demonstrationsverbote wie im Februar 2018 und die Schließung des Mezopotamien-Verlags in diesem Jahr zeigen, welch weitgehende Einschnitte demokratischer Grundrechte die Bundesregierung eingeht, um an ihrer festgefahrenen Türkei- und Mittelostpolitik festzuhalten.

Ein Hegemon mit ganz eigenen Problemen

Je weiter sich die Lage im Mittleren Osten zuspitzt und die Spannungen der Weltmächte zunehmen, desto mehr wird auch die deutsche Politik gefordert sein. Entscheidend wird dabei sein, ob Deutschland auf altbewährte Rezepte und Politikstile setzt, mit denen man bereits in der Vergangenheit gescheitert ist. Will die deutsche Politik ihre Stellung in einer multipolaren Welt behaupten, wird sie ihre Scheuklappen ablegen und nach neuen politischen Gesprächspartnern suchen müssen. Unablässig wird dafür sein, vom hohen Ross herabzusteigen und das Gespräch auf Augenhöhe zu suchen. Das gilt für die europäischen Partner ebenso wie für die verschiedenen Akteure des Mittleren Ostens. Solange sich Deutschland dem Gespräch mit der ganzen Bandbreite staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte in der Region verschließt, wird es an den eigenen Ansprüchen scheitern und nur immer tiefer in das Chaos der Region verwickelt werden. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konsequenzen wird die Bundesregierung ihrer eigenen Bevölkerung nur schwer vermitteln können.