Türkischer Angriff auf Minbic – Terror gegen Zivilbevölkerung zur Vernichtung eines politischen Projekts

militaerrat-von-minbicMichael Knapp, 25.11.2016

Die letzten Monate waren geprägt vom Säbelrasseln der türkischen Regierung. Der türkische Staatschef Erdogan erklärte immer wieder, dass die YPG aus Minbic (Manbij) vertrieben werde, dass Minbic nicht den Kurden, sondern den Arabern „gehöre“. Er  feierte den Abzug der YPG aus Minbic vor wenigen Tagen als einen Triumph seiner Politik, die Tatsache bewusst verkennend, dass die YPG und YPJ Einheiten nur die Selbstverteidigungseinheiten von Minbic ausbildeten und sich dann zurückzogen. Die YPG stellte mit ihrem Abzug aus Minbic nochmals deutlich klar, dass sie keine Besatzungsmacht sind, sondern entsprechend dem Selbstverständnis von Rojava die Selbstverwaltung und Selbstverteidigung der Lokalbevölkerung übertragen.

Der Abzug der SDF und damit der YPG Einheiten aus Minbic löste allerdings nicht den Sturm der Freude aus, den der Abzug von Besatzern ausgelöst hätte, sondern die Menschen von Minbic scheinen offensichtlich sehr genau erkannt zu haben, wofür die YPG steht. Die Bevölkerung von Minbic hatte vor ihrer Befreiung am 13. August dieses Jahres seit 2014 selbst unter der Diktatur des IS großes Leid erfahren. Die Menschen sind sich auch bewusst, dass der Terror des IS maßgeblich von der Türkei unterstützt wurde. Und so verwundert es nicht, dass die Selbstverwaltung von Minbic nach dem Abzug der YPG nun nicht die türkische Armee und die mit ihr kollaborierenden dschihadistischen Gruppen zur Verteidigung ihrer Stadt einluden.

Stattdessen versteht sich Minbic als Teil des Şehba Kantons der Demokratischen Föderation Nordsyriens, der gerade zwischen den Kantonen Afrin und Kobanî freigekämpft wird. Und so begann, obwohl – oder vielleicht gerade weil – die YPG und YPJ aus Minbic abgezogen sind, der massivste Angriff der Türkei auf Minbic in der Geschichte des Syrienkonflikts. Insbesondere die Zivilbevölkerung wird massiv mit Artillerie und Bombern angegriffen. Die  Dörfer im Westen von Minbic werden dem Erdboden gleichgemacht. Es wurden allein in den vergangenen Tagen mindestens acht ZivilistInnen, unter ihnen mehrere Kinder, getötet – die Regionalbevölkerung ist auf der Flucht.

Hatice Derwiş, die zwei ihrer Kinder durch türkische Bomben verlor, erklärt: „Wir waren zu Hause, sie haben unser Dorf bombardiert und unsere Häuser sind über uns eingestürzt. Wir haben die Verschütteten befreit und sind aus unserem Dorf geflohen. Meine beiden Kinder Şahed und Emina wurden beim Angriff schwer verletzt und sind später gestorben.“ Reşîd Derweş aus dem Dord Sebwêran berichtet weiter: „Wir saßen in unserem Haus. Plötzlich hörten wir den Fluglärm. Sie haben Bomben abgeworfen und Frauen und Kinder getötet.“

Seit dem 21.11. greift die Türkei diese Dörfer immer wieder an. Die Zahl der Getöteten ist mittlerweile schwer zu überblicken. Es scheint das Ziel der Bombardements zu sein, die Menschen aus der Region zu vertreiben. Die Türkei handelt dabei gemeinsam mit Truppen des Syrischen Nationalrats ETILAF ((Syrian National Coalition Of Syrian Revolution and Opposition Forces)) – die andererseits Dörfer westlich von Afrîn und das kurdische Stadtviertel von Aleppo Şêxmeqsûd angreifen.

Der Militärrat von Minbic scheint sich jedoch effektiv gegen die Angriffe der Türkei, zumindest am Boden, wehren zu können. So wurden in den letzten Tagen nach Angaben der Nachrichtenagentur Hawar mindestens vier türkische Panzer durch Mitglieder des Militärrats zerstört. Die Bodenoffensiven des türkischen Militärs und seiner Verbündeten bleiben immer wieder stecken oder werden zurückgeschlagen. Auch dies ein Grund dafür, weshalb die Türkei nun vor allem ihre Luftüberlegenheit ausspielt. Das Generalkommando der SDF hat angekündigt, dass sie, wenn gewünscht, bereit sind, den Militärrat von Minbic zu unterstützen.  Möglicherweise ist dies auch ein Kalkül der Türkei, die SDF dazu zu zwingen, Kräfte von der Raqqa-Front abzuziehen und damit dem IS eine Atempause zu verschaffen. Die Türkei hat die diplomatische Niederlage noch nicht verkraftet, nicht in die Befreiung von Raqqa miteinbezogen zu sein und scheint nun zu versuchen, durch die Offensiven auf Al Bab und Minbic dem Projekt der Demokratischen Föderation Nordsyrien einen Schlag zu versetzen.