Die Initiative „Defend Kurdistan“ lädt zu einer bundesweiten Demonstration gegen die türkische Invasion in Südkurdistan am 14. August in Düsseldorf ein. In einem Aufruf der Initiative, die aus der „Internationalen Delegation für Frieden und Freiheit in Kurdistan” hervorgegangen ist, heißt es:
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner schaut hin“ – diese Abwandlung des Spruchs der alten Friedensbewegung könnte Südkurdistan (Nordirak) meinen. Dort greift der türkische Staat seit dem 23. April die Regionen Zap, Metîna und Avaşîn ununterbrochen aus der Luft und mit tausenden Bodentruppen an. Die Türkei argumentiert bei ihrem Vorgehen mit einer angeblichen Gefahr für „ihr Territorium“ durch die Guerilla der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), die seit Jahrzehnten einen Großteil der südkurdischen Grenzgebiete kontrolliert und mit der Ankara ebenso lange in Konflikt steht – aufgrund der politisch ungelösten kurdischen Frage. Dabei werden offensichtlich auch international geächtete chemische Kampfstoffe eingesetzt, Wälder niedergebrannt oder abgeholzt und in den besetzten Gebieten neue Militärstützpunkte errichtet, um eine türkische Besatzung im Nordirak zu verstetigen. Die Angriffe richten sich auch systematisch gegen die dortige Zivilbevölkerung, deren Siedlungsgebiete und Anbauflächen täglich bombardiert werden.
Gezielte Vertreibungen und Entvölkerung
Seit Beginn der Angriffe sind bereits tausende Menschen geflohen und dutzende weitere getötet worden. Die Zustimmung der mit der Türkei kollaborierenden PDK (Demokratische Partei Kurdistans), der führenden Regierungspartei in der südkurdischen Autonomieregierung, wurde unter anderem durch Ölgeschäfte erkauft. Die PDK herrscht in den südkurdischen Gebieten zur Türkei hin. Weil die türkische Regierung nicht wie geplant militärisch vorankommt, ist das Kalkül Ankaras, durch erhöhten Druck auf die konservativ-neoliberale PDK die Provokation eines kurdischen Bruderkriegs. Wenn Kurden gegen Kurden kämpfen, hat die türkische Regierung ihr Kriegsziel erreicht.
NATO schweigt und lässt Ankara gewähren
Nach außen hin proklamiert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen „Anti-Terror-Kampf“ gegen die PKK, welche er zu dämonisieren versucht. Damit kann er sich der Zustimmung der NATO-Staaten sicher sein. So geht die deutsche Bundesregierung gegen politisch engagierte Kurd:innen vor und die USA setzen Kopfgeld auf führende kurdische Politiker aus. Die NATO schweigt, lässt Ankara gewähren.
Türkei schafft demographische Tatsachen
Wer Erdogans Agenda verfolgt, weiß, dass der Kampf gegen die PKK nur ein Vorwand für sein rassistisches Vorgehen ist. Seine Vision ist ein großtürkisches Reich neo-osmanisch/islamistischer Prägung. 100 Jahre nach dem Vertrag von Lausanne sollen die damals festgezurrten Grenzen nach Süden verschoben werden. Die türkische Annexion von Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî in Rojava/Syrien in 2018 und 2019 – mit Unterstützung der NATO-Staaten – im Kampf gegen die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), deren Rückgrat die YPG/YPJ bilden, folgte diesem Plan. Das Ziel ist die Errichtung eines Korridors mit einer Bevölkerung, die hauptsächlich aus dschihadistischen Milizionären und deren Familien besteht. Sie bewohnen jetzt die Häuser der vertriebenen Kurd:innen, Assyrer:innen, Ezid:innen und auch einigen Araber:innen. Viele Menschen in den besetzten Gebieten werden als Söldner rekrutiert und im Auftrag der türkischen Armee nach Libyen oder Armenien zu Kampfeinsätzen geschickt. Stück für Stück wurden die kurdischen Siedlungsgebiete türkisiert oder arabisiert und „demographische Tatsachen“ geschaffen. Eine demographische Veränderung könnte bei einer erfolgreichen Besatzung auch dauerhaft für die Grenzgebiete Südkurdistans umgesetzt werden. Die Guerilla der PKK, die überall mit der Zivilbevölkerung eng kooperiert und sie auch schützt, steht im Wege. Deshalb jetzt der Bombenterror und das Giftgas auf ihre Stellungen in Metîna, Zap und Avaşîn.
Friedensdelegation gefährdet außenpolitische Interessen der BRD?
Wer in diese Ecke der Welt schaut, fragt sich, weshalb die NATO einen nach innen diktatorisches Regime und aktiven Unterstützer des IS und anderer bewaffneter Islamisten an ihrer Südostflanke duldet. Und weshalb Deutschland das Land in Europa sein muss, das am eifrigsten dem Kriegstreiber in Ankara den Steigbügel hält. Mitte Juni reiste eine internationale Friedensdelegation nach Südkurdistan, um sich vor Ort ein Bild von der humanitären Lage zu machen. Mehrere Mitglieder wurden in Düsseldorf an der Ausreise gehindert. Eine Delegation für den Frieden gefährde die außenpolitischen Interessen, hieß es von der Bundespolizei. Diese Haltung spiegelt die andauernde Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland wider.
Nichts rechtfertigt Schweigen zur türkischen Aggression
Die während der Delegation entstandene Initiative „Defend Kurdistan“ ruft jetzt auf zu einer bundesweiten Demonstration gegen die türkische Invasion in Südkurdistan. Sie fordert alle zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien auf, sich für ein Ende der türkischen Kampfhandlungen und den Abzug aller türkischen Truppen aus Südkurdistan und Rojava/Syrien einzusetzen. Weder geo-strategische oder wirtschaftliche Interessen noch die Drohung Erdogans, Flüchtlinge nach Europa zu schicken, rechtfertigen das Schweigen zur türkischen Aggression. Der türkische Staat schafft permanent neue Fluchtursachen und ist verantwortlich für humanitäre Katastrophen.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist schon lange unzufrieden mit der Appeasementpolitik gegenüber der Diktatur in Ankara. Jetzt ist die Zeit gekommen, sich an den erfolgreichen Einsatz der kurdischen Freiheitsbewegung gegen den IS in Syrien und im Irak zu erinnern. Sie ist der Motor für eine demokratische Alternative zu Autoritarismus und Islamismus in Kurdistan, Syrien, Irak und der Türkei.
Im Ringen um Frieden und Demokratie im Mittleren Osten rufen wir auf zur breiten zivilgesellschaftlichen Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung, damit auch die Forderung an die Bundesregierung, die Unterstützung für das türkische Regime einzustellen und mit kurdischen Politiker:innen in einen Dialog zu treten, gestärkt wird. Im Falle der Türkei und den Kurd:innen kann die Bundesregierung zeigen, ob sie sich wirklich an Menschenrechten und Frieden in der Außenpolitik orientiert, wie sie es so oft gerne darstellt.
Kommt zur bundesweiten Demonstration am 14. August 2021 in Düsseldorf.
Genaue Informationen rund um die Demonstration sind zu finden auf: www.defend-kurdistan.com/de