Die AKP hat ihren letzten Kredit verspielt

Kovorsitzender des KCK-Exekutivrates Cemil Bayık, 06.10.2013

Der Kovorsitzende des KCK-Exekutivrates, Cemil Bayık, bewertete in einem Beitrag das “Demokratisierungspaket” der AKP Regierung. Bayık kritisierte, dass die AKP agiere, ohne die kurdische Seite als Partei zu akzeptieren. So könne keine Lösung der kurdischen Frage herbeigeführt werden. Bayık warnt zugleich die Regierung. Sie müsse entweder einen wirklichen Lösungswillen zeigen, oder aber sie werde mit einer neuen Phase des Widerstand rechnen müssen. Im Folgenden geben wir den Beitrag des Kovorsitzenden des KCK-Exekutivrates wieder:

Die AKP hat ihr seit Wochen propagiertes Paket veröffentlicht. In dem Paket kommt eine Haltung zum Ausdruck, welche den gesamten Prozess, den unser Vorsitzender initiiert hat, zu torpedieren droht. Die AKP hat sich so verhalten, als gäbe es diesen Prozess gar nicht. Sie hat praktisch zum Ausdruck gebracht, dass sie die Gespräche zu Hinhaltezwecken missbraucht und ihren eigenen Kurs verfolgt.

Die Frage ist, ob mit solch einem Verhalten der AKP-Regierung noch von einem Prozess gesprochen werden kann. Jeder, der ein wenig von Politik versteht, wir zugeben müssen, dass so kein Lösungsprozess laufen kann.

Immer wenn die AKP-Regierung sich bedrängt fühlt, schickt sie eine Delegation nach Imrali. Seit fast einem Jahr gibt es keine Gefechte, was ausschließlich ein Ergebnis dieser Gespräche ist. Die kurdische Freiheitsbewegung hat ausgehend von der Annahme, die türkische Regierung wolle mit unserem Vorsitzenden Verhandlungen führen, ihren Teil zu dieser Waffenruhe geleistet und einen bedeutenden Teil ihrer Kräfte aus der Türkei abgezogen. Ohnehin ist es nicht möglich, von einer Lösung zu sprechen, ohne die KurdInnen als Gemeinschaft zu akzeptieren, ihre Repräsentanten anzuerkennen und mit diesen Verhandlungen für eine Lösung zu führen. Ich wiederhole es noch einmal: Ohne die Anerkennung der politischen Vertretung der KurdInnen kann es keine Lösung geben. Diejenigen, die es dennoch versuchen, bleiben der alten Mentalität des Staates verhaftet. Und diese Mentalität hatte keine Lösung der kurdischen Frage im Sinn, sondern die Vernichtung der kurdischen Identität.

Unser Vorsitzender hatte im Rahmen der Gespräche auf Imrali einen Dreistufen-Plan für die Lösung des Konflikts vorgestellt. Die kurdische Seite hat, ohne zu Zögern, ihre Aufgaben für die erste und zweite Stufe des Plans erfüllt. Die AKP-Regierung hingegen agiert so, als hätte es auf Imrali nie Gespräche gegeben. Aus diesem Grund hat der 11. Kongress der PKK den Vorschlag gemacht, den Rückzug zu stoppen und der KCK-Exekutivrat hat diesen Vorschlag umgesetzt. Das vom türkischen Ministerpräsident veröffentlichte Reformpaket hat nochmals unter Beweis gestellt, dass diese Entscheidung der KCK nicht falsch war.

In einem Konflikt gibt es immer zwei Parteien. Dieser Konflikt dreht sich um eine hundertjährige Frage. Unter der Führung der PKK leisten die KurdInnen nun seit 40 Jahren Widerstand gegen die Gefahr des kulturellen Genozids. Die AKP-Regierung hat im Verlauf des Konflikts in den letzten Jahren vermehrt um einen Waffenstillstand gebeten. Diese Bitten haben sie an unseren Vorsitzenden herangetragen und die KCK hat die Vorschläge unseres Vorsitzenden akzeptiert und Waffenstillstände eingeleitet. Doch anschließend hat die türkische Regierung bei keinem dieser Waffenstillstände die von ihr zu tätigenden Schritte gemacht. Jedes Mal hat sie dadurch die Grundlagen für die Fortführung des Waffenstillstands selbst aus der Welt geschafft. Auch in der aktuellen Phase der Gefechtslosigkeit verhält sich die AKP nicht anders. Als wäre nicht sie es gewesen, die um einen Waffenstillstand gebeten hat, verhält sie sich nun so, als sei die kurdische Freiheitsbewegung keine Partei in der kurdischen Frage.

Ein Lösungsprozess schreitet nur voran, wenn beide Seiten ihrer Verantwortung gerecht werden. Allerdings macht dies bisher nur die kurdische Seite. Die AKP nimmt ihre Aufgaben nicht ernst. Wenn man sich nun fragt, ob der Prozess trotz der ignoranten Haltung der AKP weiterlaufen kann, stelle ich folgende Gegenfrage: Wo auf der Welt hat man gesehen, dass solch ein Prozess einseitig laufen kann? Wenn die AKP weiterhin von der Lösung der kurdischen Frage reden will, muss sie die kurdische Seite ernst nehmen. Hierfür muss sie die Bedingungen unseres Vorsitzenden verbessern und mit ihm in Verhandlungen treten. Wenn sie das nicht tut, torpediert die AKP diesen Prozess.

Um ehrlich zu sein, ist vom Prozess ohnehin nichts mehr übrig geblieben. Unser Vorsitzender hat beim letzten Besuch der BDP- Delegation dennoch versucht, diesen Prozess wiederzubeleben. Hierfür hat er der Regierung drei Vorschläge unterbreitet. Sollten diese Vorschläge unseres Vorsitzenden nicht umgesetzt werden, wird die kurdische Freiheitsbewegung die Lage neu bewerten. Keiner soll also glauben, dass die KurdInnen ihr Schicksal dem Wohlwollen der AKP überlassen.

Zur Zeit diskutieren alle darüber, was das “Demokratisierungspaket” der AKP beinhaltet und was fehlt. Aber ein Paket, das die KurdInnen nicht als Ansprechpartner akzeptiert, ist ohnehin leer. Sein Zweck kann nicht die Lösung der Frage sein. Wenn der Wille der KurdInnen nicht anerkannt wird, ist auch die Lösung der Frage nicht beabsichtigt. Deshalb macht es auch keinen größeren Sinn, über die Inhalte des Pakets zu diskutieren, wenn man sich nicht gerade für die Politik der AKP instrumentalisieren lassen will. Die KurdInnen werden letztlich kein Paket, das ihren Willen nicht anerkennt und deswegen vielleicht gut verpackt aber innen leer ist, akzeptieren. Und mit solch einem Paket haben wir es zu tun.

Die KurdInnen werden nicht als eine Gemeinschaft innerhalb der Türkei akzeptiert. Der muttersprachliche Unterricht soll in Privatschulen verbannt werden. Das heißt, die kurdische Sprache wird als Fremdsprache und nicht als Muttersprache von Millionen Menschen in der Türkei bewertet. Der Ministerpräsident hat selbst das noch eingeschränkt und gesagt, dass eine Vielzahl von Schulfächern auch auf den Privatschulen auf Türkisch unterrichtet werden sollen. Es soll keine Abweichungen von den Lehrplänen geben. Ohnehin erhoffen sich die Schreiberlinge der AKP, dass die Privatschulen ebenso wie die privaten Sprachkurse keinen großen Anklang finden.

Um es zusammenzufassen: Es kann von keinem “Lösungspaket” die Rede sein, welches eine Partei in dieser Frage schlichtweg ignoriert. Wenn überhaupt, kann dies ein Paket sein, dass die Lösungslosigkeit verschleiern soll. Die AKP hat abermals offenbart, welche Haltung sie bei der Lösung der kurdischen Frage einnimmt. Mit diesem Paket hat sie aber auch ihren letzten Kredit verspielt. Entweder wird sie nun ihren Lösungswillen zeigen oder die KurdInnen werden eine neue Phase des Widerstands eröffnen müssen.

ANF, 06.10.2013


Duran Kalkan, Mitglied des KCK-Exekutivrates

Lösung der kurdischen Frage Schlüssel aller Probleme der Türkei

Duran Kalkan, Mitbegründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat im kurdischen Fernsehsender Sterk TV das vom türkische Ministerpräsidenten Erdogan am 30. September verkündete „Demokratisierungspaket“ bewertet.

Laut Kalkan stelle das Paket eine Bremse für die Demokratisierung dar und sei im Hinblick auf die Kommunalwahlen im Jahr 2014 als Hinhaltetaktik der Regierungspartei AKP zu bewerten. Nach der Verkündung des Pakets hätten zahlreiche gesellschaftliche Kreise harte Reaktion gezeigt und sich nicht im Paket wiedergefunden. „Das Paket ist ein Wahlpaket. Es ist im Grunde kein Demokratisierungspaket, sondern macht Wahlpropaganda. Es ist ein Paket, welches die AKP für die Kommunalwahlen 2014 verkündet hat,“ sagte Duran Kalkan.

„Man muss von zwei Absichten der AKP sprechen. Sie spielt zwei Rollen. Erstens betreibt sie mit dem Paket Wahlpropaganda und will die Wahlen gewinnen. Zweitens sieht sie die Notwendigkeit einer Demokratisierung und der Lösung der kurdischen Frage, beide will sie aber mit den Umwegen, die das Paket vorsieht, bremsen. Sie versucht die Gesellschaft zu täuschen(…),“ fuhr Kalkan fort.

Kalkan unterstrich, dass der Prozess von Seiten der AKP ins Stocken geraten sein und sie alles an die Macht und Wahlstimmen binde. Die Lösung der kurdischen Frage sei der Schlüssel für alle Probleme der Türkei. Das Demokratieproblem der Türkei sei wichtiger als Wahlen und Stimmen, so Kalkan.

„Wir werden gegen die Behinderungen durch die AKP ankämpfen. Wir werden die AKP die Wahlen nicht so leicht gewinnen lassen,“ betonte Kalkan.
Kalkan bewertete auch die Entscheidung der KCK, den Rückzug zu stoppen: „Angesichts der Haltung der AKP zur Demokratisierung war es eine revolutionäre Maßnahme. Wenn die AKP mit ihren Hinhaltespielchen weitermacht, die Kriegsvorbereitungen fortführt und gegen demokratische Aktionen Polizeiterror anwendet, wird nichts von einer Waffenruhe bleiben. Die PKK soll die Waffenruhe einhalten und die AKP leistet sich alle Arten von Angriffen. Man muss realistisch sein“, sagte Kalkan.

Aufgrund der gegenwärtigen Situation sei die Waffenruhe geschwächt, betonte Kalkan. Die AKP unterstütze Banden, die das Volk in Rojava angreifen, und führe den Krieg nun nicht mehr im Norden, oder Süden, sondern in Rojava (Westkurdistan).

ANF, 05.10.2013

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