Mako Qoçgirî, Mitarbeiter von Civaka Azad, über den drohenden türkischen Einmarsch in Nordsyrien, 23.08.2019
Nach wochenlangen Kriegsdrohungen hat sich die Lage erst einmal wieder beruhigt: Die türkische Regierung hat von den USA kein grünes Licht für eine Intervention in Nordsyrien (Rojava) erhalten. Stattdessen einigten sich beide Seiten Anfang August auf die Errichtung eines gemeinsamen Einsatzzentrums auf der türkischen Seite der Grenze, das wiederum eine Sicherheitszone in Nordsyrien einrichten soll. Weitere Details der Verhandlungen gelangten bisher nicht an die Öffentlichkeit. Wahrscheinlich ist bei den Gesprächen auch nichts weiter herausgekommen, was der Öffentlichkeit hätte mitgeteilt werden können. Das Einsatzzentrum klingt stark nach einem Minimalkonsens.
Auf den Straßen Nordsyriens war jedenfalls beim bunten Treiben während des islamischen Opferfestes Mitte August die Erleichterung zu spüren. Ein weiterer Krieg scheint zunächst abgewendet. Denn was in den türkischen Medien als »Friedenskorridor« in Nordsyrien bezeichnet wurde, wäre tatsächlich nichts anderes als der Versuch, die Errungenschaften der Revolution zu vernichten. Der Plan des Erdoğan-Regimes sah eine 30 Kilometer tiefe Pufferzone hinein in nordsyrisches Territorium vor. Aus diesem Gebiet, das auch die wichtigsten kurdischen Städte Nordsyriens miteinschließen würde, sollten die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) vertrieben werden. An ihrer statt sollten hier türkische Soldaten – gegebenenfalls gemeinsam mit US-Soldaten – stationiert und die mittlerweile in der Türkei als innenpolitisches Problem betrachteten syrischen Geflüchteten angesiedelt werden.
Wäre das Vorhaben nach türkischen Vorstellungen umgesetzt worden, käme dies nach der Besatzung Efrîns (seit März 2018) und dem Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Südkurdistan/ Nordirak (seit Mai dieses Jahres) einem dritten grenzüberschreitenden Krieg Recep Tayyip Erdoğans gegen die Kurd*innen gleich. Viele politische Analyst*innen gehen deshalb mittlerweile davon aus, dass die türkische Regierung diese Kriege dringend braucht – um ihre Macht weiter aufrechterhalten und von den wachsenden innenpolitischen Problemen ablenken zu können.
Als Reaktion auf die türkischen Kriegsdrohungen zeigte sich die Föderation Nord- und Ostsyriens bereit, unter bestimmten Bedingungen einer Sicherheitszone zuzustimmen. Demnach sei man gewillt, die eigenen Kräfte fünf Kilometer landeinwärts von der Grenze zurückzuziehen. Hiervon ausgenommen sollten allerdings die Städte sein, die sich direkt an der Grenze befinden. Eine solche Sicherheitszone könnte von Soldaten der Internationalen Koalition mit Ausnahme der Türkei kontrolliert werden. Zivile und unbewaffnete türkische Verantwortliche sei man allerdings bereit zu dulden. Zudem wurde der Rückzug der Türkei aus Efrîn zu einer Vorbedingung für die Zustimmung zur Sicherheitszone gemacht.
Wie es nun nach den Gesprächen zwischen den türkischen und US-amerikanischen Vertreter*innen konkret weitergehen soll, ist weiterhin unklar. Die aggressiven Töne Ankaras gegenüber der Föderation Nordsyrien sind jedenfalls kurz nach dem Treffen mit den USA von Anfang August keineswegs abgeklungen. Kurzfristig scheint allerdings ein Einmarsch unwahrscheinlicher geworden zu sein, auch wenn die Kriegsgefahr nicht gebannt ist. Und auch die Vorbereitungen der Demokratischen Kräfte Syriens für einen Verteidigungskrieg gehen weiter. »Wenn wir angegriffen werden, resultiert daraus ein 600 Kilometer breites Kriegsgebiet. Das bedeutet den Beginn eines weiteren Syrienkriegs«, erklärte kürzlich der SDF-Generalkommandant Mazlum Abdi.
Der Artikel erschien im Original in der Zeitung ak – analyse & kritik.