Wie die AKP ihre Opposition finanziell austrocknen will

akp_meclisMako Qocgiri, Mitarbeiter von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V, 09.02.13

„Auch ein faschistisches Regime wird langsam und behutsam Schritt für Schritt errichtet. Wenn in der Vergangenheit die Intellektuellen versuchten, ihre Gesellschaft vor dem Aufkeimen eines faschistischen Regimes zu warnen, wurden sie nicht gehört. Als der Faschismus dann gegenüber der Gesellschaft vollends in Erscheinung trat, war es dann für alle zu spät, was dagegen zu unternehmen.“

Mit diesen eindringlichen Worten warnt Erol Özkoray, Journalist und ehemaliger Chefredakteur der türkischsprachigen politischen Zeitschrift „Idea Politika“, vor den gegenwärtigen Entwicklungen in der Türkei. Anlass für diese besorgniserregende Warnung ist ein Gesetz, das am vergangenen Donnerstag durch das türkische Parlament verabschiedet worden ist; es ist das „Gesetz zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus“. Was sich für viele wie ein sinnvolles und nützliches Gesetz anhören mag, ist allerdings – laut Özkoray – eher ein Fass ohne Boden. Denn die Beschaffenheit des Gesetzes würde der Regierung große Möglichkeiten bei der Bekämpfung jeglicher Opposition ermöglichen. 

Kurdische Geschäftsleute im Visier

Laut Regierung soll durch das Gesetz das Vermögen derjenigen Geschäftsleute eingefroren werden können, die Gelder an sogenannte „Terrororganisationen“ spenden. Mit „Terrororganisation“ ist in der Türkei in erster Linie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bzw. die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) gemeint. Die seit 2009 laufenden KCK-Operationen, bei denen mittlerweile über 8000 kurdische AktivistInnen verhaftet worden sind, zeigen, dass die Türkei den Begriff der „Terrororganisation“ gerne sehr breit definiert. Demnach kann das ehrenamtliche Engagement eines kurdischen Lehrers, der im Rahmen einer zivilgesellschaftlichen Organisation Kurdischkurse anbietet, ebenso darunter fallen, wie die ehrenamtliche Tätigkeit einer kurdischen Hausfrau, die sich in ihrer Freizeit im Stadtteilrat engagieren möchte, um etwas Nützliches für ihre Nachbarschaft zu tun. Denn Tätigkeiten dieser Art, vor allem wenn sie in kurdischen Gebieten durchgeführt werden, sind laut der türkischen Justiz unter dem Sammelbegriff KCK zu subsumieren. Ziel dieser „Terrororganisation“ sei es, unter dem Label der genannten drei Buchstaben Parallelstrukturen zum Staat aufzubauen.

In diesem Kontext muss man nun das aktuelle Gesetz analysieren, das unter den gegebenen Bedingungen vor allem kurdische Geschäftsleute im Visier hat. Laut dem Gesetz soll eine Kommission aus 40 Staatsbürokraten mögliche Fälle von finanzieller Spendenbereitschaft von UnternehmerInnen an „terroristische Organisationen“ prüfen und gegebenenfalls zur Tat schreiten. Was von der türkischen Justiz alles als „terroristische Struktur“ bezeichnet wird, dafür habe ich oben Beispiele aufgeführt. Demnach könnte bereits ein Unternehmer, der eine zivilgesellschaftliche Organisation finanziell unterstützt oder in der Vergangenheit unterstützt hat, sein Vermögen verlieren, wenn diese Organisation bei der Regierung ein Dorn im Auge ist. Wir können den Gedanken noch weiter ausführen. Gegenwärtig baut die der AKP-Regierung nahestehende Gülen-Bewegung in den kurdischen Gebieten Schulen, Internate und Nachhilfekurse auf. Wenn nun die kurdischen Strukturen alternative Bildungsstrukturen zu diesen konservativ-religiösen Einrichtungen errichten würden, könnte eine konstruierte Verbindung zum KCK ausreichen, um sowohl diese Einrichtung zu schließen, als auch die Vermögen ihrer finanziellen Unterstützer einzufrieren. Die Strafen für die finanziellen Unterstützer gehen allerdings noch weiter. Neben dem Einfrieren ihres Vermögens müssen sie auch mit Geld- und Haftstrafen rechnen.

Der Journalist Erol Özkoray erinnert daran, dass in den 90er Jahren die damalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller erklärte, sie habe die Liste der Geschäftsleute, welche die PKK unterstützen, in ihrer Hosentasche. In den Tagen und Wochen darauf wurden an vielen Orten in den kurdischen Gebieten die Leichname von ermordeten kurdischen Geschäftsleuten aufgefunden. Nun wolle die AKP-Regierung mit diesem Gesetz dieselbe Politik auf der Makro-Ebene vollziehen. „Diese Politik ist eine bedeutende Etappe der Genozid-Politik des Staates gegen die KurdInnen. […] Um eine schreckliche Analogie aufzuführen: In Nazi-Deutschland wurden zunächst die Juden enteignet, bevor in einer späteren Etappe der Genozid an ihnen durchgeführt worden ist“, erklärt Özkoray.

Möglichkeit jede Opposition wirtschaftlich auszutrocknen
Özkoray mahnt die gesamte Opposition der Türkei, gemeinsam mit den KurdInnen geschlossen gegen dieses Gesetz anzukämpfen. Denn was heute nur ein Problem für die kurdische Opposition zu sein vermag, könnte morgen jede oppositionelle Struktur der Türkei betreffen. Wie weit die Handlungsmöglichkeit der herrschenden Partei ausufern kann, verdeutlicht Özkoray wie folgt: „Die verantwortliche Kommission erstellt ein gefälschtes Dokument und kann dann auf dieser Basis politische [unliebsame] Parteien finanziell austrocknen.“

Während die türkische Öffentlichkeit mit Debatten um vermeintliche Friedensgespräche mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf Trapp gehalten wird, hat die AKP-Regierung das genannte Gesetz schnellstmöglich ohne große mediale Aufmerksamkeit durch das Parlament gepeitscht. Özkoray warnt mit eindringlichen Worten vor einer faschistischen Entwicklung im Land. Kein faschistisches Regime falle vom Himmel. Deswegen sei Vorsicht geboten. Denn, sollten wir erst reagieren, wenn sich ein faschistisches Regime konsolidiert hat, kann es schon zu spät sein.

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