„Wir rufen alle, die an eine Demokratie für Syrien glauben, dazu auf, sich den Demokratischen Kräften Syriens anzuschließen“

SDF_Announce_Final_Declaration 1Mutlu Çiviroğlu, 15. Oktober 2015

In einem exklusiven Interview mit dem Journalisten Mutlu Çiviroğlu nahm YPG-Kommandant Sipan Hemo zu verschiedenen Themen Stellung. Der folgende Text ist eine Zusammenfassung seiner Ausführungen:

Nach der russischen Intervention hat sich das Kräftegleichgewicht verändert und auch die Akteure haben sich verändert. Dies kam schnell und von manchen unerwartet. Zurzeit finden Überfälle und heftige Kämpfe rund um Hama und Idlib (Syrien) statt. Regierungskräfte werden in der Luft von russischen Kampfflugzeugen bewacht. In der Gegend von Aleppo nutzt ISIS den Vorteil und gewinnt im Kampf gegen sogenannte moderate islamistische Gruppierungen oder FSA-Brigaden an Boden. Während diese Kräfte an Territorium verlieren, wird auch ihre Kampfmoral geschwächt. Noch ist unklar, ob sie sich wieder erholen können oder vollständig besiegt werden. Durch die russische Intervention haben die Oppositionskräfte leider einen schweren Schlag erlitten. ISIS nutzt dies in der Gegend von Aleppo aus und erobert weitere Dörfer, während ich zu Ihnen spreche.

Unsere Einheiten sind schon seit zwei Monaten im Streit mit einigen islamistischen Fraktionen einschließlich Ahrar-ash Sham und Jabhat al Nusra. Die neue Situation hat dazu geführt, dass diese schwächer werden, aber wir wollen diese Situation nicht ausnutzen, weil wir nicht wollen, dass die Oppositionskräfte noch schwächer werden oder weiter an Boden verlieren.

Oft fragen Journalisten, auf welcher Seite wir stehen. Ich möchte deutlich machen, dass wir von Beginn der syrischen Revolution an nicht Partei für irgendjemand ergreifen wollten. Wir gehen den dritten Weg, wir stehen auf unserer eigenen Seite. Wir haben eigene Lösungsvorschläge und eigene Pläne.

Unser Krieg gegen ISIS hat die Situation verändert. Er hat die Beziehungen und die Zusammenarbeit mit der US-geführten Koalition ermöglicht und in letzter Zeit arbeiten wir sehr effektiv mit der Koalition zusammen.

Die Zahl der Waffen, die über den SDF (Syrian Democratic Forces, Demokratische Kräfte Syriens) abgeworfen wurden, war gering und erlaubt uns keine großen strategischen Schachzüge. Aber diese neue Unterstützung ist für uns sehr wichtig, denn mit ihr hat die Zusammenarbeit, die schon seit einem Jahr besteht, ein neues Niveau erreicht. Wir hoffen, dass wir unsere Zusammenarbeit ausweiten und noch stärker strategisch vorgehen können. Was wir erhalten haben, ist zwar nicht viel, aber es ist genug für einen Neuanfang.

Was die Struktur der SDF betrifft, hoffen wir, dass die YPG uns im Kampf anführen, denn sie spielen eine bedeutende Rolle. Wir bekämpfen ISIS schon sehr lange. In Syrien haben sich viele Fraktionen gebildet und alle waren dem IS unterlegen. Die FSA (Freie Syrische Armee) und einige andere islamistische Gruppen wurden besiegt, ihre Ausbildung und ihre Ausrüstung haben nicht ausgereicht. Die YPG dagegen haben sich bewährt.

In einer Zeit der größten Unruhe haben wir uns daher einigen Gruppen angenähert, um eine neue Kraft zu bilden, die größer ist und die allen Syrern dienen kann, die sich eine Demokratie für Syrien wünschen. Diese neue Kraft, die „Syrian Democratic Forces“ (SDF), vereint alle Völker Syriens. Sie umfasst Kurden, Araber, Assyrer, Turkmenen und andere. In den kommenden Tagen wird es eine Presseerklärung hierzu geben. Wir hoffen, dass dies ein neuer Anfang, ein neuer Schritt, sein kann.

Gleichzeitig rufen wir alle, die an eine Demokratie für Syrien und an eine syrische Nation glauben, dazu auf, sich um der Demokratie willen den SDF anzuschließen und sich gemeinsam mit uns den extremistischen Kräften wie ISIS zu widersetzen und gegen sie zu kämpfen, um den Frieden in Syrien wiederherzustellen.

Die Medien und Journalisten schreiben viel über Raqqa und Jarablus. Unsere militärischen Pläne sind vertraulich und wir werden sie nicht veröffentlichen. Politiker können darüber spekulieren, was wir als Nächstes tun werden, aber wir handeln gemäß unserer Pläne und der Chancen, die wir haben. Unser wichtigstes Ziel haben wir ja bereits deutlich gemacht: Wir werden ISIS bekämpfen. Wo und wann wir diesen Angriff starten, hängt von den Umständen ab.

Wir haben den Bericht von Amnesty International gesehen, der viele Lügen und Halbwahrheiten über die SDF verbreitet. Ist es nicht seltsam, dass dieser Bericht gerade jetzt erscheint, in einer Zeit, in der wir eine neue Allianz mit den syrischen prodemokratischen Kräften bilden und uns bereitmachen, einen großen Krieg gegen ISIS zu wagen? Der Bericht kommt direkt, nachdem die Koalitionsstreitkräfte uns eine bedeutende Hilfe gegeben haben. Es ist schwer zu glauben, dass dies nur ein Zufall sein soll.

Wir appellieren daher an die internationale Gemeinschaft und auch an die USA, diesem Bericht keinen Glauben zu schenken, denn er ist nicht objektiv und dokumentiert nicht die Wahrheit dessen, was hier in Syrien geschieht. Unabhängige Beobachter sind jederzeit eingeladen, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Zu einem Kritikpunkt möchte ich ganz konkret Stellung nehmen. Wir haben im Kampf gegen ISIS rund 1500 arabische Dörfer befreit. Dabei kam es in einigen dieser Dörfer zu Kampfhandlungen zwischen uns und ISIS und in manchen Dörfern haben die Kämpfe mehrere Tage gedauert. Dabei entstanden leider auch Schäden in diesen Dörfern.

Wir haben 1500 arabische Dörfer befreit und die Menschen dort leben jetzt in Frieden. Wenn das, was in dem Bericht steht, wahr wäre, warum stehen diese 1500 Dörfern dann noch?

Noch eine andere Tatsache zeigt, dass wir nicht die Araber vertreiben und unterdrücken wollen. In Rojava, dem Land der Kurden, leben einige Araber, die vom Baath-Regime Araber dorthin gebracht und dort angesiedelt wurden. Diese Araber führen auch in Cizîrê ein gutes Leben. Wenn wir die Absicht hätten, die Araber zu vertreiben, dann hätten wir diese Araber sicher zuerst vertrieben.

Ich bin mir sicher, dass dieser Bericht stark von jemandem beeinflusst wurde, dem es nicht gefällt, dass wir Erfolg gegen ISIS haben. Die ganze Welt sieht unsere Effektivität und unseren Erfolg über diese Terrorgruppe. Wir haben uns in der Praxis bewährt, indem wir Gebiete in Rojava befreit haben, und das ist ISIS und seinen Sympathisanten ein Dorn im Auge.

30 % der YPG-Mitglieder sind Araber. Wenn die Behauptung im Bericht wahr wäre, dann hätten diese Araber diese Gräueltaten ebenfalls begangen. Wenn die Behauptung wahr wäre, würden Araber dann noch mit uns in Cizîrê und Kobanê kämpfen?

Wir glauben, dass dieser Bericht geschrieben wurde, um unserem Image zu schaden. Vermutlich hatte die „Syrian National Coalition“ ihre Hände im Spiel. Es hat sie sehr verärgert, dass wir Tal Abyad befreit haben, deshalb haben sie solche Gerüchte verbreitet.

Aber wir werden unseren Kampf für die Demokratie in Syrien weiterführen, allen falschen Vorwürfe und Hindernisse zum Trotz. Wir stellen uns unserer Verantwortung und wir respektieren die Menschenrechte. Wir haben 1500 arabische Dörfer befreit, das Sindschar-Gebirge und viele êzîdischen Frauen. Dieser Bericht hätte uns dafür danken sollen, aber er dient anderen Interessen.

Ich wiederhole es noch einmal: Jeder unabhängige Beobachter kann kommen und sich ein Bild von der Lage machen und mit allen betroffenen Personen sprechen, auch mit den Arabern und Turkmenen.