Deutsch-Türkisches Gesinnungsstrafrecht

Rechtsanwalt Lukas Theune über die kurdischen politischen Gefangenen in Deutschland, Yeni Özgür Politika, 27.10.2017

Die Teilnahme an Demonstrationen und einer Beerdigung wirft die Staatsanwaltschaft der Angeklagten vor. Außerdem Kontakte zu anderen, politisch aktiven Personen. Seit fünf Monaten sitzt die Angeklagte in Untersuchungshaft. Nun wurde der Prozess eröffnet. Die Untersuchungshaft dauert jedoch noch an. Eigene Straftaten werden der Angeklagten nicht vorgeworfen.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, erklärt, ein faires Verfahren sei nicht zu erwarten. Die Bundesregierung fordert die Freilassung der Angeklagten. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft, obwohl sie nichts Verbotenes gemacht hat. Die Akten unterlagen teilweise der Geheimhaltung.

Die Teilnahme an Demonstrationen und einem Neujahrsfest wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor. Außerdem Kontakte zu anderen, politisch aktiven Personen. Sechs Monate saß der Angeklagte in Untersuchungshaft, bevor im September der Prozess eröffnet wurde. Die Untersuchungshaft dauert jedoch noch an. Eigene Straftaten werden dem Angeklagten nicht vorgeworfen. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, hat sich bislang nicht zu dem Verfahren geäußert. Die Bundesregierung fordert die Bestrafung des Angeklagten. Ihm drohen bis zu 10 Jahre Haft, obwohl er nichts Verbotenes gemacht hat. Die Information, warum das Justizministerium des Landes die Bestrafung des Angeklagten fordert, unterliegt der Geheimhaltung.

Die Parallelen sind unverkennbar

Hidir Yildirim ist Kurde, Alevite aus Dersim in der Türkei. Seit 25 Jahren lebt er in Deutschland, nachdem er vor einer Verhaftung in der Türkei fliehen musste. Kurz nach seiner Flucht wurde das Dorf, in dem er aufgewachsen war, abgebrannt. Dem Kurden wird die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Diese sei eine „terroristische Vereinigung im Ausland“. Das Bundeskriminalamt hat die Ermittlungen gegen die PKK geführt und dabei höchst einseitig ermittelt. Zu den Dorfzerstörungen der 1990er Jahre findet sich in den Akten des Bundeskriminalamt keine Information. Zu dem Foltergefängnis Diyarbakir No. 5: keine Information. Zum Militärputsch: keine Information. Zu den Verschwundenen, Ermordeten, Gefolterten, zu den Taten des JITEM in Kurdistan, zur militärischen Sperrzone: Nichts! Der Ermittlungsleiter sagt dazu auf Nachfrage der Verteidigung, die Angeklagten selbst könnten ja Entlastendes vorbringen.

Die Prozesse von Mesale Tolu in Silivri und Hidir Yildirim in Berlin haben viele Parallelen. Die Scheinheiligkeit der Bundesregierung, mit der die Verfahren gegen Tolu, Yücel, Steudtner und andere in der Türkei kritisiert werden, in Deutschland aber auf ihre Ermächtigung hin, genauer auf die des Justizministeriums, nicht nur kurdische Politiker, sondern auch linke Türken, wie derzeit in München und seit Jahren vermeintliche Angehörige der DHKP-C, verfolgt werden, ist schwer erträglich. Sie und die türkische Regierung führen gleichzeitig, wenn auch in anderem Umfang, Geheimverfahren gegen die Opposition, nur weil diese die Opposition ist. Dabei hat die deutsche Regierung nicht nur deswegen ein Interesse daran, die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland zu kriminalisieren, weil sie damit ihren NATO-Partner, die Türkei, unterstützt. Nein, auch die deutsche Regierung selbst hat kein Interesse an einer linken Bewegung, die sich global für Freiheitsrechte und Demokratisierung einsetzt. Gezeigt hat dies auch das erste Juli-Wochenende in Hamburg, wo viele Menschen aus der ganzen Welt gemeinsam ihren Protest gegen die Welt der G20, der Putins, Erdogans, Merkels auf die Straße getragen haben. Die Reaktion des deutschen Staates war unnachgiebig, unzählige Menschen wurden verletzt, viele verhaftet, nach wie vor befinden sich dreißig Menschen in Haft.

Ausnahmezustand

Ältere Hamburger Kurden mussten wahrscheinlich lächeln angesichts des Geredes von Ausnahmezustand und bürgerkriegsähnlichen Zuständen, nachdem die Polizei sich im Schulterblatt einige Stunden zurückgezogen hatte. Wohltuend war das Plädoyer von Zeki Eroglu, einem der PKK-Mitgliedschaft Angeklagten, in Hamburg am Montag nach dem Gipfel. Eroglu war während des Gipfels in Haft gewesen und konnte daher direkte Vergleiche nicht anstellen. Jedoch wurde in seinr Erklärung deutlich, was ein Ausnahmezustand ist: in Bakur, dem nördlichen Teil Kurdistans, der dem Staat Türkei angehört, herrschte dreißig Jahre völlige Willkür und militärische Allmacht. Und heute, nur zwei Jahre nach Scheitern des von der kurdischen Bevölkerung so herbeigesehnten Friedensprozesses, haben eine halbe Million Menschen ihre Häuser verloren. In Cizre, Silopi und Gever dürfen sie diese nicht wieder aufbauen. In Cizre sind Menschen durch die türkische Armee in Kellern bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Während der Ausgangssperren starben Babys und Omas. Sterbende Menschen mussten auf der Straße liegen gelassen werden, weil jeder, der sie ins Haus geholt hätte, von den Scharfschützen erschossen worden wäre.

Ende des Friedens

Heute macht sich kaum jemand mehr Hoffnung darauf, dass der Friedensprozess bald wieder aufleben könnte. Zum Präsidenten ist Erdogan bereits geworden, und die Verfassungsänderung ist mit Wahlbetrug erfolgreich über die Bühne gelaufen. Wofür also braucht Erdogan die Kurden noch? Zudem ist der unverzichtbare Verhandlungspartner Öcalan seit zwei Jahren total isoliert. Ohne Öcalan, das wissen alle, kann es keinen nachhaltigen Frieden geben. Indem die türkische Regierung ihn nach wie vor isoliert und keine Kontakte mit ihm ermöglicht, zeigt sie, dass sie an Frieden kein Interesse hat.

Die deutschen Gerichte betrachten den Konflikt jedoch nicht von dieser Seite. Strafverfahren gegen türkische Regierungsmitarbeiter oder Armeeangehörige gibt es nicht, denn diese sind ja Partner. Die Konsultationen der beiden Innenministerien, der Geheimdienste, der Polizeien gehen unverändert weiter. Eine Strafanzeige wegen der Geschehen in den Kellern in Cizre wird von der Staatsanwaltschaft nicht ernsthaft bearbeitet. Und gibt es mal Strafverfahren, wie das gegen Mehmet Fatih S., einen Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT, der, ähnlich wie Ömer Güney, der Mörder von Sakina Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez, vorhatte, Yüksel Koc zu töten, enden diese mit Bewährungsstrafen vor deutschen Gerichten. Mehmet Fatih S. ist bereits wieder auf freiem Fuß. Er und die anderen 6.000 MIT-Agenten in Deutschland sorgen dafür, dass die Zusammenarbeit der deutschen und der türkischen Behörden weiter reibungslos funktioniert.