Eine Analyse des Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 06. Dezember 2015
Der Bundestag hat entschieden. Deutsche Soldaten werden nach Syrien entsandt, um im Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (IS) mitzuwirken, wenn auch hinter den eigentlichen Frontverläufen. So soll die Bundeswehr mit einer Fregatte und mit Aufklärungsflügen der Anti-IS-Koalition aus dem Hintergrund heraus Unterstützung liefern. Dennoch stellt der Beschluss die deutsche Außenpolitik, und auch die Innenpolitik, wie wir gleich aufzeigen werden, vor neue Herausforderungen.
Zunächst einmal stellt sich nun für Deutschland die Frage, mit welcher Strategie gegen den IS in Syrien vorgegangen werden soll? Die Bundesrepublik ist zwar ihrem engsten Partner Frankreich nach den grausamen Anschlägen von Paris mit dieser Entscheidung zur Seite gesprungen. Doch gerade Deutschland muss sich beim Kampf gegen die Terrororganisation IS einige wichtige Fragen stellen.
Deutsche Waffen gegen die internationale Koalition?
Wie geht man damit um, dass Deutschland Teil einer internationalen Koalition ist, die den Kampf gegen eine Organisation führt, welche u.a. mit deutschen Waffen ausgestattet ist? Mit dieser Frage muss sich die Politik in Berlin wohlmöglich auseinandersetzen. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass Saudi Arabien, einer der wichtigen Abnehmer der deutschen Waffenproduktion, zu den Hauptunterstützern des IS gehört. Es kann wohl kaum jemand garantieren, dass der Islamische Staat mittlerweile nicht auch mit deutschen Waffen für sein Kalifat und gegen die „Ungläubigen“ in Syrien und im Irak kämpft. Dass der saudische Partner deutsche Waffen nicht nur, wie gewünscht, für den „Eigengebrauch“ verwendet, wurde bekannt, als Mitte des Jahres Bilder von Milizen bewaffnet mit G3 Sturmgewehren aus der Produktion von Heckler&Koch im Jemen auftauchten.¹ Dass Saudi-Arabien diese Gewehre in Lizenz sogar selbst produzieren darf, verstärkt eher die Befürchtung der unkontrollierten Weitergabe deutscher Waffen, die nun möglicherweise auch gegen Mitglieder einer internationalen Koalition mit deutscher Beteiligung gerichtet werden könnten.
Der neue alte Partner Türkei – und dessen Schwäche für den IS
Doch Saudi-Arabien ist nicht der einzige Partner Deutschlands, der wohl eher als Unterstützer des Islamischen Staates in Erscheinung tritt als dessen Gegner. Noch brisanter wird es beim Umgang mit der Türkei. Tauchten in den deutschen Medien vor einigen Monaten auch immer wieder Berichte auf, in welchen über eine türkische Unterstützung für den IS gemunkelt wurde, so herrscht nun kollektives Schweigen. Denn man braucht die Türkei wieder, man ist sogar sehr auf sie angewiesen. Eine Lösung der „Flüchtlingskrise“ ist ohne die Türkei ausgeschlossen, das ist sich die Bundesregierung bewusst. Aus diesem Grund hat Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Wahlkampfbesuch für Erdoğan vor den Neuwahlen am 01. November höchstpersönlich die Image-Aufpolierkampagne für die AKP gestartet. Der jüngste EU-Türkei Gipfel, mit weitreichenden Zugeständnissen an die Türkei als Gegenleistung für das Zurückhalten weiterer Flüchtlinge von Europa, ist jüngstes Ergebnis des Wiederauflebens einer alten Freundschaft.
„Wir haben zwei Mal die PYD beschossen. Sie wird sich nicht in den Westen des Euphrats voran bewegen. Sollte sie es dennoch versuchen, werden wir sie wieder beschießen“, so das Zitat des türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu Ende Oktober. Wer den Syrienkonflikt ein wenig mit verfolgt, weiß auch, dass sich westlich des Euphrats vom „PYD-Gebiet“, wie die Türkei Rojava gerne bezeichnet, der IS befindet. Davutoğlu bringt also zum Ausdruck, dass er eine Gruppe beschossen hat, die in das Gebiet des IS vorzudringen versucht. NOCHMAL, damit jedem die Tragweite dieser Aussage klar wird: Der türkische Ministerpräsident bringt zum Ausdruck, dass er dem IS gegen die Angriffe von kurdischen Einheiten zur Seite steht.
In diesem Zusammenhang müssen auch die grenzüberschreitenden Operationen des türkischen Militärs gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gesehen werden, mit denen die Türkei offiziell den Friedensprozess beendete. Die PKK ist eine wichtige Kraft im Kampf gegen den IS, was sie im Besonderen in Südkurdistan, in Şengal, Maxmur und Kirkuk bewiesen hat. Mit der Bekämpfung der PKK unterstütz die Türkei auch hier indirekt den IS.
Mit dieser Regierung hat die EU unter der Federführung Deutschlands ein Abkommen über die Flüchtlingsfrage unterzeichnet. Die EU wird für die Unterstützung der Türkei nicht nur 3 Mrd. Euro zahlen, sie wird sich auch mit der Kritik gegenüber einer Regierung, die immer autoritärer wird, die einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land führt und die die Pressefreiheit und weitere demokratische Rechte vor den Augen der gesamten Welt mit Füßen tritt, äußerst zurückhalten.
Doch kommen wir auf unser Thema zurück. Die Türkei, Deutschlands engster Verbündeter in der Region, unterstützt vor den Augen der Weltöffentlichkeit den IS, also die Organisation, bei deren Bekämpfung schon bald auch deutsche Soldaten eine aktive Rolle einnehmen sollen.
Deutschland ist nun offiziell Teil der Internationalen Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat. Der Islamische Staat wiederum wird von wichtigen Partnern der Bundesrepublik unterstützt. Wie wird Deutschland mit dieser Situation umgehen?
Einen letzten Themenkomplex muss sich die Bundesregierung noch stellen: Deutschland ist Unterstützer einer internationalen Koalition, die den IS allein aus der Luft angreift. Doch egal welchen Nahostexperten man auch fragt, jeder versichert, dass allein durch Luftangriffe der IS nicht zu bezwingen ist. Also muss sich auch Deutschland die Frage stellen, welche Gruppen, die am Boden gegen den IS kämpfen, man denn nun unterstützen will? Allzu viele ernstzunehmende Gegner des IS in Syrien gibt es da nicht mehr. Da wäre zum einen das Baath-Regime unter Assad. Doch darüber braucht man nicht lange spekulieren. Die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen hat eine solche Kooperation bereits ausgeschlossen. Dann wäre da noch die sog. Islamische Front samt Al-Nusra Front, dem syrischen Al-Kaida Ableger. Eine solche Zusammenarbeit ist, man möchte sagen hoffentlich, auch ausgeschlossen, denn diese islamistischen Gruppierungen sind zwar mit dem IS zerstritten, ihre ideologische Ausrichtung ist allerdings nicht weniger gefährlich als die des Islamischen Staates. Wer dann noch übrig bleibt, sind die Demokratischen Kräfte Syrien, ein Zusammenschluss aus den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) sowie verschiedenen kleineren arabischen Kampfverbänden. Und tatsächlich ist es diese Gruppe, die seit dem Angriff auf Kobanê im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Internationalen Koalition kontinuierlich dem IS Gebiete abgerungen hat.
Doch während Deutschland mit Waffenlieferungen und Ausbildungsprogrammen eng mit den kurdischen Peshmerga-Kräften in Südkurdistan/Nordirak zusammenarbeitet, tut sie sich mit den kurdischen Kräften der YPG und YPJ äußerst schwer. Denn eine Annäherung Deutschlands an diese Gruppen hätte weitreichende Implikationen für ihre bisherige Außen-, aber auch Innenpolitik. Denn die Kampfverbände der YPG und YPJ gehören laut Auffassung der deutschen Außenpolitik zu den „bösen Kurden“ im Gegensatz zu den „guten Kurden“ aus Südkurdistan. Was sie zu „bösen Kurden“ macht, ist ihre vermeintliche Nähe zur PKK, weswegen der Bündnispartner Türkei anscheinend lieber den IS als Nachbar jenseits der Grenze hat, als die YPG und YPJ. Auch wenn man in Deutschland nicht ganz die Meinung des türkischen Nachbarn teilen mag, will man dem aufgewerteten Partner auch nicht vor den Kopf stoßen. Oder etwa doch? Welche Alternative würde Deutschland als Teil der Internationalen Koalition im Kampf gegen den IS denn noch übrig bleiben, als mit der YPG und YPJ zu arbeiten? Diese Frage muss sich die Bundesrepublik nun auch stellen.
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g36-deutsche-waffenexporte-in-saudi-arabien-ausser-kontrolle-a-1038450.html