Deutschland und das PKK-Verbot: Ein Fass ohne Boden

Die aktuelle Debatte um die Ausweitung des Verbots, Civaka Azad Dossier Nr. 13, 28.11.2017

Im Jahr 2014 wurde die deutsche Öffentlichkeit Zeugin eines kurzzeitigen Sinneswandels: „Die PKK gehört zu Deutschland“ titelte die TAZ am 3. September 2014. Man müsse über die Bewaffnung der PKK sprechen, sagte der Fraktionsvorsitzende der CDU Volker Kauder im Interview mit Spiegel Online am 16. Oktober 2014. Ob es nicht „schizophren oder pervers sei“, wenn die Bundesregierung auf der einen Seite die PKK für ihre Taten im Mittleren Osten lobe und sie auf der anderen Seite in Deutschland strafrechtlich weiter verfolge, fragte das Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele am 1. September 2014 die Bundesregierung während einer Plenarsitzung. Verschiedenste Stimmen aus den Medien, der Bundespolitik und deutschen Think-Tanks wie der SWP (Stiftung für Wissenschaft und Politik) zweifelten damals öffentlich die Sinnhaftigkeit des PKK-Verbots an. Heute, rund drei Jahre später, ist davon nur noch wenig zu spüren. Die gegenwärtigen Repressionen gegen die politischen Aktivitäten der Kurdinnen und Kurden in Deutschland stellen die bisherige Verbotspolitik des deutschen Staates vielmehr in den Schatten.

Was ist in diesen drei Jahren passiert? Die politische Atmosphäre um die Jahreswende 2014-2015 war geprägt von einer allgemeinen Angst vor dem sog. Islamischen Staat (IS), welcher immer weitere Territorien im Irak und in Syrien unter seine Kontrolle brachte. Die Weltöffentlichkeit wurde zugleich Zeuge des Widerstandes der bewaffneten Kräfte der PKK im Norden des Iraks. Sie stellten sich dort den Gräueltaten des IS gegen die ezidische Bevölkerung in den Weg und retteten mehreren zehntausend Menschen das Leben. Im Norden Syriens spielten angefangen mit dem Widerstand von Kobane die Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) und YPG (Volksverteidigungseinheiten) dieselbe Rolle  im Kampf gegen den IS.  Rückblickend betrachtet wird deutlich, dass die oben genannten öffentlichen Zweifel am PKK-Verbot vor allem der damaligen Situation in Syrien und dem Irak geschuldet waren. Praktische politische Folgen in Richtung einer Lockerung oder Aufhebung des Verbots blieben aus.

Heute wird nicht nur das seit 1993 andauernde Verbot der PKK samt ihrer Symbole weiterhin konsequent durchgesetzt, auch dürfen seit dem Sommer 2017 keine Fahnen der YPG und YPJ auf kurdischen Demonstrationen gezeigt werden. Die Verbote sind vielschichtiger, die Angriffe auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland intensiver geworden. Auch wenn der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel jüngst versicherte, dass in Deutschland keine Fahnen und Organisationen auf Wunsch anderer Länder verboten würden, ist der Zeitpunkt der Verbotsausweitungen bemerkenswert. 2014-2015 bekämpfte die PKK nicht nur erfolgreich den IS, sie befand sich auch in Friedensgesprächen mit der Türkei. Seitdem die türkische Regierung diese Gespräche im Frühjahr 2015 aufkündigte und zu einem umfassenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung innerhalb und außerhalb ihrer Staatsgrenzen ansetzte, nehmen die Repressionen gegen kurdische Aktivisten in Deutschland deutlich zu. Auch die zwischenzeitliche diplomatische Krise zwischen Ankara und Berlin änderte nichts an dieser Entwicklung. Wenn Außenminister Gabriel trotz aller Differenzen mit seinem türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu betont, die türkische Kritik an der PKK in Deutschland sei berechtigt, entsteht der Eindruck, die Bundesregierung versuche im Streit mit der Türkei die Wogen durch die Ausweitung der Schützenhilfe im Kampf gegen die Kurden zu glätten.

Im Februar 2015 stellte Civaka Azad in einem Dossier die Auswirkungen des PKK-Verbotes in Deutschland dar [siehe HIER]. Damit sollte die kurzzeitig entstandene Stimmung gegen das Verbot aufgegriffen und die Diskussion erweitert werden. Auch in dem aktuellen Dossier stellen wir die Gründe und Folgen des PKK-Verbots in den Mittelpunkt der Betrachtung. Doch die politische Stimmung und das Ausmaß der Verbote stehen heute unter völlig anderen Vorzeichen. Eine Einordnung des Verbots in die deutsch-türkischen Beziehungen und der Verweis auf die weitreichenden Folgen dieser Politik in der Bundesrepublik und dem Mittleren Osten halten wir daher für umso wichtiger.

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