Studierende in Haft: Rezzan Zugurli und Erdem Savda

halil savdaHalil Savda*, Menschenrechtsaktivist und Kolumnist

In keinem anderen Land gibt es so viele Studierende in den Gefängnissen.
Über 1500 OberschülerInnen befinden sich derzeit in der Türkei in Haft. 600 Studierende sind inhaftiert, 500 davon sind Mitglieder der BDP (Partei für Frieden und Demokratie).
Mit aus der Luft ergriffene Anschuldigungen, auf dem Polizeirevier mal eben schnell verfassten Anklagen, lethargische Prozesszeiten ist die Zahl der Gefangenen in der Türkei mal eben verdoppelt worden.

In diesem Land sind langwierige Haftzeiten eine der gängigsten Praktiken, um Oppositionelle zu beseitigen. Speziell geraten Studierende und SchülerInnen, die aufgrund ihres Alters noch am Beginn der Auseinandersetzungen stehen, in das Visier der Angriffe.
Erdem Savda und Rezzan Zugurli sind nur zwei von tausenden inhaftierten SchülerInnen und Studierenden.
Erdem Savda ist 23 Jahre alt. Er studiert Elektro-Ingenieurwesen an der Firat-Universität. Am 28. April wurde er bei sich zu Hause festgenommen und inhaftiert. Er befindet sich derzeit im E-Typ Gefängnis in Malatya. Am 13. Juni beginnt seine Verhandlung. Eigentlich ist er in seinem letzten Studienjahr. Sollte er nicht aus der Haft entlassen werden, wird er wohl in diesem Jahr sein Studium nicht abschließen können. Vielleicht wird er noch für Wochen oder Monate in Gefangenschaft bleiben. Als Grund für seine Inhaftierung werden die Teilnahme am diesjährigen Newroz-Fest und die Beteiligung an einer Presseerklärungen angegeben. Ebenfalls wurde seine Arbeit beim Studierendenverband als Inhaftierungsgrund aufgeführt. Dass der Bruder von Erdem am Newroz-Tag zu ihm am Telefon „Pass auf dich auf“ gesagt hat, wurde seitens des Staatsanwalts als triftiger Tatverdacht bewertet. Zu Recht, denn warum sollte denn auch sein Bruder „Pass auf dich auf“ sagen, wenn er keine Straftat begangen hat! Seht selbst, sagt nicht zu euren Geschwistern oder euren Kindern „Pass auf dich auf“!
Rezzan Zugurli ist 22 Jahre alt. Sie arbeitete für das Frauenhaus Kardelen der Baglar Stadtverwaltung in Amed (Diyarbakir). Sie studiert an der Dicle-Universität im ersten Studienjahr. Am 14. Mai 2012 wurde sie, als sie ihre kleine Schwester bei ihrer Mutter im BDP-Parteigebäude von Amed (Diyarbakir) abgeben wollte, ohne Angabe von Gründen verhaftet. Später wurde erklärt, dass sie wegen der Teilnahme an einer Pressekonferenz am „Tag gegen Gewalt an Frauen“ am 25. November verhaftet worden ist. Als weitere Gründe wird die Beteiligung an der Beerdigung einer Bekannten und die Teilnahme an der 1.-Mai-Kundgebung aufgeführt. Das Gericht entschied, dass sie, bis die Anklageschrift verfasst ist, inhaftiert bleibt.
Derzeit wird sie im E-Typ Gefängnis von Amed (Diyarbakir) gefangen gehalten. Ebenso wie die anderen gefangenen Studierenden wird sie gefangen gehalten, weil sie die Werte, an die sie glaubt, auch aktiv lebt. Rezzan ist Mitglied des Musikchors des Kardelen-Frauenhauses. Sie ist eine der 8 Sängerinnen des internationalen Projekts „8 Frauen, 8 Sprachen, 8 Lieder“.
Ihre Lieder sollte sie am Abend des 26. Mai 2012 bei der Veranstaltung „Melodien für Mütter“ für die Mütter, die ihre Söhne und Töchter verloren haben, erklingen lassen. Ihre Lieder erklangen nicht. Am 26. Mai sangen die Freundinnen von Rezzan auch für sie. Die Stimme von Rezzan schalt nun an den Gefängnismauern zurück. Die aus den Gefängnismauern erklingende Stimme von Rezzan wird sich aber mit denen ihrer Freundinnen vereinen.

Die Initiative „Solidarität mit den inhaftierten Studierenden“, die sich aus AkademikerInnen, JuristInnen, Studierenden, SchülerInnen und MenschenrechtlerInnen zusammensetzt, hat sich zum Ziel gesetzt, die sich noch in Freiheit befindenden Studierenden zu vereinen, um sich mit den gefangenen genommenen Studierenden zu solidarisieren. Zu den Zielsetzungen gehören, die wirkliche Anzahl der inhaftierten Studierenden ausfindig zu machen, bei den Verhandlungen als Gegenkläger zu fungieren, juristische Unterstützung zu liefern, durch Aktionen und Presseerklärungen ein öffentliches Gehör zu schaffen, Besuche in den Gefängnissen zu organisieren und den Gefangenen eine Kommunikation nach außen zu ermöglichen.
Wenn es diese Initiative für die gefangenen Studierenden nicht geben würde, könnten uns keine Stimmen von Rezzan, von Erdem oder von den anderen hunderten gefangenen Studierenden erreichen.
Es gibt auch eine Internetpräsenz der Solidaritätskampagne für die gefangenen Studierenden: http://www.mechulogrenci.com

Zum Autor:
* Der Menschenrechtsaktivist Halil Savda hat aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigert. Seit 2004 wurde er deshalb in der Türkei wiederholt festgenommen, angeklagt, inhaftiert und schwer misshandelt.
Zuletzt wurde Halil Savda am 24. Februar 2012 festgenommen, um eine 100-tägige Freiheitsstrafe anzutreten, die wegen seines Einsatzes für zwei Kriegsdienstverweigerer gegen ihn verhängt worden war.
Am 13. April wurde er aus der Haft entlassen, jedoch unter strengen Auflagen. So darf er sich beispielsweise nicht nochmals der „Entfremdung der Bevölkerung vom Militärdienst“ schuldig machen.

Quelle: YENI ÖZGÜR POLITIKA, 25.05.2012, ISKU

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