Während sich die Bundesregierung seit Jahren mit Verweis auf fehlende diplomatische Kontakte und schwierige Gesamtumstände ihrer Verantwortung entzieht, im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien wegen Verbrechen im Namen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) inhaftierte Deutsche zurückzuholen und hier vor Gericht zu stellen, sollen nach dem Willen der Unionsfraktion syrische Straftäter und Gefährder künftig aus Deutschland nach Syrien abgeschoben werden können. Doch nicht etwa in die selbstverwalteten Regionen, die auf Rücksicht auf die Türkei ohnehin nicht anerkannt werden, sondern in die illegale türkische Besatzungszone. Das sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thorsten Frei, der „Rheinischen Post“ aus Düsseldorf. „Es ist zu prüfen, ob wir Gefährder in die von der Türkei kontrollierte Zone in Nordsyrien zurückführen können“, so Frei. Zudem rief er Bundesaußenminister Heiko Maas auf, baldmöglichst ein „ausführliches und differenziertes Lagebild“ über Syrien zu erstellen.
Für Syrien gilt seit 2012 ein genereller Abschiebestopp. Die Regelung läuft noch bis zum Jahresende. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will allerdings statt des ausnahmslosen Abschiebestopps künftig eine Einzelfallprüfung durchsetzen. Die Entscheidung darüber trifft die Innenministerkonferenz im Dezember. Seehofer gehe es um ein Signal, dass Straftäter und Gefährder ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verwirkten, heißt es zynisch. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) unterstützt den Vorstoß. Laut Reul gebe es in Syrien unsichere Regionen, aber auch „vergleichsweise sichere Gebiete“.
Erst im September hatte die UN-Syrien-Kommission der sogenannten SNA („Syrische Nationale Armee“), dem Proxy-Invasionskorps der Türkei, und auch der Türkei selbst Kriegsverbrechen in Syrien vorgeworfen. Die mit der Türkei verbündete, von ihr bezahlte und gelenkte SNA besteht aus einem losen Verband aus zahlreichen dschihadistischen Milizen, die sich seit Beginn der Invasion in den ehemals selbstverwalteten Gebieten an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedienen. Dazu gehören Plünderungen, Folter, Vergewaltigungen, Schändung religiöser Stätten, sowie Raub und Zerstörung von Weltkulturerbe, wie es auch im Untersuchungsbericht der UN-Kommission heißt. Der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) Mazlum Abdi hatte den Bericht sogar als unzureichend kritisiert. Die dokumentierten Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs an Kriegsverbrechen, die von bewaffneten Gruppierungen mit „politischer Rückendeckung der Türkei“ an der kurdischen Bevölkerung in Efrîn, Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) begangen werden.
Abschiebungen in Besatzungszone bedeutet Anerkennung von Annexion
Im Übrigen würden Abschiebungen aus Deutschland in die von der Türkei und verbündeten Dschihadisten besetzten Gebiete Nordsyriens, wo willkürliche Verfolgung und Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung zur Tagesordnung gehören – in Efrîn ist kürzlich ein Vierzehnjähriger mit vierzig Schüssen von Besatzern ermordet worden -, eine Anerkennung der Annexion und Völkerrechtsbruch bedeuten. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, die Berichte der Wissenschaftlichen Dienste (WD) der Bundesregierung benennen die türkische Invasion in den nördlichen und nordwestlichen Gebieten Syriens als einen völkerrechtswidrigen Akt der Aggression, beziehungsweise einen politisch motivierten Angriffskrieg auf die selbstverwalteten Gebiete. Angesichts dieser Tatsache steht die internationale Staatengemeinschaft und mit ihr Deutschland in der Pflicht, das Vorgehen der Türkei auf das Schärfste zu verurteilen. Stattdessen ignoriert die Bundesregierung diese gravierenden Verstöße gegen das Gewaltverbot aus der UN-Charta und ermutigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu weiteren Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Nachbarland.