Über das PKK-Verbot und antikurdische Haltung Deutschlands und der Türkei

Ein Gastbeitrag von Ramo Menda, Soziologe und interreligiöser Dialogsexperte, zur medialen Debatte nach dem 25. Internationalen kurdischen Kulturfestival in Köln, 20.09.2017

Die Arbeiterpartei Kurdistans ist nicht nur die Reaktion auf und das Resultat der rassistisch-kolonialistischen Politik des türkischen Staates gegenüber den Kurdinnen und Kurden. Sie ist auch nicht nur der Widerstand gegen die verleumderische und auf Assimilation ausgerichtete Haltung und Vorgehen des türkischen Staates gegen die kurdischen Identität, Sprache, Kultur und Dasein. Die PKK und alle Organisationen und Parteien, die sich an der radikaldemokratischen, ökologischen und auf Frauenbefreiung basierenden Ideologie Abdullah Öcalans orientieren, wie z.B. die HDP, PYD oder auch NAV-DEM, führen einen völkerrechtlich, demokratisch und moralisch legitimen Kampf um grundlegende Menschenrechte und Gleichberechtigung an. Sie werden von Millionen Kurdinnen und Kurden in allen vier Teilen Kurdistans und darüber hinaus unterstützt. Bei ihrem Kampf ist die kurdische Befreiungsbewegung um die PKK auch zum Demokratisierungsmotor des Irans, der Türkei, Syriens und des Iraks, also des Mittleren Ostens avanciert. Sie betrachtet die Demokratisierung dieser Staaten und der gesamten Region als die einzige Chance der kurdischen Gesellschaft auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit. Dabei wird keine Separation von den jeweiligen Staaten und Grenzen oder die Gründung eines eigenen kurdischen Nationalstaats vorgesehen – und das seit 1993 (!) – sondern es wird eine konföderale und basisdemokratische Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der kurdischen Gesellschaft forciert.

Doch das alles spielt in der medialen Auseinandersetzung natürlich keine Rolle, wenn der traditionelle deutsche Partner Türkei und die Geschäfte es anders verlangen. Man profitiert ja letztlich gemeinsam davon, wenn türkische Soldaten mit deutschen Panzern kurdische Dörfer in Schutt und Asche legen und „Terroristen“ eliminieren. Solange die Kriegsgegner des türkischen Partners „Terroristen“ sind, solange ist der Verkauf von Waffen an die Türkei „im Rahmen internationaler Standards“ und damit legal und legitim.

Dass gegen die ungeheure Gewalt des faschistoiden Staates der Türkei der bewaffnete Kampf der Kurden nicht nur legitim, sondern der einzige Weg ist, beweist nicht zuletzt das aktuelle Gerichtsurteil des Berufungsgerichts in Belgien ((http://civaka-azad.org/belgisches-gericht-urteilt-pkk-keine-terroristische-organisation/)), welche die kurdische Frage als einen bewaffneten Krieg und nicht als einen Kampf des türkischen Staates gegen Terror betrachtet. Am besten wird die Legitimität und Ausweglosigkeit der Kurden durch ihre derzeitige Lage in der Türkei selbst offenbar. Dort sitzen tausende politische Aktivistinnen und Aktivisten, Parlamentspolitikerinnen und Politiker, Bürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen, Journalistinnen und Journalisten, Zivilistinnen und Zivilisten, ja jegliche politische Stimme in Gefängnissen. Ganze Städte werden zerstört und kurdische Städte von aus Ankara zwangsverwaltet.  Hierzulande thematisiert wird allerdings nur die Inhaftierung der deutschen Staatsbürger in der Türkei.

Die Gesamtlage macht deutlich, dem türkischen Staat geht es nicht um die PKK, sondern um die Unterdrückung der kurdischen Gesellschaft und Ausbeutung Kurdistans. Und weil die PKK dagegen Widerstand leistet, tut der türkische Staat alles, um diesen Kampf zu unterdrücken. Einen Sieg über die PKK bedeutet für den türkischen Staat ein Sieg über den Freiheits- und Demokratiewillen der kurdischen Gesellschaft. Die Kriminalisierung der PKK bedeutet die Kriminalisierung des Kampfes um Gleichberechtigung.

Wenn wir also über die PKK sprechen wollen, dann muss die kurdische Frage in ihrer Geschichte, ihren Ursachen und Lösungsmöglichkeiten thematisiert werden. Was passiert stattdessen? Die deutsche Medienlandschaft übernimmt die türkisch-staatliche Sprache bzw. die der türkischen Nationalisten (egal welcher Partei) und ermöglicht so die Unterdrückung und Kriminalisierung des Kampfes um Demokratie, Menschenrechte und Frieden. Wir beobachten hier eine weitere Übertragung der türkischen Verhältnisse auf Deutschland. Das (eigentlich unhaltbare) PKK-Verbot reicht nicht aus, jetzt werden sogar die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht der Kurden attackiert. Dass dadurch diese Rechte generell in Gefahr kommen, interessiert noch niemanden. „Ja, aber auf der Demonstration wurde Sympathie für die PKK und Öcalan bekundet“ – wenn die PKK um die kurdische Identität und Anerkennung kämpft, dann ist es natürlich und sinnhaft, dass sich Kurdinnen und Kurden mit diesem Kampf solidarisieren, es geht ja um ihre Identität und Rechte.

Die deutsche Unterstützung für den Kampf des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung hat eine lange Tradition. Es sind seit Jahrzehnten deutsche Waffen, Gesetze, Gelder, Verbote oder die politische Unterstützung an die Türkei, die als die wesentliche Stütze des antikurdischen Krieges der Türkei fungieren. Ohne westliche, aber insbesondere ohne deutsche Unterstützung, wäre die Türkei nie in der Lage so viel Unrecht zu begehen und so lange diesen Krieg zu führen. Seit dem zweiten Weltkrieg war und ist die BRD in keinem Krieg so tief und vielfältig verwickelt wie in dem in Kurdistan. Und zwar auf der türkischen Seite.  Die Kriminalisierung des kurdischen Freiheitskampfes ist ein rechtliches Konstrukt westlicher Staaten, welches die Kurden niemals anerkennen werden, denn es impliziert ihre Nichtexistenz. Doch „Legitimität“ ist etwas ganz anderes als „Legalität“. Kriminelles Vorgehen des türkischen Staates und seine vielfältigen Verbrechen werden seit Jahrzehnten als „legal“ hingenommen, weil der Staat ja souverän ist, wohingegen der legitime und aus kurdischer Sicht existenzielle Widerstand dagegen „kriminell“ sei, weil ja Gewalt nur vom Staate ausgehen kann – ein super Konstrukt. Die Antagonismen und Widersprüche werden am besten deutlich, wenn Worte und ihre Bedeutungen sehr weit auseinander geraten sind. Ein Demirtas oder ein Öcalan, die Frieden und Demokratie propagieren, sitzen als „Terroristen“ im Gefängnis, wohingegen ein autoritärer, islamistischer und demokratiefeindlicher Despot und seine Handlanger in Deutschland als „rechtstaatliche Partner“, also als „Demokraten“ gelten.

Nun will die BRD das PKK-Verbot auf „Konkretisierung“ überprüfen. Anscheinend soll das Zeigen von Öcalan-Portraits gänzlich verboten werden. Tolle Demokratie, tolle Meinungsfreiheit. Man ist so sehr gegen Erdogan und sein Regime, dass man die Erdogan-Regime-Verhältnisse nach Deutschland importiert. So ein Widerspruch geht nur dann, wenn es sich dabei um Maßnahmen gegen die kurdische Gesellschaft handelt. Man stelle sich vor, Südafrikanern wäre während ihres Kampfes gegen die Apartheid die Sympathiebekundung zu und das Zeigen von Mandela-Portraits verboten worden. Ein Journalist schreibt „Auf Bildern von der Kundgebung ist ein ganzes Meer von Fahnen zu sehen, die das Konterfei des in der Türkei inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zeigen. Das ist aber verboten. Punkt.“ Ja, das Verbot der kurdischen Sprache und Existenz in der Türkei war auch ein Gesetz. Punkt. Totalitäre Regime oder diktatorische Staaten erschaffen auch Gesetze, z. B. Saudi Arabien, wenn es die Vollverschleierung für Frauen rechtlich verpflichtet. „Punkt.“ Den Punkt hat der Kollege sehr gut gesetzt. Die Kurden müssen bezüglich ihres Freiheitskampfes darauf schauen, was richtig ist, und nicht darauf, was erlaubt ist – denn ihre Existenz ist Gegenstand des Verbotes bzw. des Kampfes. Ihnen bleibt also kein anderer Weg übrig. Hier geht es um richtig oder falsch, um sein oder nicht sein – nicht um legal oder illegal, nicht um erlaubt oder nicht erlaubt. Schon gar nicht, wenn die Gesetze nicht von den Kurden selbst kommen, sondern sie als Maßnahmen gegen sie dienen. Weil das PKK-Verbot auf Unrecht, Verleugnung, Widersprüchen sowie ökonomischen und geostrategischen Interessen beruht, lässt es sich nicht einfach mit einer „verboten ist verboten – Punkt“-Haltung durchsetzen. Hier geht es um wesentliche und existenzielle menschliche Belange. Man kann nicht den hohen menschlichen Wert und Willen der Freiheit mit auf ökonomischen Interessen beruhenden Gesetzen unterdrücken. Man kann nicht der menschlichen Würde mit Gesetzen Grenzen setzen.

Das aktuelle Vorgehen des deutschen Staates gegen kurdische Bürgerinnen und Bürger, ihre Vereine und Organisationen, sowie die mediale und diskursive Legitimierung dieses Vorgehens sind Ausdruck des profitorientierten Bündnisses zwischen dem deutschen und türkischen Staat.  Es ist eine logische Gleichung und Konsequenz: Wenn der türkische Staat in seinem ursprünglichen und gegenwärtigen Zustand auf Verleugnung der kurdischen Gesellschaft beruht, so beruht die deutsch-türkische Partnerschaft ebenso auf die Unterdrückung der kurdischen Gesellschaft. Das PKK-Verbot bzw. das Verbot des kurdischen Freiheitswillens mit diesem Sachverhalt zu begründen, wäre korrekt und aufrichtig. Ich hätte mich nicht so sehr aufgeregt. Aber den legitimen Kampf der Kurden als „Terror“ zu denunzieren und so die eigene Mittäterschaft zu verschleiern – das ist kriminell und Heuchelei.

Jeder redliche Demokrat und Journalist ist dazu eingeladen, einen Blick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der PKK-Bewegung und dem Kurdenkonflikt zu werfen. Dazu gibt es mittlerweile zahlreiche gute Arbeiten (eine kurze Literaturliste gebe ich unten an). Gegen die jahrzehntelange mediale Dämonisierung der kurdischen Bewegung hilft nur eine sachliche, moralische und wissenschaftliche Herangehensweise. Neben der wissenschaftlichen Beschäftigung, welche die historischen Zusammenhänge und Ursachen des Kurdenkonflikts sowie die für den Nahen Osten bitternötigen fortschrittlichen Charakteristika und Ziele  der kurdischen Bewegung offenlegt, bin ich insbesondere durch meine biographische Erfahrung, welche Millionen kurdische Menschen mit  mir teilen, daran interessiert, dass die kurdische Bewegung ihren legitimen Kampf gegen das Unrecht des türkischen Staates und seiner Verbündeten fortführt. Unsere Dörfer wurden von türkischen Soldaten mit deutschen Panzern entvölkert, wir wurden öffentlich gefoltert, in Gefängnisse gesteckt und getötet. Unsere Natur verbrannt, weil wir uns gegen die Ausbeutung unserer Länder, unsere Entrechtung und die Verleugnung unserer Existenz auflehnten. Entweder wir hätten alles akzeptiert und würden aus der Geschichte verschwinden oder wir mussten Widerstand leisten. Und zwar auf eine die gesamte Region demokratisierende Art und Weise. Viele von uns wurden im Zuge des Konflikts Flüchtlinge und sind nach Deutschland eingewandert und führen den Kampf innerhalb der rechtstaatlich garantierten Rahmenbedingungen fort. Doch der lange Arm des faschistoiden türkischen Staates reicht bis ins Zentrum von Europa und beeinflusst durch seine antidemokratische Herangehensweise die Demokratie hierzulande. Doch die Kurdinnen und Kurden werden und können den Kampf um ihre Existenz und Demokratisierung ihrer Heimatregionen unter keinen Umständen aufgeben. Ich denke, genau das ist es, was die PKK seit Jahrzehnten unschlagbar macht: Die Legitimität ihres Kampfes und die Illegitimität ihres Verbots


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