Der Journalist Ragıp Duran stellt offene Fragen zur Situation in Afrin, Artı Gerçek, 23.01.2018
Krieg ist politisch als auch ideell ein wichtiges Reagenzpapier. Um das Ereignis zu verstehen und zu begreifen muss man Fragen stellen. Und die Antworten suchen.
Ankara stuft die PYD/YPG als terroristisch ein. Was sind die konkreten, sachlichen Begründungen und Beweise für diese Definition? Aufgrund welcher Politiken und Aktionen wurde die PYD/YPG als terroristisch deklariert?
Welche Terroranschläge hat die PYD/YPG gegen die Türkei verübt? Stellt es für Ankara kein Problem dar, dass in keiner anderen Hauptstadt die PYD/YPG als terroristisch eingestuft wird?
Hat Ankara das Recht seine Nachbarn zu mögen oder nicht zu mögen? Hat bislang irgendein Staat eine Militäroperation durchgeführt, weil es seinen Nachbarn nicht mochte?
Ankara verteidigt die Ansicht, dass das neue kurdische Gebilde südlich ihrer Grenze die nationale Sicherheit der Türkei gefährde. Was für eine Politik bewahrheitet diese Feststellung?
Welche Art von Angriffe, welche Grenzverletzungen gab es bis heute von den kurdischen Kantonen – insbesondere von Afrin – gegenüber der türkischen Grenze?
Wieso konnte Ankara die Operation, die sie bereits seit längerem angekündigt hatte, erst nach der Erlaubnis Russlands beginnen? Welche Zugeständnisse wurden bei diesem geheimen Deal Russland versprochen?
Werden wir die Informationen über den Umfang und das zeitliches Ausmaß der Operation, sprich die richtigen und nötigen, die vertrauenswürdigen und überzeugenden Informationen aus Ankara oder aus Moskau kriegen?
Wer sind die bewaffneten Personen, die Ankara in Bussen über die Grenzen trug und als Freie Syrische Armee (FSA) vorstellte? Haben diese Leute mit ihren Reisepässen die Grenze überquert? Wo haben sie sich vorher, unter wessen Obhut und unter welchem Status aufgehalten? Haben die türkischen Streitkräfte nicht genug Soldaten, um die Afrin-Operation durchzuführen und benötigen deshalb diese bewaffneten Gruppen?
Trotz der ganzen Zerwürfnisse erkennt Ankara das Assad-Regime offiziell als Syriens einzige und echte Repräsentation an. Ist diese Operation gegen Afrin nun gleichbedeutend damit, dass man Assad-Regime nicht mehr anerkennt?
Wie wird sich Ministerpräsident Yildirim gegenüber der Nachrichtenagentur AP verhalten, die sinngemäß über einen Tweet verbreitete „Die Operation ist gegen den IS, aber dazwischen gibt es auch kurdische Elemente“ und diese dann später löschte? Hat er sich entschuldigt? Oder beharrt er darauf, dass seine Erklärung richtig ist?
Der Chef des Generalstabs Akar hat erklärt, dass die Operation „legitime Verteidigung” sei. Wie kann der Angriff eines Staates – fernab seiner Grenzen – auf eine andere Streitkraft, die sie noch nie angegriffen hat, Verteidigung sein? Wie ist das legitim?
Akar erklärte am ersten Tag des Angriffs „Wir haben bereits jetzt schon Verletzte”. Weshalb benutzte er die Formulierung „bereits jetzt schon“? Am ersten Tag wurden nur Luftangriffe unternommen. Welches Mitglied der türkischen Streitkräfte wurde am ersten Tag der Luftangriffe verletzt?
Es heißt, dass die Operation sich darauf richte, die Kurden von der „Unterdrückung und Repression der PYD/YPG“ zu befreien. Wenn wir dies für die Wahrheit annehmen; gab es irgendwelche offiziellen Aufrufe an Ankara? Hat die Operation einen Grund gemäß internationalen Rechts?
Ist die Äußerung eines FSA-Kämpfers, der in den Medien erklärte, dass Erdogan sie beauftragt habe solange zu kämpfen bis kein Kurde mehr übrig bleibe, solch eine Quelle für Ankara? Ist dies die offizielle Auffassung von Erdogan? Wurden die Äußerungen der bewaffneten Person bestätigt oder dementiert?
Bedeutet die Verlesung der als Eroberungssure bekannten Feth Sure in 90000 Moscheen durch das türkische Religionsministerium, dass die Militäroperation eine religiös-islamische ist? Sind die Aktivitäten des Ministeriums mit den letztwöchigen Erklärungen des türkischen Verfassungsgerichts in Hinsicht auf Laizismus kompatibel?
Ankara hat erklärt, dass die Operation sich nicht gegen Zivilsten, sondern gegen Terroristen richtet. Wie unterscheiden 72 Kampfjets bei Bombardierungen auf Siedlungsgebieten zwischen Zivilisten und bewaffneten Militanten?
Wie kann man es erklären und beurteilen, dass in der Türkei bis auf die Kurden, die Vertreter der Linken sowie Kriegsgegner, alle politischen Institutionen diese Operation unterstützen? Welche Motivation steckt hinter, wenn die angeblichen Erzfeinde wie Kılıçdaroğlu und Akşener, oder die Liberaldemokratische Partei und Hakan Şükür bis über verschiedene Schichten beim Kurdenkonflikt einer Meinung sind und die Operation unterstützen?
Die Korrespondenten und Moderatoren der Mainstream-Medien benutzen bei der Beschreibung der Ereignisse die die erste Person Plural: „Wir haben bombardiert, wir sind reingegangen, unsere Armee, unsere Soldaten usw.“ Sind die Medien ein Teil dieser Operation?
Welche Bedeutung hat die Erklärung „Nach Afrin ist Manbij an der Reihe“?
Im Original erschien der Artikel am 22.01.2018 unter dem Titel “Afrin hakkında birkaç soru” auf der Homepage der Nachrichtenseite Artı Gerçek.
